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Münster (upm/jh).
Citizen-Science-Logo der Universität Münster<address>© Designservice</address>
Citizen Science in Deutschland ist die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit an wissenschaftlichen Forschungsprojekten: Interessierte Laien und (Fach-)Wissenschaftler*innen schaffen gemeinsam neues Wissen.
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Die eigene Herkunft im Fokus

Universitätsstiftung Münster prämiert im Citizen-Science-Wettbewerb zwei Projekte

Die Universitätsstiftung Münster zeichnet zwei bürgerwissenschaftliche Forschungsvorhaben mit dem Citizen-Science-Preis aus. Die beiden Forschungskooperationen erhalten jeweils 7.500 Euro – die Preisverleihung findet am 10. April statt. In zwei kurzen Porträts stellen wir die Preisträgerinnen und Preisträger vor.

 

DNA-Tests als Waren und populäres Vergnügen

Ein Mann und zwei Frauen sitzen auf bunten Stoffwürfeln, schauen in die Kamera und haben einen Laptop in der Hand.<address>© Carmen Möller-Sendler</address>
Die Projektverantwortlichen vom Verein für Computergenealogie (Georg Fertig), vom Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie (Prof. Dr. Elisabeth Timm, M.) und vom LWL-Naturkundemuseum (Friederike Ehn) freuen sich über den Citizen-Science-Preis. Vierter Projektpartner ist die Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung.
© Carmen Möller-Sendler
Entfernte Verwandte finden oder die eigene ethnische Zugehörigkeit und biogeografische Herkunft ermitteln – frei verkäufliche DNA-Analysen versprechen dazu Informationen. Seit einigen Jahren gibt es solche Angebote auch für den deutschen Markt. Der damit verbundene Hausgebrauch dieser Hochtechnologie wurde in Deutschland bisher jedoch weder wissenschaftlich dokumentiert noch analysiert. „Wie Laien, die oft vertiefte Kenntnisse im Umgang mit historischen Quellen haben, mit dem neuen Angebot genetischer Daten zur Familienforschung umgehen, wie sie die Möglichkeiten einschätzen, verwenden oder kritisieren, darüber wissen wir bislang zu wenig“, sagt Prof. Dr. Elisabeth Timm vom Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Münster.

Hier setzt das bürgerwissenschaftliche Projekt „Erzählen Deine Gene Dir Deine Geschichte?! DNA-Tests als Waren und populäres Vergnügen“ an, das von der Universitätsstiftung Münster mit dem Citizen-Science-Preis ausgezeichnet wird. Es untersucht und dokumentiert den alltäglichen Gebrauch, die Motive und die Kritik der Nutzung von genetischen Analysen in der Genealogie. Denn bislang findet die lebendige und kritische Diskussion darüber vor allem innerhalb der Szene der populären Familienforschung in Mailinglisten und digitalen Foren statt. Nun soll all dies der interessierten Öffentlichkeit im LWL-Museum für Naturkunde Münster an der Sentruper Höhe präsentiert werden. Dort ist seit Juni 2024 die Sonderausstellung „Gene – Vielfalt des Lebens“ zu sehen. „Wir freuen uns über die geplante bürgerwissenschaftliche Werkstatt und die Veranstaltungen in unserer Ausstellung“, sagt Museumsdirektor Dr. Jan Ole Kriegs.

„Ehrenamtliche Familienforscherinnen und -forscher verfügen oft über sehr viel Erfahrung, Daten aus historischen Quellen zu strukturieren und zu interpretieren“, erklärt der Vorsitzende des Vereins für Computergenealogie, Georg Fertig. Die Beteiligung der Westfälischen Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung stelle das Projekt zudem auf eine regionale bürgerwissenschaftliche Basis, ergänzt deren Geschäftsführer Uwe Standera. Mit ethnografisch-qualitativen Methoden wollen die Beteiligten 20 Interviews führen und auswerten, wie die Menschen, die solche DNA-Tests verwenden, mit den Daten umgehen. Die Ausstellung im Naturkundemuseum fungiert als Plattform für Sachinformationen und als Forum für öffentliche Veranstaltungen mit Führungen und Diskussionen sowie später als Ort für die Ergebnispräsentation. Darüber hinaus plant das Team, die Ergebnisse auf der Projekthomepage und der frei zugänglichen Plattform GenWiki sowie in wissenschaftlichen Fachpublikationen zu veröffentlichen.

 

Heimat im Spiegel von Migration und Kolonialisierung

Sieben Personen stehen neben einer Holzkonstruktion in Form eines Hauses im Foyer des Schlosses. An dem Haus sind lange mit Text bedruckte Rollen aufgehängt.<address>© Uni MS - Julia Harth</address>
Das Team um Yash Gupta (2. v. l.) und Dr. Eckhard Kluth (3. v. l.) präsentiert die Installation vom 14. bis 17. April im Schlossfoyer.
© Uni MS - Julia Harth
Was ist Heimat? Wo befindet sie sich? Und welche Rolle spielt das Erbe von Kolonialisierung und Migration in diesem Zusammenhang? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Citizen-Science-Projekts „Homes|Heimat: Postkolonialismus, Narrative, Fotografie“. Einem Aufruf der Zentralen Kustodie im Frühjahr 2024 folgte ein kleines Team von internationalen „students of colour“ unter der Leitung des Anglistik-Studenten Yash Gupta, das mit einem vielfältigen Forschungsdesign die Migrationsgeschichten von Studierenden aus postkolonialen Kontexten beleuchtet. „Der Kolonialismus ist keine abgeschlossene historische Episode, sondern eine dauerhafte Struktur, die das Leben vieler Menschen über Generationen hinweg bis heute prägt“, erklärt der 25-jährige gebürtige Inder, der als studentische Hilfskraft am Englischen Seminar bei Prof. Dr. Mark U. Stein und im Kulturbüro arbeitet.

Das Projekt ist partizipativ angelegt: Die Studierenden sind gleichzeitig Befragte und als Co-Kuratoren kontinuierlich in die Denk- und Entscheidungsprozesse einbezogen. Als Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler generieren und interpretieren sie Daten und überwachen das Projektmanagement. Historische Familienfotos und persönliche Erinnerungen flossen ebenso in das Projekt ein wie Erzählungen aus verschiedenen afrikanischen, amerikanischen und asiatischen Ländern. „Ziel ist es, herauszufinden, wie sich die imperiale Vergangenheit Münsters mit den persönlichen Erlebnissen von Studierenden überschneidet, und wie Kolonialgeschichten noch heute den Alltag und das Verständnis von Zugehörigkeit prägen“, erläutert Yash Gupta. „Das Projekt kommt einem neuen Begriff von Heimat auf die Spur“, ergänzt Kustos Dr. Eckhard Kluth, „indem es die Menschen mit ihren persönlichen Erfahrungen und Geschichten in den Fokus rückt.“

Meilenstein war im vergangenen Herbst eine einwöchige Pilotausstellung mit einer Holzinstallation in Form eines Hauses, in der transkribierte Erzählungen, Fotos und künstlerische Artefakte versammelt sind und die seither stetig weiterentwickelt wurde. Mit dem Preisgeld des Citizen-Science-Wettbewerbs der Universitätsstiftung Münster in Höhe von 7.500 Euro finanziert das Team eine Wanderausstellung, die in Kulturzentren und Bildungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen Station machen soll und von Vorträgen und einer Publikation flankiert wird. Damit dient sie als Basis für weiteren Austausch, denn „obwohl Menschen mit Migrationsgeschichte sich vielfach in die Stadtgesellschaft einbringen, werden sie oft eher als Gäste denn als integrale Mitglieder des Stadtgefüges wahrgenommen“, sagt Yash Gupta. Die interaktive Ausstellung fülle eine Lücke, indem sie Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit zusammen und in einen Dialog über die Bedeutung und Funktion von Heimat bringe.

 

Veranstaltungshinweis:

Die Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) und die Universitätsstiftung Münster laden unter dem Titel „mitmachen – mitdenken – mitforschen“ zu einem Nachmittag für bürgerschaftliches Engagement in Wissenschaft und Forschung ein. Beginn ist am 10. April (Donnerstag) um 16 Uhr in der Studiobühne, Domplatz 23. Passend zum internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie bieten spannende Mitmach-Experimente bis 19 Uhr faszinierende Einblicke in die Quantenphysik. Höhepunkt ist die Ehrung der Siegerprojekte des Citizen-Science-Wettbewerbs 2024 der Universitätsstiftung Münster ab 17 Uhr. Die Keynote der Feierstunde greift ebenfalls das Thema Quantenphysik auf: Prof. Dr. Iris Niehues vom Physikalischen Institut gibt anschauliche Einblicke in das Thema „Quantenmaterialien erobern die Welt – wenn Stoffe auf kleinster Skala Großes bewirken“. Der Eintritt ist frei, die Anmeldung ist online möglich.

Autorin: Julia Harth

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 2. April 2025.

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