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Münster (upm/ap).
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vor der Baustelle. Im Hintergrund sind Feuerlöscher und Baugerüste zu sehen.<address>© Uni MS - Linus Peikenkamp</address>
Die Baustelle des „Campus der Theologien und Religionswissenschaft“ liegt direkt gegenüber dem Institut für Christliche Sozialwissenschaften. Dort beschäftigt sich Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins mit „Baustellen“ innerhalb und außerhalb der Kirche.
© Uni MS - Linus Peikenkamp

„Der Mensch ist zur Gemeinschaft geboren“

Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins widmet sich drängenden Themen in Kirche und Gesellschaft

Ob Migrationspolitik, Missstände in der Pflege, Rechtspopulismus oder Geschlechtergerechtigkeit: Die Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins erhebt ihre Stimme. Wer mit ihr über eines ihrer Forschungsthemen auch nur einige wenige Sätze wechselt, spürt sofort, wie sie dafür brennt, sich als Wissenschaftlerin für benachteiligte Menschen einzusetzen. Ihr christlicher Glaube und ihr Verständnis von Kirche sind der Motor für ihr Engagement: „Theologie und Kirche haben einen Auftrag, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Glaube ist nicht nur etwas Privates, sondern geht mit der Verantwortung einher, einen Beitrag zum guten Leben für alle zu leisten“, stellt die katholische Theologin heraus, die seit 2009 das Institut für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Münster leitet. Der Weg dorthin verlief relativ gradlinig, aber nicht ohne äußere Widerstände.

Aufgewachsen in den frühen 1960er-Jahren direkt am Rhein im Kölner Süden, stand für die „Rheinländerin mit Leib und Seele“, wie sie sich selbst beschreibt, schon als Kind fest: Sie möchte Lehrerin werden, so wie ihre Mutter und ihre Großeltern. Auf das Lehramtsstudium der Fächer Deutsch und katholische Religionslehre folgte die Promotion in Würzburg. Kurz vor deren Abschluss 1988 wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Christliche Sozialwissenschaften. „Ich habe mich für die Wissenschaft entschieden und bin letztlich Hochschullehrerin geworden“, sagt Marianne Heimbach-Steins rückblickend. Ein unsicherer Weg, denn es gab nur wenige Frauen in der katholischen Theologie. Auf die Habilitation 1994 in Münster folgte zwei Jahre später die Professur an der Universität Bamberg. Damit war sie die erste ordentliche Theologieprofessorin Bayerns. „Wir Frauen mussten unseren Weg gegen kirchliche Widerstände erkämpfen“, erinnert sie sich. „Wir spürten heftigen Gegenwind und mussten lernen, politisch zu denken.“ Gemeinsam mit anderen gründete sie den Verein „AGENDA – Forum katholischer Theologinnen“, denn: „Man kann sich nur durchsetzen, wenn man zusammenarbeitet. Die Gemeinschaft macht stark.“

2009 kehrte sie zurück nach Westfalen. „Ich wollte eine Nummer größer in die Sozialethik einsteigen“, beschreibt die Forscherin ihre Motivation. In Münster wurde 1893 die weltweit erste Professur für Sozialethik gegründet. Das Institut für Christliche Sozialwissenschaften besteht seit 1951. Doch was ist überhaupt Sozialethik? „Die klassische Moraltheologie verhandelt Fragen des guten und gerechten Lebens mit Blick auf den einzelnen Menschen und seine unmittelbaren Beziehungen. Die Sozialethik fragt nach der Gerechtigkeit von Institutionen. Entstanden als Reaktion auf die Umwälzungen der Industrialisierung, die neue Fragen etwa an staatliche Verantwortung und Arbeitnehmerrechte stellte, hat sie die Gesellschaft als Ganzes im Blick“, erläutert die Theologin. In jüngerer Zeit rückten Fragen rund um Technik, Ökologie und Menschenrechte in den Fokus, es gehe zunehmend um globale, letztlich planetare Gerechtigkeit.

Bei ihren Themenschwerpunkten ist es nur konsequent, dass Marianne Heimbach-Steins immer wieder auch die breitere Öffentlichkeit sucht. „Unsere Fachtage zur Pflegepolitik für kirchliche Verbände und Fachpolitiker*innen machen keine Schlagzeilen, wirken aber bei Menschen an entscheidenden Schnittstellen.“ Vor allem in kirchlichen Kontexten berät sie zum Umgang mit Rechtspopulismus. „Überzeugte Rechtsextreme erreichen wir nicht. Aber Menschen, die unsicher sind und Orientierung suchen.“ Ablehnende Reaktionen erfährt die streitbare Theologin vor allem bei Gender-Themen und wenn sie sich klar gegen die AfD ausspricht. Sachliche Zuschriften beantwortet sie. Geht es aber unter die Gürtellinie, lässt sie prüfen, ob eine Anzeige erforderlich ist.

Gefragt nach der größten Baustelle innerhalb der katholischen Kirche, wird Marianne Heimbach-Steins leidenschaftlich. „Bisher haben wir es allenfalls mit einer halbierten Rezeption der Menschenrechte zu tun. Das geht zu Lasten von Missbrauchsbetroffenen, aber auch von Frauen und queeren Menschen.“ Im „Synodalen Weg“, einem Gesprächsforum innerhalb der katholischen Kirche, liege viel Potenzial. Die Sozialdiakonie sieht sie als elementar für eine starke Kirche. Die Leistungen von Caritas und Diakonie seien kaum zu ersetzen, gerade in Zeiten des Neoliberalismus, der an die Einzelverantwortung appelliert. „Nächstenliebe und der Einsatz für Schwächere, auch über nationale Grenzen hinaus, stehen in biblischer Tradition. Die Vorstellung, dass ich alles alleine schaffen muss, ist eine Karikatur des Menschseins“, unterstreicht die Theologin.

Ab dem kommenden Herbst wird Marianne Heimbach-Steins Seniorprofessorin sein. Sie freut sich auf mehr Zeit für Literatur, Singen im Chor, Gartenarbeit und Fahrradtouren. Die Arbeit an einem Handbuch zur theologischen Geschlechterforschung wird sie aber noch ein paar Jahre begleiten – und natürlich will sie weiterhin Missstände in Kirche und Gesellschaft ansprechen, denn „das Potenzial des Christentums liegt in seiner Verantwortung für die Gesellschaft“. So wird ihre Stimme auch in Zukunft zur Menschlichkeit im öffentlichen Diskurs beitragen.

Autorin: Anke Poppen

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 2. April 2025.

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