Digitalisierung im Praxistest
Ob beruflich oder privat: Die Digitalisierung beeinflusst immer mehr den Alltag. Damit kommende Generationen technologische Errungenschaften sinnvoll und langfristig nutzen können, ist neben dem Anwendungswissen auch ein Grundverständnis für algorithmische Funktions- und Wirkungsweisen notwendig.
Hier setzt ein Leuchtturmprojekt am Institut für Erziehungswissenschaft der WWU an, das die Universitätsgesellschaft Münster fördert: „Lernroboter im Unterricht: Einführung in die Mediendidaktik am Beispiel des Kompetenzbereichs 'Problemlösen und Modellieren'“. In dem Seminar geht es um die Förderung der digitalen Bildung von Masterstudierenden aller Fächer und die Evaluierung der Veranstaltung. Die Leitung haben der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Horst Zeinz und Promovend Raphael Fehrmann, der in seiner Dissertation das Masterseminar evaluiert sowie die Fortschritte der Studierenden erforscht.
Juliane und Kommilitonin Saskia probieren den ersten Lernroboter aus. Der 15 Zentimeter große Blue-Bot sieht aus wie ein großer Käfer mit LEDs als „Augen“. Er ist per Tastendruck oder Tablet steuer- und programmierbar. Nach Dateneingabe und Ausführung des Algorithmus wird das gesuchte Ergebnis geliefert.
Juliane und Saskia bekommen die Aufgabe, mit dem Blue-Bot die Geschichte der „Kleinen Raupe Nimmersatt“ nachzuerzählen. Auf einer Spielfläche mit Feldern, die bunte Obst- und Gemüsesorten zeigen, soll der Blue-Bot den schnellsten Weg zum Apfel finden. Die Studierenden müssen dazu die Befehle zum Befahren der Felder zunächst auf dem Kopf des Lernroboters eingeben wie „einmal links abbiegen“, „zweimal geradeaus“, „einmal rechts abbiegen“, „X-Schritte vor oder zurück“ und so weiter. Taktaktak: Ein „Wow" kommt über ihre Lippen, als der Lernroboter nach ihren gedrückten Befehlen losfährt über die Felder „Birne“, „Himbeere“, „Melone“. Ein Piep-Signal verkündet, dass der Blue-Bot auf dem Apfelbild angekommen ist.
Auf dem Spielplan mit Kreisen, Trapezen und Quadraten, den die Lehramtsstudierenden Julia und Jan vor sich haben, kommen kleine Holzstäbchen zum Einsatz, die der Wegbegrenzung dienen und Programmierfehler aufzeigen sollen. Bei Jan schiebt der Blue-Bot das Stäbchen zur Seite, bei Julia fährt der Blue-Bot um das Holzstäbchen herum. Noch direkter geht Feedback nicht. „Ziel ist es, den Studierenden zu veranschaulichen, wie man den Roboter nach algorithmischen Prinzipien programmiert und wie die Befehle vom Roboter umgesetzt werden“, sagt Raphael Fehrmann.
„So klein sind die, aber irgendwie auch putzig“, sagt Lehramtsstudentin Juliane zunächst, als sie den zweiten, 2,5 Zentimeter großen Lernroboter Ozobot in den Händen hält. Die zwei motorgetriebenen Räder, fünf Farbsensoren an der Unterseite, LED-Licht und Mini-PC werden über „Linienbefehle“ gesteuert. Den Ozobot kann man wahlweise über gezeichnete oder gelegte Felder mit Spielkarten sowie über vorgefertige Spielflächen laufen lassen. Mit farbigen Punkten lässt sich das Verhalten des Ozobots steuern, über „rot-schwarz-rot“ etwa die Geschwindigkeit drosseln. Die Codes sind vorgegeben, können aber – so Raphael Fehrmann – sogar von Grundschülern spielerisch kombiniert werden, etwa um den Ozobot schnellstmöglich auf einem Spielfeld vom Start- zum Endpunkt zu bringen.
„Wir entwickeln im Seminar mit den Studierenden auch Unterrichtsmodule“, sagt Raphael Fehrmann. „Im Sportunterricht fährt der Lernroboter Ozobot Choreographien ab, im Fach Religion folgt seine Route einem Bibel-Psalm und im Biologieunterricht dem Blutkreislauf, je nachdem, welche Codes die Studierenden einsetzen.“
Bio-Masterstudent Ruven probiert den dritten Roboter aus, den tiefergelegten Lernroboter Thymio, der wie die Miniatur eines mit Sensoren ausgestatten autonomen Staubsaugers aussieht. Der Thymio kann beispielsweise mittels eines Laptops bewegt werden, um auf einer schiefen Ebene so lange hin und her zu fahren, bis er sein Gleichgewicht findet. Ruven findet dies ebenso spannend wie seine Kommilitoninnen Caitlin, Anabelle und Nele. Das aktive Mitgestalten digitaler Technik, problemorientiert und direkt reflektierbar, wird von den angehenden Lehrkräften sehr geschätzt – ganz im Gegensatz zu dem rein passiven Einsatz im früheren Informatikunterricht an der Schule. Und auch Juliane hat Spaß: „Man bekommt eine Idee davon, was es mit den Algorithmen auf sich hat. Auch wie sie unser tägliches Handeln prägen, nicht nur in digitalen Situationen, sondern auch bei analogen Handlungsvorgängen wie Backen oder Zähneputzen."
„Die drei Lernroboter bringen den Schülern rasche Erfolgserlebnisse“, unterstreicht Raphael Fehrmann. Verschiedene Bedienmöglichkeiten wie haptische Programmierungen, grafische Codebausteine und eine skalierbare Programmlogik würden unterschiedliche Zugänge zu Programmierung und Problemlösung ermöglichen. „Der Einsatz von Lernrobotern fördert den Ausbau weiterer kognitiver Kompetenzen, etwa bei der Wahrnehmung. Ob in Mathematik, in Kunst, in Physik oder in Englisch – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.“ Durch die unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus gelinge nicht nur ein kindgerechter Einstieg in die Programmier-Grundlagen, wie es der nordrhein-westfälische Medienkompetenzrahmen vorgibt. Auch ältere Schüler könnten mit den Robotern ihre digitalen Kompetenzen stetig ausbauen.
Peter Sauer
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 14. Oktober 2020.
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