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Fische für die Forschung

Forscher lieben Zebrafische: Sie sind anfangs durchsichtig und entwickeln sich rasend schnell.
Prof. Stefan Schulte-Merker vom Exzellenzcluster „Cells in Motion“ hat seine Zebrafische stets im Blick. Die ersten fünf Tage der winzigen Embryonen sind besonders spannend. Dann können die Forscher beim durchsichtigen Fischnachwuchs beobachten, wie sich Knochen, Blut- und Lymphgefäße entwickeln.
© CiM/J.-M. Tronquet

Sie sind gerade einmal fünf Zentimeter groß und haben hübsche, silberfarbene Streifen. Zebrafische sind bei Hobbyfischzüchtern beliebt. In Münster schwimmen sie aber nicht einfach so herum, sondern im Auftrag der Wissenschaft. Rund 13.000 Zebrafische gehören etwa dem Entwicklungsbiologen Prof. Stefan Schulte-Merker, Gruppenleiter des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ und Leiter des Instituts für kardiovaskuläre Organogenese und Regeneration der Universität Münster. Mithilfe der Fische erforschen er und seine Mitarbeiter, wie sich Knochen, Blutgefäße und das Lymphsystem entwickeln.

Weltweit arbeiten rund tausend Forschungsgruppen mit Zebrafischen. Sie eignen sich optimal für die Wissenschaft: Die Fisch-Embryonen entwickeln sich außerhalb des Mutterleibs und sind in den ersten fünf Tagen durchsichtig. „Deshalb können wir unter dem Mikroskop genau beobachten, wie sich Blut- und Lymphgefäße der Fische entwickeln“, sagt Stefan Schulte-Merker. Und das geht rasend schnell: Nach 26 Stunden schlägt das Herz, nach 28 Stunden bewegen sich die ersten roten Blutkörperchen.

Ein weiterer Vorteil der Zebrafische: Die Haltung und Zucht gilt als besonders unkompliziert und pflegeleicht. Die Fische schwimmen in kleinen Schwärmen in Aquarien, die sich bis unter die Zimmerdecke aufeinanderstellen lassen. Eine spezielle Filteranlage sorgt für eine durchgehend optimale Wasserqualität. Und der Nachwuchs züchtet sich fast von selbst. „Bringen wir Männchen und Weibchen zusammen, starten sie meist direkt mit dem Laichen und wir erhalten innerhalb kürzester Zeit hundert Fischeier pro Paar“, sagt Stefan Schulte-Merker. Allerdings müssen sich die Fische dafür wohlfühlen. Deshalb haben die Wissenschaftler ihre Tiere stets im Blick.

Stefan Schulte-Merker forscht seit mehr als 20 Jahren mit und an Zebrafischen. Seine Erkenntnisse sorgen dafür, dass man immer besser versteht, wie sich unser Blut- und Lymphgefäßsystem entwickelt – und warum manchmal etwas schiefläuft. Denn die Gefäße im Menschen entstehen auf die gleiche Weise wie in Fischen. „Fische ähneln uns mehr als manchen von uns bewusst ist“, sagt der Wissenschaftler. „Die Natur ändert nicht das Prinzip, wie sich Knochen, Herz oder das Lymphsystem entwickeln.“

Stefan Schulte-Merker sucht bei seinen Zebrafischen gezielt nach Gendefekten, die das Wachstum des Blut- und Lymphsystems beeinflussen, auch beim Menschen. Im Jahr 2009 stellte seine Arbeitsgruppe zum Beispiel fest, dass das Gen CCB1 für das sogenannte Hennekam-Syndrom verantwortlich ist. Bei Patienten mit diesem Gen-Defekt bilden sich keine Lymphgefäße. Das Lymphsystem kann damit keine überflüssige Flüssigkeit abtransportieren, Arme und Beine schwellen an. Außerdem sind die Patienten geistig beeinträchtigt. Mittlerweile arbeitet Stefan Schulte-Merker eng mit dem Arzt Raul Hennekam zusammen. Er hatte das Krankheitsbild erstmals beschrieben und war jahrelang auf der Suche nach der Ursache der Krankheit – bis er auf die Forschung von Stefan Schulte-Merker stieß. Die Hoffnung des Arztes und des Forschers: Sie wollen diese und ähnliche Gefäßerkrankungen irgendwann behandeln können.

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Aktuell können sich Personen, in deren Familien das Syndrom vorkommt, genetisch testen lassen, ob sie Träger der Krankheit sind. In Münster forscht man weiter am Gen CCB1. „Wir prüfen bei Fischen, ob man den Prozess anregen kann, mit dem sich Lymphgefäße bilden“, sagt Stefan Schulte-Merker. Sind sie mit ihren Versuchen erfolgreich, gäbe es langfristig zumindest einen Ansatz für eine Therapie des Hennekam-Syndroms und ähnlicher Krankheiten.