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Münster (upm).
Das Bild zeigt Moritz Baßler auf einem Stuhl sitzend vor einer Regalwand, in der Schallplatten und Bücher stehen.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Ob Vinyl-Schallplatte oder handfestes Buch: Dr. Moritz Baßler, Professor für Neuere deutsche Literatur am Germanistischen Institut der Universität Münster, hat ein zugeneigtes Verhältnis zu (scheinbar) alten Medien.
© Uni MS - Johannes Wulf

Bauen Sie sich eine Bibliothek auf!

Moritz Baßler ist Literaturwissenschaftler und Buchnostalgiker – ein Gastbeitrag

Früher riet ich all meinen Studierenden: „Kaufen Sie sich Bücher!“, „Bauen Sie sich eine Bibliothek auf!“ Heute käme ich mir mit diesem Appell seltsam vor. Bücherwände, lange Zeit als Hintergrund von Porträtfotos und Interview-Situationen beliebt, wirken inzwischen eher als Indiz dafür, dass jemand alt geworden ist, und weniger als Ausweis von Intellektualität. Dabei stand ich früher, wenn ich eine fremde Wohnung betrat, immer zuerst vor den Bücherregalen; einige davon haben mich schwer beeindruckt (ich erinnere mich zum Beispiel an das des Leiters einer schwedischen Heimvolkshochschule mit seiner Auswahl internationaler Klassiker, alle in Originalsprache), manche haben mich fürs Leben geprägt. Bücher waren, so schien es, das Erbe des Abendlands. Kürzlich rief mich samstags ein Antiquar an, der eine Wohnung aufzulösen hatte, ich solle schnell noch vorbeikommen und mir was aussuchen. Es war zum Heulen – die Summe eines gelehrten Lebens in Form von liebe- und geschmackvoll bestückten Bücherwänden war mit dem Tod ihres Besitzers von einer Minute auf die nächste zu Altpapier geworden. Niemand hat mehr Verwendung für Bibliotheken; am Montag sollte der Müllcontainer kommen.

Auch im germanistischen Seminarraum sieht man heute kaum noch ein Buch, nicht mal die Kurslektüre liegt mehr auf dem Tisch, man hört kein Blättern mehr, kein Kratzen von Bleistiftanstreichungen, alles starrt auf elektronische Endgeräte. Wie die Vinyl-Schallplatte oder der faltbare Stadtplan ist das „kleine Parallelepiped“, wie der französische Philosoph Michel Foucault das Buch mal nannte, mit seinem bunten Umschlag, seinen Gebrauchs- und Lesespuren ein Ding für Nostalgiker geworden, Nostalgiker wie mich.

Aber kann das überhaupt stimmen? Werden nicht immer noch massenhaft Bücher verkauft, verschenkt und gelesen? Was ist mit den langen Schlangen vor den Fantasy-, Young- und New-Adult-Ständen auf den Buchmessen, in denen begeisterte junge Menschen mit Bücherstapeln auf dem Arm stundenlang ausharren, um ein Autogramm ihrer Lieblingsautorin zu bekommen? Und was sind das zum Teil für schöne Objekte, Sammelstücke, liebevoll gestaltet, mit Farbschnitt wie einst Urgroßvaters Klassikerausgaben!

Vielleicht ist also gar nicht das Buch in der Krise, sondern das, wofür es früher mal stand: Bildung, Wissen, Intellektualität, Diskurs, und ja, auch Distinktion, Status und Prestige. All das transportieren die Bücher, die gerade geliebt, gelesen und auf BookTok besprochen werden, ja eher weniger; entsprechend werden sie auch selten zur Seminarlektüre. Stattdessen sind es Fan-Objekte, die leicht rezipierbare Wohlfühlwelten für ihre jeweiligen Stilgemeinschaften zur Verfügung stellen. Das geschieht meist nach bewährten Rezepten, sicher, aber es geschieht eben auch niedrigschwellig: Niemand wird aus Bildungsgründen ausgeschlossen. Auch verlangen diese Romane nicht nach Kontextwissen, Kommentar oder Interpretation. Anders als bei traditioneller Literatur würden vermutlich weder sie noch ihre Leserinnen und Leser von meiner literaturwissenschaftlichen Expertise profitieren. Und wenn das ein Problem ist, dann offensichtlich meins.

Sind diese Bücher überhaupt noch Objekte von derselben Art wie die Bücher vergangener Jahrhunderte oder sehen sie nur so aus? Kann man sich ein Bücherregal der Zukunft denken, auf dem Colleen Hoover zwischen Arno Holz und Kim de l’Horizon steht und Sarah J. Maas einträchtig in einer Reihe mit Maurice Maeterlinck und Thomas Mann? Oder gehören Hoover und Maas eher auf ein Brett mit den Fotos unserer Liebsten und den Taylor-Freundschaftsbändchen? Das ist eine sehr grundsätzliche Frage zum Welttag des Buches am 23. April 2025. Ich würde sagen: Kaufen Sie sich Bücher! Bauen Sie sich eine Bibliothek auf mit dem, was Sie gerne lesen, dann finden wir schon eine Antwort.

Autor: Prof. Dr. Moritz Baßler

Dieser Artikel ist Teil einer Themenseite zum „Welttag des Buches“ und stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 2. April 2025.

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