"Warhafftige/ doch Grewliche vnd Erschröckenliche Geschicht/ so geschehen ist zů Antdorff/ Den Ersten Nouembris/ des 1570 / Gestellt durch Danieln Holtzman" – Bildtafel eines Flugblatts anlässlich der Sturmflut am 1. November 1570 in Antwerpen
© Zentralbibliothek Zürich, PAS II 8/5, Public Domain

Die Spuren der ‚Kleinen Eiszeit‘ in der Literatur der frühen Neuzeit (1570–1780) (LitLIA)

Wie verhalten sich historische Klimabedingungen und textliche Überlieferung zueinander? Befördern langanhaltende Winter oder in mehreren Jahren aufeinanderfolgende Missernten bestimmte Gattungen und Schreibweisen? Gibt es Unterschiede zwischen einer katholischen und einer protestantischen Wetterschilderung? Wie lange erinnert sich die Literatur an Sturmfluten und zu welchen Gelegenheiten wird die Erinnerung reaktiviert? Und wie beeinflussen Strömungen wie der Neo-Stoizismus und ästhetische Ideale wie das der Erhabenheit das Schreiben über Unwetter und ihre Folgen? Diese und ähnliche Fragen werden die seit Oktober 2024 durch die DFG geförderte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Die Spuren der ‚Kleinen Eiszeit‘ in der Literatur der frühen Neuzeit (1570–1780) (LitLIA) in den kommenden Jahren umtreiben.

Die Auswertung historischer Quellen und aus den Archiven der Natur gewonnener Umweltdaten zeigt, dass die nördliche Hemisphäre zwischen dem späten 13. und 19. Jahrhundert immer wieder unter einem starken Rückgang der Temperaturen, häufigen Unwettern, Niederschlägen zur Unzeit, Dürreperioden und daraus resultierenden Missernten und Hungersnöten litt. Für diese Zeit etablierte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts der Begriff ‚Kleine Eiszeit‘ (englisch: Little Ice Age, LIA), der sich seither als eigenständiger Forschungsgegenstand der historischen Klimaforschung herauskristallisierte. Der schriftlichen Überlieferung wurde bislang vor allem ein Quellenwert für die Ermittlung konkreter historischer Wetterereignisse und der sozialen und ökonomischen Folgen zugesprochen. Die Literaturwissenschaft ist ihrer Aufgabe, diese Quellen in ihrer poetischen Faktur zu beschreiben und im zeitgenössischen literarischen Diskurs zu verorten, bis jetzt jedoch nur in Ansätzen nachgekommen.

Ziel des Projekts ist es deshalb einerseits zu erforschen, ob die ‚Kleine Eiszeit‘ einen Einfluss auf die deutschsprachige Literatur hatte (und wenn ja, welchen), und andererseits zu fragen, welchen Einfluss wissens- und mentalitätsgeschichtliche Formationen auf die schriftliche Überlieferung von Umweltdaten übten. Hierzu werden herkömmliche Interpretationsansätze von Einzeltexten mit Methoden der Digital Humanities kombiniert.