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Münster (upm).
Vier trauernde Menschen stehen vor einem Portraitfoto von Papst Franziskus mit Trauerflor.<address>© picture alliance/dpa | Peter Kneffel</address>
Ein Bild mit Trauerflor von Papst Franziskus steht während eines Gottesdienstes vor dem Altar der Frauenkirche, dem Münchener Dom.
© picture alliance/dpa | Peter Kneffel

„Papst Franziskus hatte keine theologischen Starallüren“

Theologe Michael Seewald zieht eine Bilanz des Pontifikats von Papst Franziskus

Papst Franziskus ist am Ostermontag im Alter von 88 Jahren gestorben. Michael Seewald, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster, zieht im Gespräch mit Norbert Robers eine Bilanz seines Pontifikats.

Viele Menschen betonen, dass sie Papst Franziskus vor allem als „sehr nahbar“ in Erinnerung behalten werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Franziskus war nahbar, wenn er sich als Seelsorger zeigen konnte. Begegnungen mit Einzelnen, die bislang eher am Rande standen, waren seine Stärke. Als oberste Leitungsperson der katholischen Kirche konnte er aber auch unnahbar sein. Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln, wurde nach zahlreichen Skandalen rund um seine Amtsführung durch den Papst aufgefordert, seinen Rücktritt anzubieten. Das Rücktrittsschreiben aus dem Jahr 2022 blieb jedoch bis zum Schluss unbeantwortet. Die Folge war eine jahrelange Hängepartie, die das Erzbistum Köln bis heute beutelt.

Wiederum andere beschreiben ihn als den „Unvollendeten“. Aber gilt das nicht für jeden Papst?

In der Tat: Jedes Pontifikat ist ein unvollendetes. Die Päpste nehmen sich, wie vermutlich die meisten Menschen, mehr vor, als sie umsetzen können. Das ist auch richtig so, denn ein vermeintlich vollendetes Pontifikat wäre ein Pontifikat, an dessen Ende Stillstand geherrscht hätte. Das ,Unvollendetbleiben‘ ist der Preis für einen Tatendrang, den Franziskus sich bis zum Schluss bewahrt hat.

Portraitfoto Prof. Dr. Michael Seewald<address>© Simon Camp</address>
Prof. Dr. Michael Seewald
© Simon Camp
Was waren seine größten Leistungen?

Der Papst wirkte mit seiner Wirtschaftskritik und seiner Umweltethik weit über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus. Er ist zu einer Stimme der Benachteiligten geworden und hat den Schutz des Klimas mit einer Vehemenz eingefordert wie kein Papst vor ihm. Im Dialog mit anderen Religionen hat Franziskus durch die Erklärung von Abu Dhabi, die die Vielfalt der Religionen als gottgewollt bezeichnet, neues Terrain erschlossen. Seine Reformbilanz innerhalb der katholischen Kirche fällt hingegen gemischt aus. Was die Rechte von Frauen oder die Stellung gleichgeschlechtlicher Paare angeht, blieb es eher bei Rhetorik und einigen zeichenhaften Handlungen. Konkrete, theologisch durchdachte und kirchenrechtlich abgesicherte Schritte hat Franziskus vermieden.

Viele Deutsche messen Papst Franziskus tatsächlich vorrangig daran, dass er sich in puncto Sexualmoral und die Stellung der Frauen in der Kirche nicht als Modernisierer erwiesen hat. Er selbst hat immer wieder betont, dass er nicht nur die Stimmung in Deutschland, sondern in der Weltkirche im Blick behalten müsse ...

Das ist richtig, aber die katholische Kirche in Deutschland ist eben auch ein Teil dieser Weltkirche. Daher können Fragen, die in Deutschland drängen, nicht einfach als weltkirchlich irrelevant abgetan werden. Bei näherem Hinsehen sind diese Fragen auch alles andere als randständig. Über die Zulassung von Frauen zum Priesteramt oder eine wertschätzende Haltung gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wird in vielen anderen Ländern ebenso intensiv diskutiert wie in Deutschland. Weltkirchliche Verbundenheit kann nicht bedeuten, dass derjenige, der das kleinkarierteste Verständnis von der Einheit der Kirche pflegt, bestimmen darf, was mit dieser Einheit vereinbar ist und was nicht.

Deutlich war Papst Franziskus indes, wenn er mitunter die Zustände innerhalb der römischen Kurie und das Verhalten mancher Würdenträger kritisch kommentierte. Hat er infolgedessen auch Reformen und Veränderungen angestoßen oder sogar umgesetzt?

Franziskus hat eher die Kultur des Miteinanders in der Kirche verändert. Das sollte man nicht unterschätzen. Die katholische Kirche hat sich, im Vergleich zum Amtsantritt des Papstes vor gut dreizehn Jahren, grundlegend gewandelt. Sein Vorgänger, Papst Benedikt XVI., versuchte das, was er für die Wahrheit des katholischen Glaubens hielt, durch eine repressive Stimmung zu bewahren. Geistliche, die öffentlich über die Priesterweihe von Frauen sprachen, hatten Sanktionen zu befürchten. Homosexualität war ein Tabuthema. Solche Themen sind mittlerweile besprechbar geworden.

Apropos Vorgänger: Papst Benedikt XVI. galt als großer Theologe. Kann man das auch von Papst Franziskus behaupten?

Vermutlich nicht. Franziskus wollte aber auch nie ein großer Theologe sein. Anders als manche seiner Vorgänger, denen man theologische Eitelkeit – um nicht zu sagen: Besserwisserei – nicht absprechen konnte, hatte Franziskus keine theologischen Starallüren. Dadurch konnte die Theologie umso freier agieren.

Umwelt- und Klimaschutz, der Gaza-Konflikt, Migrations-Fragen, der Ukraine-Krieg: War Papst Franziskus zu viel oder zu wenig Politiker?

Die politische Bilanz des Papstes ist durchwachsen. In manchen Dingen, etwa was seine Haltung zum Krieg in der Ukraine angeht, hat er einen irrlichternden Eindruck gemacht. In anderen Fragen hingegen war er urteilsfest und stilsicher. Während die US-amerikanische Gesellschaft die ersten Monate der neuen Amtszeit von Präsident Donald Trump in Schockstarre beobachtet und sich bis vor kurzem kaum öffentlicher Protest geregt hat, wusste Franziskus schnell, was zu tun war. Anfang Februar diesen Jahres, wenige Tage nach Trumps Amtseinführung, schrieb er einen Brandbrief an die US-amerikanischen Bischöfe, in dem er das, was sich in den USA abspielte, als ,große Krise‘ bezeichnete. Er hat dem amerikanischen Katholizismus, der eng mit dem politischen Konservatismus und dem ,Trumpismus‘ verbunden ist, in diesem Brief die Leviten gelesen. Die Bischöfe forderte er zum öffentlichen Widerspruch gegen die Massenabschiebungen auf, mit denen sich die neue Regierung nun brüstet. Während viele Politiker, auch in Europa, sich eher still verhalten, weil sie diplomatische und wirtschaftliche Konsequenzen fürchten, wenn sie die USA zu offen kritisieren, hat Franziskus kein Blatt vor den Mund genommen.

Wird es beim kommenden Konklave um einen Richtungsentscheid gehen, beispielsweise in Fragen der inneren Reformbereitschaft oder der „Politisierung“ des Papstamtes, oder wird dies in der Öffentlichkeit überschätzt und es geht schlicht und einfach darum, eine Mehrheit für einen geeigneten Kandidaten zu finden?

Es geht vermutlich um beides. Mehrheiten gruppieren sich ja nicht nur um Personen, sondern auch um Positionen.

Trauen Sie sich zu, einen Favoriten zu benennen?

Nein. Der folgende Spruch gilt noch immer: Wer als Papst in das Konklave einzieht, kommt als Kardinal wieder raus.