Dissertationsprojekt
Arbeitstitel: Vorgeschichten in Erzähltexten des 19. Jahrhunderts
Analepsen als erzählerisches Verfahren, bei dem ein Ereignis, das sich im Geschehenszusammenhang früher ereignet hat, an späterer Stelle der Erzählung nachgetragen wird, hat es in der Literatur schon immer gegeben. Bereits mit den in media res- Anfängen der homerischen Epen sind aufklärende Rückwendungen verbunden. Im antiken Roman Aithiopiká des griechischen Autors Heliodor, verfasst um die Mitte des 3. Jahrhunderts, finden sich ebenfalls zahlreiche Rückwendungen, die der Chronologie der Handlung zuwiderlaufen und durch sukzessives Aufdecken der Vergangenheit der Protagonisten in erster Linie dazu dienen Spannung aufzubauen. Auch in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten lassen sich ähnliche Retrospektiven ausmachen. In der deutschen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts gewinnen analeptische Einschübe allerdings auffällig an Präsenz. Sowohl in Balladen als auch in Novellen, Erzählungen und Romanen erscheinen sie ungefähr zeitgleich mit der Epochenschwelle 1800 in bis dahin ungekannter Häufigkeit und Extension. Rückblicke in die Kindheit oder Familiengeschichte einer Figur nehmen zeitlich und thematisch oftmals deutlich mehr Raum ein als die Ausgangshandlung und werden somit implizit zu konstitutiven Vorgeschichten der eigentlichen Geschichte erklärt. Das Dissertationsprojekt möchte sich der Untersuchung der Ursachen für das zahlreiche Auftreten dieser Vorgeschichten und ihrer möglichen Wirkungen und Bedeutungen für den innerliterarischen wie außerliterarischen Diskurs widmen. Die Analepse soll dabei als eine literarische Form begriffen werden, der als solcher einerseits feste strukturelle und rhetorische Eigenschaften, andererseits ein dynamisches Potential inhärent sind. Dadurch kann sie, so die These der Arbeit, im Zusammenspiel mit den soziokulturellen, ästhetisch-medialen und epistemologischen Veränderungen zum Beginn der Moderne eine Transformation erfahren, die sie gewissermaßen reflexiv auflädt, zur Vorgeschichte werden lässt und inhaltlich wie funktional an den Kontext ihres Auftretens rückbindet. Fasst man diesen Vorgang als literarischen Modellierungsprozess in einer spezifischen Modellsituation und die betreffenden Erzähltexte als Modellobjekte, werden die zwei Bereiche der geplanten Analyse (Ursachen und Funktionen) als Ausgangspunkt (Modell wovon) und Ziel (Modell wofür) der Transformation systematisch befragbar.
Vita
seit Oktober 2016 Stipendiatin am Graduiertenkolleg Literarische Form Münster 2014 - 2016 Master- Studium German and Comparative Literature an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der University of St Andrews (Abschluss M.A.) 03/2013 - 02/2014 Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Friedlein, Lehrstuhl Romanische Philologie, Ruhr- Universität Bochum 08/2012 - 01/2013 Auslandssemester an der Universidade Federal de Minas Gerais in Belo Horizonte (Brasilien) 2010 - 2014 Bachelor-Studium Romanische Philologie/ Spanisch und Germanistik an der Ruhr- Universität Bochum (Abschluss B.A.)