50 Jahre Institut für Erziehungswissenschaft an der WWU
Im Januar 2021 feiert das Institut für Erziehungswissenschaft der WWU Münster sein fünfzigjähriges Bestehen: Erstmals genannt wird das IfE im Aktenbestand des Universitätsarchivs in der Einladung zur Fachbereichskonferenz am 28.1.1971. Zwar gab es schon seit den Tagen der theologisch-philosophischen Ausbildungsanstalt, zu der die 1773 gegründete Universität Münster im Jahr 1818 zurückgestuft wurde, ein Pädagogisches Seminar, das dann im 20. Jahrhundert in die Philosophische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität integriert wurde. Doch die jetzige Institutsstruktur mit der Benennung des pädagogischen Fachs als Erziehungswissenschaft geht erst auf die neue Universitätsverfassung vom 11. Februar 1970 zurück. Mit ihr wurde der Abschied von der alten Universität festgeschrieben. Die Doppelstruktur von staatlicher und akademischer Verwaltung (Kuratorialverfassung) wurde aufgehoben. An der Spitze der Universität stand nun der Rektor, der gegenüber dem Senat rechenschaftspflichtig war. An die Stelle der Fakultäten traten Fachbereiche mit einer einheitlichen Gremienstruktur. Alle Gremien wurden nach dem Verhältnis 2:1:1 mit Vertreterinnen und Vertretern der Professorenschaft, des akademischem Mittelbau und der Studierenden besetzt.
Für die Umstrukturierung des Pädagogischen Seminars und seiner Neuaufstellung als Institut für Erziehungswissenschaft war in der Hauptsache Prof. Dr. Herwig Blankertz (1927-1983) verantwortlich. Bereits 1969 hatte der frisch berufene Blankertz beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen die Umbenennung Pädagogischen Seminars in Institut für Erziehungswissenschaft beantragt. Es war somit nicht allein der strukturelle Anlass der Neuorganisation der WWU, der im Ergebnis die Etablierung eines Instituts für Erziehungswissenschaft hervorbrachte, sondern zuallererst eine mit der Umbenennung verbundene wissenschaftskonzeptionelle Programmatik, ein neues Selbstverständnis der Disziplin.
Blankertz selbst begründete sein Gesuch Ende der 1960er-Jahre damit, dass die Bezeichnung von Universitätseinrichtungen als Pädagogische Seminare aus einer Zeit stamme, in der „die Mehrdeutigkeit des Begriffes ‚Pädagogik‘ dem vorherrschenden lebensphilosophischen Interesse an Unmittelbarkeit entgegenkam und überdies die wissenschaftliche Aufgabe dieser Einrichtungen ungeklärt war. Inzwischen hat sich die Situation erheblich geändert. Die Pädagogik als Wissenschaft ist, wenn auch nicht vollständig, eingeordnet in den Zusammenhang der Sozialwissenschaften, widersteht einer unkritischen Unifizierung von Theorie und Praxis, wie sie für die geisteswissenschaftliche Pädagogik charakteristisch war, bedient sich nicht allein der traditionellen hermeneutisch-pragmatischen Methode, sondern wendet sich auch den modernen empirischen, den mathematisch-statistischen und informationstheoretischen Verfahren zu. Nach dem gegenwärtigen Sprachgebrauch scheint dafür als übergreifender Terminus allein ‚Erziehungswissenschaft‘ angemessen zu sein [...]“.
In der von Wolfgang Brezinka (1928-2020) geprägten Formel Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft wurden die zentralen Positionen einer methodisch einseitigen, normativ geprägten Geisteswissenschaftlichen Pädagogik als ‚Wissenschaft von der Praxis für die Praxis‘ auf der einen und eine sozial-wissenschaftlich orientierten, auf empirischer – und das bedeutet, auf qualitativer und quantitativer – Forschung basierenden, modernen Erziehungswissenschaft auf der anderen Seite gegenübergestellt. Auch an der WWU versuchten die Vertreterinnen und Vertreter der Erziehungswissenschaft – ihnen voran Herwig Blankertz – sich im Anschluss an Brezinkas progressive Losung zu Beginn der 1970er Jahre von der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik über die Umbenennung des Pädagogischen Seminars nach außen sichtbar abzusetzen und damit auch nominell die Entwicklung hin zu einer modernen, in erster Linie wissenschaftsorientierten Erziehungswissenschaft zu vollziehen.
Während der mit der programmatisch zu verstehenden Umbenennung einhergehende Anspruch und die damit markierte Zäsur der Wissenschaftspraxis der Disziplin vor Ort nicht unmittelbar, aber im Zeitverlauf stetig zunehmend entsprach, kann das Institut für Erziehungswissenschaft 50 Jahre nach seiner Gründung heute als Ort der empirischen, theoretischen und historischen Forschung und der Lehre gelten, an dem die Themen, methodischen Zugänge und generell die subdisziplinäre Vielfalt der Erziehungswissenschaft in einem Institut erfolgreich vereint wird.
Literatur zum Thema:
Martin Rothland: Disziplingeschichte im Kontext. Erziehungswissenschaft an der Universität Münster nach 1945. Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2008.