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Münster (upm/ch/kn)
Blick ins Labor: Dr. Sonja Schelhaas, Mitarbeiterin am EIMI der WWU, beantwortet beim Presserundgang die Fragen von ZEIT-Redakteur Fritz Habekuß.<address>© WWU - Norbert Robers</address>
Blick ins Labor: Dr. Sonja Schelhaas, Mitarbeiterin am EIMI der WWU, beantwortet beim Presserundgang die Fragen von ZEIT-Redakteur Fritz Habekuß.
© WWU - Norbert Robers

Blick hinter die Kulissen: Journalisten besichtigen Tierversuchslabor

"Ein ungewöhnlicher Schritt" – Pressetermin zur Vorstellung des "Leitbilds zum ethischen Umgang mit Tieren"

Die weiße Maus ist narkotisiert. Ihre kleinen, zierlichen Beine sind mit Klebestreifen auf einer Wärmeplatte fixiert. Auf der kahl rasierten Brust ist eine große Menge Gel verteilt. Darüber befindet sich ein Ultraschallkopf. Damit untersucht Richard Holtmeier, Mitarbeiter am European Institute for Molecular Imaging (EIMI) der Universität Münster, wie die Maus mit einem eingesetzten Kunststoff-Katheter in der Halsschlagader zurechtkommt. Auf dem Bildschirm des Ultraschallgerätes werden Infektionsherde im Körper sichtbar gemacht.

„Ohne die optische Bildgebung sehen wir Entzündungen nicht“, erklärt Prof. Dr. Michael Schäfers, Leiter des EIMI. Mit dem Experiment wollen die Forscher herausfinden, warum sich Bakterien an künstlichen Implantaten wie Hüften oder Knien sammeln. Zehn Minuten dauert die Untersuchung. Danach legt Richard Holtmeier die Maus vorsichtig in die Aufbewahrungsbox. „Wir brauchen die Tierversuche, da wir die Versuche nicht an Menschen durchführen können. Bis unsere Erkenntnisse für den Menschen nutzbar sind, dauert es sehr lange“, betont Michael Schäfers. In einer Versuchsreihe wird eine Maus durchschnittlich zweieinhalb Mal eingesetzt. Danach wird das Tier getötet und ihm für die weitere Erforschung Gewebe entnommen.

Im Labor tummeln sich nach einer Einladung der Pressestelle der WWU sieben Journalisten von Zeitungen und von einer Nachrichtenagentur. Neugierig schauen sie den EIMI-Mitarbeitern über die Schultern. Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es ist eng – jeder ist mit einem weißen Kittel bekleidet, jeder muss auf den anderen Rücksicht nehmen. Während die Wissenschaftler um Michael Schäfers ihren Arbeitsalltag schildern und drei Experimente zur Bildgebung vorstellen, gehen die Journalisten ihrem Job nach. Sie haken nach, schreiben fleißig mit. Anlass dieses Termins ist die einstimmige Verabschiedung des sechsseitigen „Leitbildes zum ethischen Umgang mit Tieren in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre“ durch den Senat der WWU im Oktober.

Mehr Transparenz gefordert

Journalisten in einem Tierversuchslabor an der WWU – das war bis vor Kurzem kaum vorstellbar. In den vergangenen Jahren wurden die Stimmen, die mehr Transparenz forderten, sowohl außerhalb der Universität als auch in der WWU jedoch lauter. Impulse zur Diskussion kamen aus der Studierendenschaft, aber auch Wissenschaftler setzten sich für mehr Offenheit ein. Die Idee, ein Leitbild zu entwickeln, wurde geboren und vom Rektorat unterstützt. Es folgte ein langes und mühevolles Ringen der interdisziplinär besetzten „Koordinierungskommission für tierexperimentelle Forschung“ um die Inhalte und Formulierungen.

2016 sollte das Leitbild dem Senat vorgelegt werden. Die Kommission informierte die WWU-Pressestelle. Klar war: Das Leitbild sollte einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Aber klar war auch: Es würde schwierig werden, auswärtige Journalisten davon zu überzeugen, zu einem Pressegespräch aus allein diesem Anlass nach Münster zu reisen. Für Journalisten ist es ungleich attraktiver, zu sehen und zu erleben, wovon die Rede ist – die Idee für einen Pressetermin mit Gesprächen und einem Einblick in ein Tierversuchslabor und die Tierhaltung war geboren. Die Pressestelle hatte bereits die Pläne mit den beteiligten Wissenschaftlern ausgearbeitet, als die Vorbereitungen doch wieder gestoppt werden mussten: Der Senat plädierte für eine öffentliche Anhörung, bevor das Leitbild verabschiedet werden sollte. Und bis dahin ruhte auch der Gedanke an Öffentlichkeitsarbeit.

Zwei Standpunkte, ein Leitbild

2017 folgte die öffentliche Anhörung. Im Oktober segnete der Senat das Leitbild ab – ohne Widerspruch oder Gegenstimmen. Nun griffen die Pressestelle und Wissenschaftler die Pläne für den Pressetermin wieder auf. Als Ergebnis sind an diesem Tag im November die sieben Journalisten zu Gast im EIMI. Bevor alle gemeinsam einen Blick ins Labor werfen, steht ein Pressegespräch auf dem Programm. Nach dem Laborbesuch wird es weitergehen zur Besichtigung der Zentralen Tierexperimentellen Einrichtung der Medizinischen Fakultät.

Dass Tierversuche ein umstrittenes Thema sind, wird schon bei der Vorstellung des Leitbilds klar. Biomediziner Prof. Dr. Stefan Schlatt ist Sprecher der Koordinierungskommission für tierexperimentelle Forschung. Er setzt unter anderem Affen für seine Forschungen ein und möchte dadurch Menschen helfen. Im Gegensatz zu Stefan Schlatt hält Kommissionsmitglied Dr. Johann Ach, der als Philosoph zu ethischen Problemen der modernen Medizin und zur Tierethik forscht, die meisten Tierversuche „für ethisch unzulässig“. Zwei konträre Meinungen, die in der Berichterstattung aufgegriffen werden.

„Endlich ehrlich“

Trotz ihrer unterschiedlichen Standpunkte vermitteln sowohl Stefan Schlatt als auch Johann Ach sachlich und konstruktiv ihre Anliegen. Mehrere Nachfragen gibt es zu der praktischen Durchsetzbarkeit des Leitbildes. Papier sei schließlich geduldig. Wie soll überprüft werden, dass die Wissenschaftler an der WWU die geforderte moralische Verantwortung gegenüber den empfindungsfähigen Tieren übernehmen? Das Positionspapier schaffe einen Orientierungsrahmen. Ob es sich in der Praxis bewährt, müsse die Zeit zeigen, schildert Johann Ach. Das Leitbild soll nicht nur von den wissenschaftlichen Mitarbeitern und Versuchsleitern getragen werden, auch das Rektorat der WWU befürwortet es. „Die Universität will mit dem vom Rektorat unterstützten und vom Senat verabschiedeten Leitbild deutlich machen, wo sie in dieser Frage steht“, verdeutlicht Prof. Dr. Monika Stoll, Prorektorin für Forschung an der WWU. Diese Botschaft greifen die Journalisten auf. Überschriften wie „Ein Leitbild für weniger Leiden“ oder „Endlich ehrlich“ geben diese Absicht im Presseecho der kommenden Tage wieder.

Die WWU wünscht sich eine sachliche, öffentliche Debatte, dafür ist auch Öffentlichkeitsarbeit nötig. Einen ersten Aufschlag für einen offensiveren und transparenten Umgang mit dem Thema Tierversuche hatte die Pressestelle bereits 2015 unternommen. Anlass war seinerzeit die Eröffnung des zweiten Tierschutzbüros an der WWU: Zusätzlich zum Tierschutzbüro der Medizinischen Fakultät eröffnete damals das Büro an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Die Pressestelle veröffentlichte einen doppelseitigen Beitrag zum Thema Tierversuche in der Juniausgabe der Unizeitung „wissen|leben“, inklusive eines sogenannten Streitgesprächs, in dem Stefan Schlatt und Johann Ach ihre konträren Standpunkte zum Ausdruck brachten.

Nach der Veröffentlichung folgte das Warten: Was passiert nun? Droht der Universität ein Imageschaden, falls Journalisten das Thema aufgreifen und über Tierversuche an der WWU berichten? Und es könnte noch schlimmer kommen – alle Beteiligten hatten Fälle anderer deutscher Forschungseinrichtungen im Hinterkopf, bei denen radikale Tierschützer Wissenschaftler auch persönlich angriffen. Nach einigen Wochen war klar: Es passierte – nichts. Das eine oder andere Lob für die umfangreiche Berichterstattung, ansonsten keine Reaktion.

Einblicke in die Tierhaltung

Zurück zum Besuch der Journalisten. Nach dem Pressegespräch und dem Besuch im EIMI geht es um das Thema Tierhaltung, denn die artgerechte Haltung der Versuchstiere für Forschungszwecke zählt ebenfalls zur Verantwortung der Wissenschaftler. Einblicke in die Tierhaltung an der WWU erhalten die Journalisten in der Zentralen Tierexperimentellen Einrichtung (ZTE). Dort sind neben Ratten, Schweinen und Zebrafischen 14 weiße Kaninchen für die Versuchstierkunde-Kurse untergebracht. Die Kaninchen leben in kleineren Gruppen zusammen und können sich in den mit Stroh ausgelegten drei Boxen frei bewegen.

Wer die ZTE betritt, dem schlägt ein strenger Geruch nach Tier entgegen. Normalerweise kommen Besucher nicht ohne Weiteres in die Räume. Das Gebäude ist gut gesichert, nicht zuletzt, um zu verhindern, dass Keime eindringen. Deshalb sind Mundschutz, Kittel, Handschuhe und Schuhüberzieher für jeden, der mit den Tieren in Kontakt kommt, Pflicht. Hinter den Käfigstangen turnen Weißbüschelaffen und Makaken herum. Bevor Stefan Schlatt die Journalisten in den Raum der Makaken lässt, fragt er die Gruppe, warum wohl die Affen gebannt über die blaue Tür mit Sichtfenster gucken. Die Erklärung ist einfach: Die Affen schauen Fernsehen, damit sie beschäftigt sind. „Wir diskutieren immer wieder darüber, wie viel Fernsehen am Tag gesund ist. Grundsätzlich geht es unseren Tieren hier besser als in jedem Nutztierstall“, unterstreicht Stefan Schlatt.

Ein ungewöhnlicher Schritt

Das Thema Tierversuche ist umstritten und wird es bleiben. Doch vielerorts ändert sich der Umgang mit dem Thema – auch an der WWU ist es mittlerweile sichtbarer als früher. 2017 kam mit Prof. Dr. Helene Richter eine Professorin für Verhaltensbiologie und Tierschutz an die WWU – die Professur ist in Nordrhein-Westfalen die einzige ihrer Art. Mit dem neuen Leitbild setzt sich die Universität Münster nicht zuletzt für einen transparenten Umgang mit Tierversuchen in der Öffentlichkeit ein. Der Laborbesuch am EIMI und die Führung durch die ZTE sind ein Anfang, den ein Journalist als einen „ungewöhnlichen Schritt“ bezeichnete ...

Christina Heimken und Kathrin Nolte

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