Zwischen Kilikischem Taurus und Tigris – Glasierte Keramik des 8. bis 15. Jh. n. Chr. als Indikator kultureller Veränderungen? Vorstellung eines Projektes und ein Einblick in die Ergebnisse

Von 2019 bis Ende 2023 ermöglichte die Förderung der DFG einen bislang in der Forschung eher unbeachteten geographischen Raum hinsichtlich der Erforschung frühislamsicher glasierter Keramik in den Fokus zu stellen. Diese Arbeiten, die bereits publizierte, aber vor allem auch noch nicht publizierte Grabungsfunde aus Samosata und Doliche umfasste, verdichteten das Bild der frühislamischen Keramiklandschaft im abgesteckten Raum. Sie konzentrierte sich auf eine systematische Analyse und Einordnung vorliegenden Herstellungstechniken, Glasurauftragstechniken und Dekorationsformen sowie der Bestimmung ihrer Distributionsräume und -grenzen sowie ihrer (fein-)chronologischen Einordnung. Diese Ergebnisse bildeten dann die Grundlage für die Erforschung von Akkulturationsprozessen, Handelsnetzwerken innerhalb und außerhalb des abbasidischen Einflussgebietes sowie bilateraler Beeinflussung materiellen Kultur angrenzender Machtbereiche, exemplarisch anhand einer spezifischen Fundgruppe, der glasierten Keramik.
Da die Vorarbeiten bereits gezeigt hatten, dass das Spektrum glasierter Keramik von Fundplätzen der Kontaktzone des byzantinischen und des umayyadisch/abbasidischen Herrschaftsbereiches seit der Mitte des 7. Jhs., wertvolle Impulse bei Fragen zu Handelsbeziehungen und Austausch von Herstellungs- und Dekortechniken bietet, galt es also nun mit Hilfe einer umfassenden Materialanalyse unter Berücksichtigung der historischen Gegebenheiten der Fundorte u. a. zu erarbeiten, welche Rückschlüsse durch die Keramik auf Handelsbeziehungen, Wissensaustausch bzgl. Produktionstechniken und mögliche Akkulturationsprozesse konkret gezogen werden können. Wichtig war dabei, die stete Beachtung der konkreten historischen und geopolitischen Einbettung eines jeden herangezogenen Fundortes. Dies war notwendig, um sich von der Pauschalisierung der Zeit von der Mitte des 8. bis zur Mitte des 13. Jhs. als Herrschaftszeit der Abbasiden zu lösen. Das ʽAbbasidenreich’ war nicht nur außenpolitisch betrachtet durch Grenzverschiebungen kein starres Gebilde, was besonders bei der Betrachtung von Grenzregionen eine wichtige Rolle spielt. Vor allem auch innen-politische Entwicklungen veränderten das Herrschaftsgebiet ständig auf regionaler Ebene. Die Abbasiden waren stets mit reichsweit aufflammenden Herrschaftsansprüchen unter-schiedlicher Stammesfamilien konfrontiert. Letztlich bekleideten sie zwar bis in die Mitte des 13. Jhs. (Einfall der Mongolen) das Kalifat als religiöses Oberhaupt, doch hatten sie bereits in der Mitte des 10. Jhs. ihre militärische und politische Macht verloren, zunächst (nominell) an die Buyiden, Hamdaniden u.a. kleinere Stämme, denen ab Mitte des 11. Jhs. die Seldschuken, die Zengiden etc. folgten (Ducellier u.a. 2014; Kennedy 32016). Letztlich galt es also die sich ändernden innenpolitischen Gegebenheiten bei der Betrachtung der glasierten Keramik möglichst feinchronologisch zu analysieren, um Veränderungen, vor allem im Formenspektrum, aber insbesondere auch in Bezug auf Dekortechniken und die verwendete Motivik zu erkennen, um sie auf sich ändernde Einflussnahmen zurückführen zu können.

Eine sehr feine chronologische Einordnung der untersuchten Fundplätze und einer damit einhergehenden detaillierten Verknüpfung einzelner Grabungshorizonte mit den sich verändernden historischen Gegebenheiten (s.o.) war durch nur wenige sicher zu unterscheidende stratigrafische Sequenzen leider nur eingeschränkt möglich (u.a. Watson 1999, 86; Miglus - Stepniowski 1999, 20 f. mit Taf. 4a; Rousseau 2012, 19–118; Vokaer 2012; Falb 2012). Dies führte zu der Entscheidung, entgegen der zu Beginn ausschließlich in den Mittelpunkt gestellten glasierten Keramik dieser Epoche, auch das unglasierte Keramikmaterial möglichst umfassend in die Studien einzubeziehen.
So ließen beispielsweise Distributionsanalysen signifikanter Gefäßtypen (Kugeltopf mit horizontaler Griffleiste, bauchiger Topf mit spindelförmigem Hals, Krug mit Kragenrand, konischer Becher, kleiner nussförmige Behälter, verzierte Flachdeckel, im Model geformte Flaschen und Becher etc.) kongruierende Entwicklungen und Handelsräume mit spezifischen Typen glasierter Keramik erkennen. So konnte recht deutlich für die früh-abbasidische Zeit (Mitte 8. bis etwa 10. Jh.) ein »Kilikischer Handelsraum« mit potenziellen Produktionsorten in Tarsus, Misis, Antiochia abgesteckt werden (Bağçı 2017, 229). Nahezu analog zu den Beobachtungen bezüglich der glasierten Keramik, entsprach das Material vom Dülük Baba Tepesi, ebenso wie aus Zeugma und auch vom Tille Höyük, aber mehr dem aus Ar-Raqqa, Resafa, Dibsi Faraj, Kharab Sayyar oder auch Al-Hadir. Anhand der einfachen Gebrauchsware konnte dies auch bereits für die ausgehende frühbyzantinische und vor allem umayyadische Zeit belegt werden. Weiterhin zeigte die Verbreitung signifikanter Brittle Ware-Formen, einer im Nordsyrischen Raum typischen und weit verbreiteten Kochtopfware, dass Al-Hadir dann im frühen 12. Jh. (Auseinandersetzungen der Zengiden und Kreuzfahrer) offenbar engeren Austausch mit dem weiter südlich gelegenem Apameia pflegte. Zeitgleich bestimmen an Fundplätzen in der Region Adıyaman verzierte Töpfe mit bi-konischem Hals das Kochgeschirr, wie sie auch weiter westlich im kilikischen Raum zahlreich vorliegen, aber in Al-Hadir nicht nachgewiesen werden können (Rousset 2012).

Letztlich vervollständigte das Einbeziehen der einfachen Gebrauchs- und Kochtopfwaren die Untersuchung von Handelsräumen weitreichend und ergab ein vielschichtiges und komplexes Gesamtbild. Sie zeigte, dass sich die Verteilung bestimmter Gruppen glasierter Keramik mit denen von Gebrauchswaren sowohl decken konnten oder auch regional bis überregional voneinander unterschied. Diachron betrachtet ließ sich weiterhin feststellen, dass sich Distributionsräume flexibel entwickelten, nicht auf bestimmte Regionen festgelegt waren, in denen sich im Laufe der Jahrhunderte lediglich die vertriebenen Keramikgruppen änderten. Aufgrund fehlenden Materials, das sich sicher nach dem 14. Jh. einordnen lässt und/oder von dem der vorangehenden zwei Jahrhunderte zu unterscheiden ist, ließ sich der anfänglich abgesteckte zeitliche Rahmen bis zur Ausdehnung des Osmanischen Reiches im Untersuchungsraum (Ende 15./Anfang 16. Jh.) nicht ausreichend verfolgen, um Unterschiede, Veränderungen oder Traditionen auch für diese Zeit hinreichend herausarbeiten zu können. Deutlich aber ließen sich anhand der Keramik grundsätzliche Entwicklungen für die Zeit zwischen dem 8. und 13. Jh. n. Chr. aufzeigen, die zudem die Wichtigkeit der Keramikforschung auch für das Verständnis geopolitischer und großer historiographischer Fragen verdeutlichen konnten.
Keramik wird als alltägliches und von allen genutztes Fundgut nicht selten als Spiegel einer Gesellschaft angesehen. Und so ist die glasierte Keramik, wie auch das unglasierte Material, in der Tat ein Indikator kultureller Veränderungen. Leider aber begrenzen Fundumstände, eine mangelnder Feinchronologie etc. stets das Maß detaillierter Erkenntnisse im Mikrokosmos einzelner Fundorte. Bezüglich aber des Makrokosmos des abbasidischen Kalifats spiegelt die Keramik politische, historische und kulturelle Veränderungen. Es lässt sich durch den Blick auf die Keramik der umayyadischen Epoche die angestrebte Abgrenzung der Abbasiden von ihren Vorgängern ablesen. Die Umayyaden verfolgten eine Toleranzpolitik und griffen auf bereits bestehende Strukturen, so auch in der Keramikproduktion, zurück. Die Abbasiden hingegen strebten nach einem vereinten muslimischen Herrschaftsgebilde und grenzten sich durch neue Leitformen in der einfachen Gebrauchsware ab. Die Technik des Glasierens von Keramikerzeugnissen eröffnete zudem weitreichende Möglichkeiten der Identitätsstiftung. Das Schwinden des zentralisierten Einflusses auf innenpolitische Geschicke seit Mitte des 10. Jhs. ist wiederum im Keramikspektrum ab dem 11. Jh. sichtbar. Hinzu kommt der sich zu dieser Zeit auch intensivierende Kontakt mit dem Byzantinischen Reich, der vor allem bezüglich Dekor und Motivik neue Impulse bringt und in den sich veränderten Distributionsräumen dieser Zeit (s. o.) darstellt.
Projektleitung: Dr. Eva Strothenke-Koch
Publikationen zum Projekt:
- E. Strothenke-Koch, Glazed Pottery of the Doliche Urban Survey, 2017–2019, in: M. Blömer – E. Winter, Exploring urbanism in ancient North Syria, Doliche Urban Excavations I (Berlin 2022) 373–398.
- E. Strothenke-Koch, Glazed Pottery in the Doliche Monastery: Preliminary Considerations on Trading Routes and Their Limits between the Cilician Taurus and the Tigris, in: N. Kontogiannis – B. Böhlendorf-Arslan – F. Yenisehirlioğlu (Hrsg.), Glazed Wares as Cultural Agents in the Byzantine, Seljuk, and Ottoman Lands, 13th International ANAMED Annual Symposium at Istanbul, 6.–7. December 2018 (Istanbul 2021) 191–213.
- E. Strothenke, Filling a Black Hole with Multicolored Glazed Ceramics – the Spectrum of Glazed Pottery from Dülük Baba Tepesi (Gaziantep), in: XIth Congress AIECM3 on Medieval and Modern Period Mediterranean Ceramics Proceedings vol. 1, Antalya, October 2015, 19th–24th (Ankara 2018) 339–347.
- E. Strothenke-Koch, Zwischen Kilikischem Taurus und Tigris – Ein neues Projekt der Forschungsstelle Asia Minor zu glasierter Keramik des 9. bis 15. Jhs. n. Chr., in: Rundbrief 2018 des Historisch-Archäologischen Freundeskreises e. V. (Münster 2018) 23–27.
- E. Strothenke, Ausgewählte Funde glasierter Keramik vom Dülük Baba Tepesi, in: E. Winter (Hrsg.), Vom eisenzeitlichen Heiligtum zum christlichen Kloster, Neue Forschungen auf dem Dülük Baba Tepesi, Dolichener und Kommagenische Forschungen IX, AMS 84 (Bonn 2017) 263–302.
- E. Strothenke-Koch, Zwischen Kilikischem Taurus und Tigris. Glasierte Keramik des 8. bis 13. Jhs. n. Chr. als Indikator kultureller Veränderungen (in Vorbereitung).
Vorträge:
- Eva Strothenke-Koch, „Glasierte Keramik als Indikator kultureller Veränderungen – Ausgewählte Beispiele aus Doliche und Samosata (Südost-Türkei)“ (Archäologisches Kolloquium der Universität Bamberg, 21. Januar 2015).
- E. Strothenke, „Glazed Pottery of the East in the Doliche Monastery – Considerations on Trading Routes and their Limits between the Cilician Taurus and the Tigris“ (Glazed Wares as Cultural Agents in the Byzantine, Seljuk and Ottoman Lands: Evidence From Technological and Archaeological Research, 12th International ANAMED Annual Symposium at Istanbul, 6.–7. December 2018).
- E. Strothenke, „Glazed pottery as an indicator of political and historical changes? Archaeological and archaeometrical analyses on material of South–Eastern Anatolia“ (12th International Congress on Medieval and Modern Period Mediterranean Ceramics of the International Association for the Study of Medieval and Modern period Mediterranean Ceramics (Association Internationale pour l’Étude des Céramiques Médiévales et Modernes en Méditerranée: AIECM3), Athen 21.–27. Oktober 2018).
Kleine Auswahl weiterführender Literatur zum Thema:
- Y. Bağçı, Coloured Ceramics for the Caliphs (unpubl. Diss. 2017).
- B. Böhlendorf-Arslan, Glasierte Keramik aus der Türkei (Istanbul 2004).
- A. Ducellier u. a. Le Moyen Age en Orient, Byzance et l´Islam 5(2014).
- A. Eger, Hisn al-Tinat in the Islamic-Byzantine Frontier: Synthesis and the 2005-2008 Survey and Excavation on the Cilician Plain (Turkey), BASOR 357, 2010, 49–76.
- Ch. Falb, Die unverzierte frühislamische Keramik aus Kharab Sayyar, Nordostsyrien, Ausgrabungen in Kharab Sayyar 1 (Wiesbaden 2012).
- H. Kennedy, The Prophet and the Age of the Caliphates 3(New York 2016).
- M. Konrad, Der spätrömische Limes in Syrien, Archäologische Untersuchungen an den Grenzkastellen von Sura, Tetrapyrgium, Cholle du in Resafa (Mainz am Rhein 2001).
- R. B. Mason, Early Mediaeval Iraqi Lustre-Painted and Associated Wares: Typology in a Multidisciplinary Study, Iraq 59, 1997, 15‒61.
- S. Mitchell, Aşvan Kale, Keban Rescue Excavations, BAR 80 (Oxford 1980).
- J. Moore, Tille Höyük 1. The Medieval period, British Institute of Archaeology at Ankara, Monograph No. 14 (Oxford 1993).
- P. A. Miglus – F. M. Stepniowski, Formen, Verzierung und Verteilung der Keramik, in: Die frühislamische Keramik von Tall Aswad, Ar-Raqqa I (Mainz am Rhein 1999) 19–54.
- A. Northedge, Thoughts on the introduction of Polychrome Glazed Pottery in the Middle East, in: E. Villeneuve – P. M. Watson, La Céramique Byzantine et Proto-Islamique en Syrie-Jordanie (IVe‒VIIe siècles apr. J.-C.), Actes du colloque tenu à Amman les 3, 4 et 5 décembre 1994 (Beirut 2001) 207‒214.
- N. Özkul-Fındık, Human Figures on Ceramics from Misis in Medieval Anatolia, in: N. D. Kontogiannis u.a. (eds.), Glazed Wares as Cultural Agents in the Byzantine, Seljuk, and Ottoman Land (Istanbul 2021) 215–233.
- S. Redford, The Archaeology of the Frontier in the Medieval Near East: Excavations at Gritille (Philadelphia 1998).
- M.-O. Rousset, Al-Hadir. Ètude archèologique d`un Hameau de Qinnasrin (Syrie du Nord, VIIe–XIIe siècles), TMO 59 (Lyon 2012).
- E. Strothenke, Einfache Gebrauchswaren und Kochtopfwaren vom Dülük Baba Tepesi von der römischen bis in die islamische Zeit, Dolichener und Kommagenische Forschungen VI, AMS 80 (Bonn 2016) (Diss. Universität zu Köln 2015).
- E. Strothenke-Koch, Die spätantike und frühbyzantinische Keramik aus den Grabungen im Bereich der Badeanlage von Doliche, in: M. Blömer (Hrsg.), Doliche Urban Excavations II (Berlin 2025) (in Druck).
- A. Vokaer, La Brittle Ware en Syrie (Brüssel 2011).
- J. Vroom, Byzantine to Modern Pottery in the Aegean ‒ 7th to 20th Century ‒ An Introduction and Field Guide (Utrecht 2005).
- O. Watson, Report on the Glazed Ceramics, in: Die frühislamische Keramik von Tall Aswad, Ar-Raqqa I (Mainz am Rhein 1999) 81‒87.
- O. Watson, Ceramics from Islamic Lands. The Al-Sabah Collection, Kuwait National Museum (London 2004).