"Familie ist eine gemeinsame Unternehmung, die idealerweise von zwei Elternteilen getragen wird."
Biografien, familiäre wie akademische, sind notwendigerweise persönlich und individuell. Meine Erfahrungen können daher nur als ein Beispiel, nicht als Regel gelten. Als ich vor drei Jahren an die WWU berufen wurde, war gerade unser drittes Kind geboren. Mit meinem Dienstantritt bekam meine andere Tochter, gerade fünf Monate alt, einen der "Mitarbeiterplätze" in der KiTa des Studentenwerks. Ebenso meine älteste Tochter, gerade fünf Jahre alt. Das war für mich und uns eine enorme Unterstützung seitens der WWU und, wie sich bald herausstellte, auch seitens der KiTa durch die großartige Betreuung, die unsere Mädchen dort genossen.
Ich habe mitunter gehört, dass nicht alle Mitarbeitenden es so einfach haben. Ein weiterer Ausbau von KiTa-Plätzen, vor allem im U3-Bereich, wäre hier sicherlich hilfreich. Schwieriger gestaltete sich in unserem Fall zwei Jahre später die Suche nach einem Ü3-Platz für unsere Jüngste. Auch dieses Problem ließ sich mit WWU-Unterstützung lösen, allerdings hätte die Zitterpartie mit einem größeren Uni-Kontingent an solchen Betreuungsplätzen auch weniger spannend ablaufen können.
Positiv entgegen kam uns außerdem, aber das mag auch fachbereichsabhängig sein, dass ich sofort auf Entgegenkommen stieß, die Stelle nicht wie ausgeschrieben zum 1. Oktober, sondern erst zum neuen Jahr anzutreten. Wie an meiner früheren Universität konnte ich außerdem mit meiner sehr kleinen Tochter weiter Fortbildungen wahrnehmen, wobei die Unterstützung hier teilweise mehr den Durchführenden zuzurechnen zu sein schien als einer entsprechenden universitären Struktur. Meine kleine Tochter habe ich zu Beginn nachmittags mit im Büro gehabt, wo sie auf einer Decke spielen und schlafen konnte. An schulfreien Tagen begleiten mich und meinen Kollegen selten auch die größeren Kinder.
Unterstützende Strukturen können auch vor allem den Neueinstieg für eine Familie stark erleichtern. In der Regel kommen wir an neuen Dienststellen an ohne bereits bestehendes soziales Netzwerk . Die Großeltern sind meist nicht (mehr) in erreichbarer Nähe. Freunde für Kinder, Freunde unter anderen Eltern, Babysitter usw. müssen erst wieder neu gefunden werden. Hier wären kreative Unterstützungsangebote gefragt: So konnte ich an einer anderen Universität, zu der ich zum Vortrag eingeladen war, flexibel Betreuungsstunden für meine kleine Tochter in einer kleinen Kindergruppe auf dem Campus buchen.
Kolleginnen anderer Standorte berichteten ebenfalls von kleinen nahe gelegenen Anlaufstellen für terminliche Engpässe, Ferienzeiten, KiTa-Schließzeiten, in denen die Kinder flexibel bei Bedarf betreut werden könnten. Für die WWU wäre es insbesondere durch die stundenweise Zusammenarbeit mit einer festen Gruppe externer Tagesmütter möglich, so eine "buchbare" Betreuung flexibel zu realisieren, da dann nur ein passender Ort auf dem Campus organisiert werden müsste.
Als wesentliche Hilfe habe ich es außerdem empfunden, in meiner neuen Arbeitsgruppe nicht mehr die einzige mit kleinen Kindern zu sein. Das gegenseitige Verständnis für Flexibilität und für die Notwendigkeit einer teils vom Beruflichen abweichenden Prioritätensetzung erfordert entweder eigene Erfahrung und Betroffenheit oder aber klare diesbezügliche Strukturen. Ich habe von ersterem profitiert, zweiteres würde ich mir von WWU-Seite noch verstärkt wünschen.
Dazu gehört aus meiner Sicht ebenso, eine Kultur voranzubringen, in der späte Sitzungstermine und Veranstaltungen möglich, aber nicht selbstverständlich sind, familienfreundliche Kernarbeitszeiten beworben und als Standard vertreten werden und es ein Anliegen ist, Sitzungsleitende zu einer Transparenz in Ablauf und Länge solcher Termine anzuleiten.
Vielfach ist das Ende solcher Sitzungen bei uns nicht nach hinten terminiert, oder Terminierungen werden nicht eingehalten. Etliche Mal habe ich mich bereits nach Ablauf der regulären Zeit als erste verabschieden müssen, während die Sitzung noch weiterlief.
In unserem Institut sind wir beiden Professoren diejenigen mit kleinen Kindern, während fast alle anderen kinderlos bzw. mit bereits erwachsenen Kindern sind. Daher ist wenig zu berichten über unsere Maßnahmen, den Mitarbeitenden das Berufsleben familienfreundlich zu gestalten. Auf der anderen Seite fängt die Notwendigkeit einer Work-Life-Balance ja nicht erst mit Kindern an. Daher bemühen wir uns, bereits jetzt andere individuelle Rahmenbedingungen wie z.B. lange Anfahrtswege flexibel in der Planung von Arbeitszeiten und die Terminierung von Veranstaltungen und Besprechungen einzuplanen. Homeoffice ist in gewissem Rahmen möglich, notwendige Reduzierungen werden von uns unterstützt.
Wir beide mit kleinen Kindern müssen das selbst ab und zu spontan in Anspruch nehmen. Jedes Kind bedeutet mindestens eine "Sollbruchstelle" mehr im wohlaustarierten Gesundheitssystem Familie, denn schließlich können auch eingeplante Betreuungspersonen ausfallen, was oftmals vormittags der Fall ist, wenn die Kindersitter selber arbeiten bzw. studieren. Im Zweifelsfall muss klar sein: Das Wohl der Kinder ist wichtiger als jeder Termin bzw. jede Sitzung. Hier wäre es gut, wenn auch die WWU insgesamt so einen Standard setzen würde.
Eine wichtige Aufgabe für uns Leitende und auch die Universität sehe ich darin, insgesamt eine Kultur zu etablieren, in der Mütter wie Väter besondere Regelungen in Anspruch nehmen können und dies auch tun wollen.
Auch sollten nicht nicht Kollegen ohne Kinder bzw. mit weniger Betreuungsverantwortung das Maß setzen für die Zeiten und Längen von Arbeitstagen. Dazu gehört für mich auch, Mails nicht zu jeder Uhrzeit und nicht am Sonntag zu versenden oder zumindest glaubhaft zu vereinbaren, dass darauf keine direkte Antwort erwartet wird, Termine für Arbeitsbesprechungen auf Konsens abzusprechen und ihre Zeitdauer zu terminieren.
Ein häufiges Familienmodell im Kreis der mir bekannten Kollegen ist noch immer: eine Professur beim einen Partner, eine maximal Halbtagsstelle beim anderen Partner. Da mein Mann zeitgleich mit mir ebenfalls eine Professur angetreten hat, sieht das bei uns anders aus. Eine im Umfang reduzierte Professur ist in weiten Bereichen der universitären Landschaft absolut unüblich, und ich kenne eine Vielzahl von Argumenten dagegen. Dennoch frage ich mich, ob sich nicht hier hinter auch eine Menge familienfreundlicher Lebensentwürfe verbergen könnte.
Was könnte ich allgemein noch festhalten? Familie ist eine gemeinsame Unternehmung, die idealerweise von zwei Elternteilen getragen wird. Mir hat in meiner Karriere entscheidend geholfen, dass wir als Eltern uns stets eine große gegenseitige Unterstützung haben zukommen lassen, die mal dem einen, mal der anderen größere Spielräume verschaffte. Dazu gehörte ebenso der Einbezug von Eltern, Freunden und Netzwerken mit anderen Eltern usw. Wir haben dabei immer wieder die Entscheidung getroffen: Es geht nicht alles.
Manche Versuchungen würde ich daher auch für mich meiden, wenn sie einen Konflikt mit der Familie bedeuten könnten. Ich habe mich nicht auf alle freien Stellen beworben. Das gleiche gilt auch für den Alltag. Da gilt es doch oft, Abstriche zu machen und auch mal Fünfe gerade sein lassen. Ein Tag hat nur 24 Stunden, davon sind ein paar zum Schlafen da. Manche Dinge brauchen dann auch etwas länger – in meinem Fall beispielsweise Studium und Promotion.
Wir müssen immer wieder Entscheidungen treffen: sowohl für die einen Lebensentwürfe als auch gegen die anderen.
Susanne Heinicke ist Professorin des Instituts für Didaktik der Physik an der WWU.