Das ganze Universum in Münster
Eine Studentengruppe um die Wissenschaftler Tobias Brix und Aaron Scherzinger der Arbeitsgruppe VisCG unter Leitung von Prof. Dr. Hinrichs hat den wissenschaftlichen Visualisierungs-Wettbewerb (Scientific Visualization Contest, kurz SciVis Contest) gewonnen und sich damit gegen internationale Wissenschaftler durchgesetzt. Die Auszeichnung wurde im Rahmen der jährlichen Visualisierungskonferenz des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE Vis) verliehen, der weltweit größten Konferenz im Bereich der wissenschaftlichen Visualisierung.
Im jährlich ausgeschriebenen Wettbewerb erforschen Wissenschaftler weltweit innovative Visualisierungen zu aktuellen wissenschaftlichen Problemstellungen. Dabei entwickeln sie neue Verfahren, die aus komplexen Datensätzen nützliche und anschauliche Bilder erzeugen. In diesem Jahr sollten Bewerber nichts Geringeres als die Entstehung des Universums visualisieren.
In einem Projektseminar nahmen sich die Wissenschaftler mit vier Studenten Datensätze kosmologischer Simulationen vor, die an der Stanford University in Kalifornien entstanden. Physiker hatten die Entwicklung sogenannter dunkler Materie simuliert, also Materie, die zwar nur in der Theorie existiert, aber einen erheblichen Teil des Universums ausmachen soll. „Wir haben nun visualisiert, was eigentlich nicht zu sehen ist“, sagt Tobias Brix.
Mit der entwickelten Software lässt sich die dunkle Materie im Universum nun von allen Seiten betrachten. Mit wenigen Klicks kann man durch die Daten navigieren und an sogenannte Halos näher heranzoomen. Das sind lokale Ansammlungen dunkler Materie, die Galaxien wie die Milchstraße beherbergen können. Mit dem Programm können Anwender auch einzelne Partikel und ihre zeitliche Entwicklung genau verfolgen. Es ist auch möglich, einzelne Strukturen hervorzuheben, etwa besonders aktive Bereiche, in denen mehrere Halos miteinander verschmelzen.
Der Ansatz der Münsteraner erwies sich offenbar als Liebling vieler Gutachter des SciVis Contests. „Die Lösung bezieht viele unterschiedliche Aspekte ein. Das ist eine große Leistung angesichts der weitgefächerten Art des Problems. Es handelt sich um eine umfassende Software-Infrastruktur mit einem sehr sinnvollen Workflow“, schreibt die Jury über ihre Entscheidung. Viele Jurymitglieder und Wissenschaftler zeigten offenbar starkes Interesse daran, das System in ihrer täglichen Arbeit zu nutzen. Ein Gutachter sagte sogar, dass er noch nie eine Visualisierungs-Software für Fragen in der Kosmologie gesehen habe, welche so viele Features bietet. „Wir haben während des Projekts eng mit einem Physiker der WWU zusammengearbeitet. Er konnte uns sagen, welche Informationen unsere Software Physikern liefern sollte, damit sie wissenschaftlichen Fragen gut nachgehen können“, sagt Tobias Brix.
Informatiker aus Münster um Klaus Hinrichs konnten bereits zuvor beim SciVis Contest punkten. Im Jahr 2010 gewannen sie den ersten Preis für eine Visualisierungs-Software, mit der Ärzte vor einer Operation den Zugang zu einem Hirntumor planen können. Zwei Jahre später erreichten Wissenschaftler und Studenten den zweiten Rang mit einer Visualisierung des Verhaltens sogenannter ferroelektrischer Stoffe, die unter dem Einfluss elektrischer Felder die Richtung ihrer Polarisation ändern. Die Grundlage der Arbeit bei allen drei Wettbewerben war das Programm Voreen, das im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 656 "Molekulare kardiovaskuläre Bildgebung" an der WWU hauptsächlich für biomedizinische Visualisierungen entwickelt wurde. Mit der Software lassen sich unter anderem besonders große Datensätze visualisieren. Die erste Version des Programms entstand im Jahr 2005 und wurde seitdem ständig weiterentwickelt. Verschiedene Forschungsgruppen der WWU greifen auf das Programm und die Unterstützung der Informatiker zurück, etwa Medizinphysiker des Exzellenzclusters „Cells in Motion“, die mithilfe der Software den Blutfluss in Adern visualisiert haben.