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Gewebeproben digital und in 3D

Münstersche Forscher entwickeln neues Bildgebungsverfahren zur Diagnostik von Lymphödemen.

Wenn Wissenschaftler und Ärzte Gewebe untersuchen, um zum Beispiel krankhafte Veränderungen festzustellen, sehen sie sich häufig entnommene Gewebeproben unter dem Lichtmikroskop an. Aussagekräftige Bilder zu erhalten, stellt dabei oft eine Herausforderung dar. Forscherinnen und Forscher des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ der Universität Münster und des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster haben nun ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sie dreidimensionale Bilder von Blut- und Lymphgefäßen in Gewebeproben erzeugen können. Das kann helfen, die zugrunde liegenden Veränderungen der Blut- und Lymphgefäße in Lymphödemen genauer zu untersuchen. „Wir führen sozusagen eine digitale dreidimensionale Histopathologie durch“, erklärt Dr. René Hägerling. Er ist Erstautor der Studie, die aktuell in der Fachzeitschrift „JCI Insight“ erschienen ist.

An der Studie arbeiteten Biochemiker, Chemiker, Informatiker, Biologen und Mediziner interdisziplinär zusammen. Die Wissenschaftler untersuchten drei Hautbiopsien von gesunden Menschen und eine Hautbiopsie eines Patienten mit Lymphödem. Unter dem Lichtblattmikroskop entstanden mehrere tausend einzelne optische Schnittbildebenen der Proben. Mit einem speziellen Programmiersystem, genannt Voreen, setzten die Forscher diese am Computer zusammen und ließen eine dreidimensionale Rekonstruktion der gesamten Gewebestruktur entstehen. Die neue Methode – VIPAR genannt – ermöglicht es erstmals, Hautbiopsien digital räumlich zu rekonstruieren, bildlich darzustellen und charakteristische Parameter des Gewebes zu erfassen. Das Vorgehen steht in Abgrenzung zur klassischen histologischen Untersuchung, bei der eine Gewebeprobe in viele Schnitte geteilt und jeder einzelne Schnitt auf zweidimensionaler Ebene betrachtet wird. „Mit VIPAR als Visualisierungsmethode können Biopsien menschlichen Gewebes detaillierter analysiert werden als je zuvor“, ist sich René Hägerling sicher. Ob und wann das Verfahren in die Klinik geht, ist derzeit jedoch noch nicht absehbar.

Originalpublikation:
Hägerling R, Drees D, Scherzinger A, Dierkes C, Martin-Almedina S, Butz S, Gordon K, Schäfers M, Hinrichs K, Ostergaard P, Vestweber D, Goerge T, Mansour S, Jiang X, Mortimer PS, Kiefer F. VIPAR, a quantitative approach to 3D histopathology applied to lymphatic malformations. JCI Insight 2017;2, DOI 10.1172/jci.insight.93424. Abstract

Bild links: Gewebeschnitt einer menschlichen Hautbiopsie in 2D (traditionelles histologisches Verfahren). Die Blutgefäße sind in grün, die Lymphgefäße in rot dargestellt. Bild Mitte: Digitale 3D-Rekonstruktion einer gesunden menschlichen Hautbiopsie. Man erkennt deutlich die räumliche Anordnung der Blutgefäße (weiß) und Lymphgefäße (rot). Bild rechts: Gedrehte Ansicht derselben Biopsie.
© JCI Insight

Die Geschichte im Detail:

Lymphgefäße transportieren Gewebeflüssigkeit, die Lymphe, aus dem Zellzwischenraum in den zentralen Blutkreislauf zurück. Funktioniert der Transport in den Lymphgefäßen nicht richtig, kommt es zu einem Lymphödem, einer Flüssigkeitsansammlung in der Haut. Lymphödeme können verschiedene Auslöser haben, zum Beispiel Verletzungen oder Operationen, beispielsweise nach einer Lymphknotenentfernung bei einer Brustkrebstherapie. Weitere Auslöser können aber auch genetische Defekte sein, sodass Lymphödeme schon bei der Geburt in Erscheinung treten. Für Mediziner gibt es derzeit noch keine ausgereiften und detaillierten Bildgebungsverfahren, um die möglichen Mechanismen der Entstehung von Lymphödemen räumlich zu visualisieren und differenziert zu diagnostizieren. Das führt unter anderem dazu, dass man bisher nur wenig darüber weiß, wie Lymphödeme entstehen und auch die Therapiemöglichkeiten eingeschränkt sind.

Um das zu verbessern, haben münstersche Forschergruppen des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ (CiM) nun gemeinsam ein neues Verfahren entwickelt und getestet. Die CiM-Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Friedemann Kiefer ist auf die moderne mikroskopische Untersuchung von Gewebe, insbesondere des Lymphgefäßsystems, spezialisiert. Dr. René Hägerling und seine Kollegen untersuchten zunächst drei Hautbiopsien von gesunden Menschen. Die Wände der Lymph- und der Blutgefäße markierten die Wissenschaftler mit fluoreszierenden Antikörpern und sahen sich die Proben danach unter dem Lichtblattmikroskop an. Dieses Mikroskop rastert jede Probe Schicht für Schicht mithilfe eines Laserstrahls ab, während eine Kamera das Fluoreszenzsignal erfasst. So entstanden Daten aus einigen Tausend einzelnen optischen Schnittbildebenen jeder Probe.

Informatiker der CiM-Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Xiaoyi Jiang setzten mit dem Programmiersystem Voreen die einzelnen Ebenen am Computer zusammen und ermöglichten so am Ende eine dreidimensionale Rekonstruktion der Gewebestruktur. Mit dem neuen Verfahren erzeugten die Wissenschaftler eine detaillierte räumliche Darstellung der Blut- und Lymphgefäße. Das machte es möglich, die Bilder im Anschluss an die räumliche Darstellung zu segmentieren, also in mehrere Regionen zu unterteilen. Die Forscher erhielten Daten über die wesentlichen Gewebeparameter: Welche Größe und Form haben die Gefäße im gesunden Gewebe? In welchem Muster sind sie miteinander verbunden und verzweigen sich? Aus diesen Parametern konnten sie Algorithmen für diese typischen Muster aufstellen.

In einem nächsten Schritt untersuchten sie die Hautbiopsie eines Patienten mit Lymphödem. Das dreidimensional visualisierte Bild zeigte deutliche Veränderungen in der Gefäßstruktur im Vergleich zu den gesunden Hautproben. Vor allem fiel auf, dass die Lymphgefäße teilweise fragmentiert waren. In einer vorherigen zweidimensionalen Untersuchung mit den klassischen Standard-Methoden war das nicht zu erkennen gewesen. Auch in der Datenanalyse zeigten sich deutliche Veränderungen im Vergleich zum gesunden Gewebe.

Die neue Methode zur Untersuchung von Gewebeproben nennen die Forscher VIPAR – als Kurzform für „volume information-based histopathological analysis by 3D reconstruction and data extraction“. Sie wollen die Methode weiter testen und hoffen, dass diese zukünftig dabei helfen kann, Lymphödemerkrankungen besser zu verstehen und detaillierter zu diagnostizieren. Darauf aufbauend könnten neue Therapieansätze entwickelt werden. Im kommenden Jahr starten erste Pilotstudien mit ausgewählten Patientenkohorten. René Hägerling ist sich sicher: „Es handelt sich um einen vielversprechenden Ansatz, der wahrscheinlich auch in anderen Organen und Gewebeproben angewandt werden kann.“

Finanzielle Unterstützung erhielt die Pilotstudie durch den Exzellenzcluster „Cells in Motion“ der Universität Münster, das Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster und den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich 656 „Molekulare kardiovaskuläre Bildgebung“ der Universität Münster.