Eine ungewöhnliche Eintrittsmarke mit Mehrwert
Ab 1827 zu Weihnachten (fast) kostenlos in das Diorama der Gebrüder Gropius in Berlin
»Kaufen Sie drei Paar Schuhe, dann ist das dritte Paar kostenlos!“ Solche oder ähnliche Rabattaktionen in großen Kaufhäusern oder Einzelhandelsgeschäften begegnet man heute allenthalben, nicht nur in der Zeit des früheren Sommer- oder Winterschlussverkaufes, sondern ganzjährig. Kunden werden mit dem Versprechen gelockt, einen besonderen Mehrwert zu bekommen, müssen hierzu jedoch zunächst einmal einen Geldbetrag in die Hand nehmen und ausgeben, um dann den versprochenen Rabatt oder eine besondere Gegenleistung zu erhalten. Statt wie geplant mit einem Paar neuer Schuhe geht der Kunde oder die Kundin am Ende mit zwei weiteren Paaren nach Hause, weil es ja so günstig war, denn so ein gutes Angebot muss man doch annehmen. Ähnliche Aktionen gibt es z. B. für Speisen in Restaurants oder beim Eintritt in Freizeitparks.
Diese Geschäftsidee ist nicht neu und eine fast 200 Jahre alte ähnliche Werbestrategie, bei der ein numismatisches Objekt in der Weihnachtszeit eine besondere Rolle spielte, soll nachfolgend vorgestellt werden.
Vs.: (Abb. Stern) WEIHNACHTS AUSSTELLUNG / IM / DIORAMA (darunter kleines Kreuz mit pflanzlichen Zierelementen / Arabesken)
Rs.: (Abb. Stern) GUT FÜR FÜNF SILBER GROSCHEN / GEBR: / GROPIUS (darunter kleines Kreuz mit pflanzlichen Zierelementen / Arabesken)
Kupfer, sehr schwach versilbert (?), Dm 37,6 mm, Stärke 4,05 mm, Wendeprägung, im Ring geprägt, 34,38 g
Die Art der Beschriftung kennzeichnet dieses Stück als eine Art Wertmarke. Ihr Wert beträgt 5 Silbergroschen (Sgr.), herausgegeben wurde sie von den Gebrüdern Gropius. Zugang bekam man für sie zur Weihnachtsausstellung im Diorama. Daher könnte man meinen, es handle sich um eine ›normale‹ wiederverwendbare Zugangs- oder Eintrittsmarke, die man an der Kasse des Dioramas der Gebrüder Gropius erwarb, das sich in Berlin befand, und dann am Eingang wieder abgab.
Ungewöhnlich sind die enorme Größe, die Dicke und die Qualität der Prägung, die für einfache Wertmarken nicht üblich war. Von der Gesamterscheinung erinnert das Objekt eher an eine Medaille.
In der Literatur werden diese Stücke als Eingangs- oder Eintrittsmarken, von der es nachweislich oder mutmaßlich vier Metallvarianten geben hat oder gegeben haben soll, bereits öfter beschrieben: Neumann (1868, Nr. 31471), Vossberg (1870, Nr. 45), Hasselmann (1987, Nr. 218), Hasselmann (2002, S. 301), Stahl (2012, Nr. 0135), Menzel (2018; Nr. 2694.1–4) und Priese (2015 und 2022, Nr. 1834/1).
Hergestellt und benutzt sollen diese Marken um oder ab 1834 bzw. 1836. Als verwendete Metalle werden Kupfer, Bronze (Kupfer-Zinn-Legierung), Messing (Kupfer-Zink-Legierung mit hohem Zinkanteil) und Tombak (Kupfer-Zink-Legierung mit geringem Zinkanteil) erwähnt. Die Metallvarianten wurden aber auch als Fehlbestimmungen wegdiskutiert (Priese 2022).
Fasst man die verstreut vorliegenden Informationen zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Es soll sich um Eintrittsmarken für die alljährlich stattfindenden Weihnachtsausstellungen im Diorama in Berlin aus der Zeit um oder nach 1834 handeln. Diese dauerten vier Tage, daher die vier verschiedenen Metalle, damit man die Marken jedes Tages erkennen konnte, da sie eigentlich nur am jeweiligen Ausgabetag gültig waren.
Der Hersteller solle die Prägeanstalt Loos in Berlin gewesen sein. Und tatsächlich findet man diese Marken bereits im gedruckten Verkaufskatalog der Berliner Medaillen-Münze von G. Loos aus dem Jahr 1830 (S. 13, in identischer Art auch im Katalog von 1842) in der Vierte(n) Abteilung, Marken aller Art, u. a. Eingangs- und andere Zeichen erwähnt: »Eingangs-Zeichen zu den Weihnachts-Ausstellungen der Herren Gebr. Gropius, in vier verschiedenen Metallen zur nothwendigen Abwechslung geprägt«.
Die Marken sind daher tatsächlich in vier Metallen geprägt worden und nachweislich einige Jahre älter als bisher vermutet.
Der Eintritt in das Diorama kostete normalerweise 10 Sgr. (= 1/3 Taler), nur in den vier Tagen vor Weihnachten gab es 50% Rabatt beim Kauf der Marke (5 Sgr. = 1/6 Taler). Man konnte diese direkt am Diorama oder bei bestimmten örtlichen Vertragsgeschäften in der Stadt erwerben. Dann hatten der Käufer oder die Käuferin die Wahl: Entweder konnten diese die Präsentation im Diorama vergünstig besichtigen (und die Marke abgeben) oder die Weihnachtsausstellung im gleichen Gebäude besuchen und die Marke dem Torkontrolleur nur vorzeigen und zunächst behalten. Da sie – durch die Farbe des Metalls erkennbar – ursprünglich nur einen Tag gültig war, waren die Besucherinnen und Besucher theoretisch gezwungen sie noch am selben Tag wieder ab- oder auszugeben.
Der erste Mehrwert bestand nun darin, dass man die Marke beim Einkauf von Waren bei der Weihnachtsausstellung im Wert von 5 Sgr. einlösen konnte, d. h. der Eintritt war damit kostenlos. Kaufte man dort nichts, konnte man anschließend das Diorama besuchen und so 5 Sgr. beim Eintritt sparen.
Als Alternative konnte man die Marke aber auch als sogenannte Prozentmarke bei einem Mindesteinkauf von 2 Talern in verschiedenen Geschäften in der Stadt im Wert von 5 Sgr. in Zahlung geben, hatte dadurch vorher ebenfalls einen kostenlosen Zugang zur Weihnachtsausstellung erhalten und folglich keinen finanziellen Verlust gemacht. Die Verkäuferinnen und Verkäufer in der Ausstellungshalle im Diorama und der Geschäfte in der Stadt erhielten im Ausstellungsbüro je Marke allerdings nur 4 Sgr. erstattet. Ein Sgr. blieb als Gewinn für die Veranstalter übrig (Hasselmann 2007, S. 300 f. und 1502 f.). Diese hatten aber Kunden gewonnen, die sicherlich größere Beträge – mindestens 2 Taler in den Geschäften in der Stadt – bezahlt hatten, was zu einem deutlich erhöhten Umsatz führte und ebenfalls zu einem Mehrwert beitrug.
Angeblich liefen die Marken auch in der Weihnachtszeit als eine Art Zahlungsmittel im Wert von 4 Sgr. in der Stadt um, da sie ja für diesen Betrag immer wieder im Diorama eingelöst werden konnten. Eigentlich hatten sie aber – wie beschriftet – einen Wert von 5 Sgr. und zu diesem Wert konnten sie direkt oder im darauffolgenden Jahr wieder zum vollen Betrag eingelöst werden, auch zum Eintritt in das Panorama, was wiederum einen Mehrwert bzw. Rabatt von zusätzlich 1 Sgr. ausmachte. Theoretisch hätte man die Marke auch jahrelang immer wieder als dann – fast kostenlose – Eintrittsmarke zur den Weihnachstaustellungen verwenden können, was erneut ein Mehrwert bedeutet hätte.
Anscheinend war die ursprüngliche Idee, dass die Marken je nach Metallfarbe nur einen Tag gültig sein sollten, hinfällig geworden, zumal die optischen Unterschiede bei angelaufenen Stücken nur minimal waren.
Was aber macht nun den Besuch einer Weihnachtsausstellung so besonders, dass man bereit war, dafür Eintritt zu bezahlen und sich dem komplexen Rabatt- und Zahlungssystem anzuvertrauen? Weihnachtsmärkte finden man heute allenthalben, Eintritt kosten sie nicht, und auch Wohltätigkeitsbasare in der Adventszeit sind seit langem bekannt.
In Berlin werden derartige Weihnachtsausstellungen erstmals bereits im Jahre 1784 erwähnt, erste genauere Beschreibungen über das, was man dort vorfinden konnte, liegen aus der Zeit um 1802/1803 vor. Damals gab es noch keine Warenhäuser, in denen man eine Zusammenstellung verschiedener Produkte unterschiedlicher Hersteller und Kaufleute in einem Haus finden konnte. In ausgewählten größeren Veranstaltungssälen präsentierten, wie auf einem Basar, Händler Waren unterschiedlichste Art, u. a. Spielzeug, was besonders in der Weihnachtszeit gerne gekauft wurde. Auch Konditoren boten ihre Kuchen, Torten und Zuckerbäckereien an. Viele waren zu Wohltätigkeitszwecken organisiert worden, zur Unterstützung örtlicher Künstler oder zur Beschaffung von Almosen für Bedürftige. Verkauft wurden u. a. Handarbeiten und kostenlose Spenden, die verschiedene Firmen zur Verfügung gestellt hatten.
Die Gebrüder Gropius veranstalteten seit der Weihnachtszeit 1827 in ihrem frisch eröffneten Diorama derartige Ausstellungen, so dass man vermuten kann, dass die Eintrittsmarken bereits im gleichen Jahr bei der Firma Loos hergestellt worden waren.
Eine kurze Beschreibung der Weihnachtsausstellung 1830 im Diorama in Berlin findet man in der Zeitschrift Der Sammler (8.1.1831, S. 15): »Nicht minder Vergnügen gewährt der in den unteren Localen befindliche Weihnachtsmarkt im Kleinen und die Säle mit den boutiques à prix fixe [Festpreisläden], wo man für billige Preise, von 5 Sgr. an bis (bey den kostbaren Sachen) zu hohen Summen, alle möglichen Luxusartikel, Spielzeuge, Literaturgegenstände u. s. w. vorfindet. Dieser Markt ist stets so zahlreich, und von einem so eleganten Publicum besucht (das minder elegante scheut die fünf Sgr. Entree, für die man jedoch Waare erhält, oder St. Petersburg besieht), daß die vielen Säle öfters kaum die schaulstigen Personen aufzunehmen vermögen, die theils die hübschen Waaren besehen und einkaufen, theils auch – und dies allein ist für das männliche Publicum schon ein mächtiger Magnet – die hübschen Verkäuferinnen mustern.«
Die erwähnte Angabe zu St. Petersburg bezieht sich darauf, dass 1830 die aufwändigen immer wieder wechselnden Panoramaansichten im Diorama zur Weihnachtszeit die Hauptstadt des Russischen Reiches St. Petersburg zeigte.
Einer Werbeanzeige in der Vossischen Zeitung vom 18. Dezember 1847 ist zu entnehmen, dass der Eintritt für die Weihnachtsausstellung im Diorama noch immer 5 Sgr. kostet, »die beim Kauf in Zahlung genommen werden«. Die beschriebenen Marken waren daher zu dieser Zeit offenbar noch immer in Verwendung. Auffällig ist, dass der Markt nun statt vier Tage vom 12.-24. Dezember stattfand, also deutlich länger als in den 1830er Jahren.
Das Diorama der Gebrüder Carl Wilhelm (1793-1870), Ferdinand (1796-1830) und Georg Gropius (1802-1842) wurde am 29. Oktober 1827 eröffnet. Das mächtige Gebäude war ab 1826 an der Georgstraße 12 / Ecke Stallstraße (heute Universitätsstraße) in der Stadtmitte durch Baukonduktor Richter erbaut worden. An der Gestaltung war aber auch der bekannte Berliner Architekt Karl Friedrich von Schinkel (1781-1841) beteiligt.
Bei einem Diorama (griechisch für »Durchscheinbild«) handelte es sich um eine Großbildanlage, die durch wechselnde Staffage und Beleuchtung belebt wurde. Das Verfahren war durch Louis Daguerre (1787-1851), einem der Erfinder der Fotografie, 1822 in Paris entwickelt worden. Riesige Leinwände wurden hierzu beidseitig mit gleichen aber unterschiedlich gestalteten Motiven, z. B. bei Tag und bei der Dämmerung, bemalt. Durch Kerzen und durch das Öffnen oder Schließen von Fenstern sowie durch die Umlenkung des Tageslichtes mit Hilfe von Spiegeln wurden diese leicht transparenten Wände dann wechselnd beleuchtet. Mit Hilfe von farbigen Glasscheiben ließen sich zusätzliche Effekte erzielen. Die Bilder im Berliner Diorama waren 20 m breit und bis zu 13 m hoch. Das Gebäude war – wegen des notwendigen Tageslichtes – täglich nur von 11-15 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 11-14 Uhr geöffnet. Der normale Eintritt betrug immerhin 10 Sgr. und war daher relativ teuer.
Die letzte Weihnachtsausstellung im Diorama fand vom 12. Dezember 1849 bis zum bis 4. Januar 1850 statt, da es am 31. Mai 1850 für immer geschlossen wurde. Von 1868 bis 1873 beherbergte das Gebäude mit einer provisorischen Sammlungs- und Ausstellungshalle das neu gegründete Deutsche Gewerbe Museum. Im Jahr 1876 wurde das monumentale Bauwerk im Zuge der Errichtung der Berliner Stadtbahn abgebrochen.
Die beschriebene Marke wurde daher vermutlich im Herbst 1827 geprägt und zwischen Dezember 1827 und Januar 1850 verwendet. Die bis heute erhaltenen Exemplare konnten vermutlich nicht mehr rechtzeitig eingelöst werden. Einige dürften aber schon damals als kuriose numismatische Objekte in lokale oder überregionale Münze- oder Medaillensammlungen gelangt sein.
(Bernd Thier)
Literatur:
- W. Haselmann, Berlin Marken und Zeichen (München 1987), hier S. 126-127 Nr. 218
- W. Hasselmann, Marken und Zeichen Lexikon, Lexikon für die im deutschsprachigen Raum aus Metall geprägten Marken und Zeichen in 4 Bänden (Manuskript München, November 2001), erschienen nur als PDF auf CD-ROM im Verlag für digitale Publikationen Bogon (Berlin 2007), hier S. 300–301 (Diorama-Marke), S. 1502–1503 (Weihnachtsausstellungsmarke)
- P. Menzel, Deutschsprachige Notmünzen und Geldersatzmarken im In- und Ausland 1840 bis 2002, digitale Publikation auf CD-ROM (Winfried Bogon-Verlag Berlin 2018), hier S. 492-493 Nr. 2694.1–4
- N. N., Das Diorama der Gebrüder Gropius in Berlin, in: Der Berliner Courier, ein Morgenblatt für Theater, Mode, Eleganz, Stadtleben und Localität, hg. von M. G. Saphier, Nr. 1167, den 18. Dezember 1830, S. 2
- N. N., Karl Wilhem Gropius 1793–1870, in: Berlin und seine Entwicklung, Städtisches Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik, 5. Jg., hg. vom statistischen Bureau der Stadt Berlin (Berlin 1871), S. 263–264
- N. N., Verzeichnis sämmtlicher Denk- und Gelegenheitsmünzen, welche aus der Berliner Medaillen-Münze von G. Loos seit der Grünung dieser Anstalt durch den Hof- Medaillier Daniel Friedrich Loos hervorgegangen sind … (Berlin 1830, gedruckt in der Dietericischen Buchdruckerei), hier S. 13
- N. N., Verzeichnis sämmtlicher Denk- und Gelegenheitsmünzen, welche aus der Berliner Medaillen-Münze von G. Loos seit der Grünung dieser Anstalt durch den Hof- Medaillier Daniel Friedrich Loos hervorgegangen sind … (Berlin 1842, gedruckt bei Ernst Siegfried Mittler), hier S. 13
- J. Neumann, Beschreibung der bekanntesten Kupfermünzen. V. Enthält die Beschreibung der Jetone und Marken aus Oesterreich, Russland, Frankreich und Deutschland (Prag 1868), hier S. 345 Nr. 31471
- K. Priese, Marke einer Weihnachtsausstellung, Bucher Bote, Ausgabe Dezember 2015, S. 9
- K. Priese, Ausstellungen, Messen, Schauen und Börsen in Berlin 1706 bis heute im Spiegel von Medaillen, Plaketten, Marken, Abzeichen (Berlin [Selbstverlag des Autors, Druck BoD, Books on Demand, Norderstedt] 2022) S. 15 Nr. (1834) / 1
- S., Das Diorama der Gebrüder Gropius in Berlin Weihnachten 1830, Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, 23. Jg., Wien 8. Jänner 1831, S. 15
- J. Schneider, Das Diorama der Gebrüder Gropius, Berlinische Monatsschrift Heft 1, 1998, S. 12
- W.-H. Stahl, Marken & Zeichen des 14. bis 19. Jahrhunderts. Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main 31 (Frankfurt 2012), hier S. 69 Nr. 0135
- F. A. Vossberg, Beiträge zur Münzgeschichte der Stadt Berlin, Berliner Blätter für Münz- Siegel- und Wappenkunde 5, 1870, S. 171-201. 301-319, hier S. 185 Nr. 45
- Internetquelle: https://www.zeitreisen.de/advent/ausstellung.htm (Adventskalender des Zentrums für Berlin-Studien (ZBS). Zur Geschichte der Weihnachtsausstellungen in Berlin)