Polytechnik-Preis für herausragendes Unterrichtskonzept im Bereich „Umgang mit Vielfalt in der MINT-Bildung“
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Gemeinsam lernen im naturwissenschaftlichen Unterricht: die Unterrichtskonzeption choice2learn / choice2explore
„Da ist ja doch noch Salz drin!“ ruft Paul. „Das ist immer noch da“ staunt Nina. „Ich schreibe, das Salz ist nicht weg“ meint Tim. Die Drittklässler haben gerade mit einem Experiment überprüft, ob Kochsalz verschwindet, wenn man es in Wasser löst. In der Unterrichtskonzeption choice2explore für die Grundschule bzw. choice2learn für die Sekundarstufe erforschen Schülerinnen und Schüler von der dritten bis zur zwölften Klasse alltägliche naturwissenschaftliche Phänomene: Was passiert, wenn eine Aromalampe duftet, eine Brausetablette sprudelt oder wenn man Nudelwasser salzt? Schüler haben zu diesen Phänomenen sehr individuelle Vorstellungen. Grundschüler vermuten zum Beispiel, dass das Salz „im Wasser verschwindet“, „sich in Wasser verwandelt“, oder „sich in kleinen Teilchen verteilt“. Diese Vorstellungen überprüfen sie mit Hilfe von Lernimpulsen. Sie führen Versuche durch, vollziehen Gedankenexperimente und arbeiten mit Modellen.
Das Besondere dabei ist: Schüler mit Einschränkungen im Bereich Sprache, Aufmerksamkeit oder Motorik, Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf und leistungsstarke Schüler können in kleinen Gruppen gemeinsam lernen. Dass dies funktioniert, liegt an besonderen Merkmalen der Konzeption. Zum einen geben die vielfältigen Vorstellungen der Schüler ein gemeinsames „Rätsel“ auf: Welche Vermutung trifft zu? Wie findet man das heraus?
Zum anderen gelingt das gemeinsame Lernen auch deshalb, weil alle Lernenden dieselben Materialien nutzen, die jedoch verschiedene Zugangsweisen bieten: Versuchsschritte werden zum Beispiel sowohl sprachlich als auch bildlich dargestellt. Formulierungen in leichter Sprache erleichtern das Lesen und Kommunizieren. Übersichtliche Gliederungen und Felder zur Selbst-Überprüfung unterstützen Kinder mit Konzentrationsschwächen. Alternative Versuchsaufbauten auf Basis von Alltagsmaterialien ermöglichen Schülern mit motorischen Einschränkungen ein sicheres Experimentieren. Spezielle Forscherprotokolle fördern das gemeinsame Deuten und Schlussfolgern. In der digitalen Umsetzung der Unterrichtskonzeption für Tablets können sich Schüler zudem Materialien vorlesen lassen, Ergebnisse individuell dokumentieren, Experimente filmen und gemeinsam ein Erklärvideo drehen, in dem sie das untersuchte Phänomen mit einem Modell veranschaulichen.
Lehrkräfte können ausgearbeitete Lernmaterialien nutzen, die im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte unter Beteiligung von über 20.000 Schülern entwickelt wurden. Diese Materialien werden über regelmäßige Fortbildungen in die Lehrerbildung eingebracht und stehen als digitale Handreichung zur Verfügung. Lehrende können jedoch auch eigene Unterrichtseinheiten planen. Hierbei hilft die klare Strukturierung der Konzeption in fünf Phasen. Im Lehr-Lern-Labor C(LE)2VER der Chemiedidaktik Münster haben in den letzten Jahren 340 Lehramts-Studierende eigene choice2learn-Einheiten entwickelt und mit Schulklassen erprobt. Auf diese Weise sind weitere kreative Materialien entstanden, etwa zur Funktionsweise eines Tintenkillers, zur Pflanzenernährung oder zu der Frage, warum ein Kuchen im Ofen so schön fluffig wird.
Videoanalysen zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Unterrichtskonzeption in hohem Maße kooperativ miteinander arbeiten. Und dies vor allem bei denjenigen Handlungen, die zum Experimentieren gehören – dem Durchführen von Versuchen, dem Beobachten und Deuten! Der naturwissenschaftliche Unterricht bietet offenbar eine ganz besondere Chance für gemeinsame Lernsituationen. Eine Lehrerin bringt es in einer Lehrerfortbildung auf den Punkt: „Schön, dass die Schüler mal nicht nur im selben Klassenraum sitzen, sondern tatsächlich miteinander lernen!“