
„Wir freuen uns, wenn wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten können“
Im März beteiligte sich die Universität Münster im Rahmen des Netzwerks „Next Career“ an den Schwerpunktwochen zum Thema Studienzweifel. Ergänzend zum Artikel „Im Zweifel nicht allein“, der in der aktuellen „wissen|leben“-Ausgabe erschienen ist, sprach André Bednarz mit Janna Rademacher und Sebastian Gräfe vom Career Service und der Zentralen Stuidenberatung über das komplexe Thema Studienzweifel und die Beratungsangebote der Uni Münster.
Es ist sicherlich nicht ungewöhnlich, dass Menschen gelegentlich an ihren Entscheidungen und Lebensumständen zweifeln. Was sind die Besonderheiten von Studienzweifeln, und wann werden sie problematisch?
Janna Rademacher: Unter Studienzweifel versteht man das ernsthafte Infragestellen der Studienentscheidung, sei es bezüglich des Studiengangs oder des universitären Studiums insgesamt. Schwierig wird es, wenn die Zweifel das positive Studienerleben beeinflussen.
Sebastian Gräfe: Der Problemgrad eines Zweifels lässt sich nicht objektiv messen, sondern basiert auf der individuellen Einschätzung der betroffenen Person, ob und wie sehr sie sich durch die Zweifel belastet fühlt. Vielen Studierenden fällt es zunächst schwer, eigene Zweifel einzuordnen. ,Darf ich zweifeln?‘, und ,Was mach ich nun mit meinen Zweifel?‘ sind häufige erste Fragen. In der Beratung können wir dabei helfen, über das innere Erleben zu reden dies einzuordnen.
Welche Studienzweifel beschäftigen Studierende besonders oft?
Janna Rademacher: Die Art der Zweifel sind vielfältig. Je nachdem wann sie im Studienverlauf auftreten, können sie unterschiedliche Ursachen haben. Viele Studierende entwickeln zu Beginn ihres Studiums Zweifel. Sie bringen ihre Erfahrungen und Routinen aus der Schule mit und stellen fest, dass ein Hochschulstudium mit all seinen Begleiterscheinungen anders ist als erwartet. Meist sind die Studienzweifel dann mit Leistungs- und Motivationsschwierigkeiten verbunden. Auch die fehlende Identifikation mit dem Studiengang und Unklarheit bezüglich der beruflichen Möglichkeiten spielen eine Rolle.
Sebastian Gräfe: Ein weiterer Grund kann beispielsweise das Gefühl sein, sich bei der Studienwahl gegen ein anderes Studium entschieden zu haben – verbunden mit der Frage ,Was wäre, wenn ich mich anders entschieden hätte?‘. Auch individuelle Themen wie finanzielle, familiäre oder gesundheitliche Aspekte, die während des Studiums auftreten können, verstärken mitunter innere Zweifel. Nicht selten gehen Studienzweifel mit Selbstzweifeln Hand in Hand. Wir stellen zudem fest, dass Studienzweifel nicht nur in den ersten Semestern gehäuft aufkommen, sondern auch in der Endphase des Studiums, beispielsweise während der Abschlussarbeit.
Das klingt vielschichtig. Wie geht es den Studierenden mit Studienzweifeln?

Sebastian Gräfe: Als besonders belastend und bedrohlich erachten die Betroffenen ein subjektiv empfundenes Scheitern. Sie können ihre Zweifel und Gefühle nur schwer mit anderen teilen. Dabei liegt genau hier eine große Chance: Durch das Sprechen über das eigene Erleben kann ein Veränderungsprozess beginnen. Möchten Betroffene über ihre Zweifel reden, kann es hilfreich sein, Gesprächspartner zu wählen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie keine Erwartung in Bezug auf den Umgang mit den Zweifeln haben.
Reden kann also helfen, doch was kann Studierenden dabei helfen, sich zu öffnen und das Potenzial der Zweifel zu erkennen?
Sebastian Gräfe: Hilfreich ist, das Thema Studienzweifel sichtbarer zu machen und damit zu enttabuisieren. Das ist auch eines der Hauptziele von ,Next Career‘, einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Kultur und Wissenschaft. Es ist aber nicht nur wichtig, Studienzweifeln zu begegnen, wenn diese aufgekommen sind. So kann eine frühzeitige und umfassende Studienorientierung dabei helfen, ein passendes Studium zu finden und so dem Zweifel vorzubeugen.
Janna Rademacher: Es gibt in Deutschland Tausende Bachelor- und Masterstudiengänge. Man hat die Qual der Wahl – und eine Studienwahlentscheidung ist nicht automatisch eine Berufswahlentscheidung. Vielmehr gehört die Berufsorientierung zum Studium dazu, da sich die berufliche Perspektive und die Berufsbefähigung, die sogenannte ,Employability‘, nicht automatisch aus dem Studium ergeben. Nicht jeder muss schon während des Studiums wissen, wohin es später beruflich geht; die Auseinandersetzung mit dem eigenen Profil kann vielmehr dabei helfen, sich bewusst zu entscheiden: für den aktuellen Studiengang, einen Fachwechsel oder den Wechsel in eine praktische Tätigkeit, das kann auch eine berufliche Ausbildung sein.
Wir haben über Faktoren und Ursachen von Studienzweifeln gesprochen. Was sind Wege, um mit diesen umzugehen oder sie gar aufzulösen?

Janna Rademacher: Das stimmt, die eine perfekte Option gibt es häufig nicht. Es ist meist hilfreich, sich konstruktiv mit seinen Lernstrategien, Ressourcen, Kompetenzen, Interessen und Wünschen auseinanderzusetzen – bezogen auf das Studium und verschiedene berufliche Möglichkeiten. Zudem kann die Einsicht helfen, dass man nicht allein mit diesem Thema ist, dass es anderen ähnlich geht.
Die Studierenden haben also einige Möglichkeiten, mit den Zweifeln umzugehen. Wie können die Zentrale Studienberatung und der Career Service die Studierenden zusätzlich unterstützen?
Janna Rademacher: Sowohl im Career Service als auch in der ZSB laufen die Beratungen zunächst ähnlich ab: In einem ersten Gespräch im Botanicum, das etwa eine Stunde dauert, erarbeiten wir ergebnisoffen das konkrete Anliegen. Anschließend können wir Angebote und Wege aufzeigen, etwa wie die Studierenden aktiv werden können, das Studium fortzuführen oder den Studiengang zu wechseln oder zu erkunden, welche beruflichen Perspektiven es außerhalb der Universität gibt. Es können weitere Termine folgen, da es sich oft um einen längeren Prozess handelt. In der Beratung im Career Service thematisieren wir zum Beispiel verschiedene Aspekte einer Berufsfeldrecherche im Hinblick auf verschiedene Abschlüsse, die die Studierenden selbst durchführen und die entsprechenden Erkenntnisse bei einem Folgetermin thematisieren können.
Sebastian Gräfe: Unsere Beratungsangebote können dabei helfen, mit den Studierenden Probleme und Faktoren zu erkennen, die mit den Studienzweifeln zusammenhängen. Dabei geht es auch immer darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Person mehr ist als nur ihr Studium. Hierbei können wir auch weitere Bedarfe ermitteln und auf weitere Stellen verweisen, beispielsweise wenn es um Informationen zu Studiengängen, gesundheitliche Beratungsangebote, Berufsperspektiven, Studienfinanzierung oder den Umgang mit Prokrastination geht. Wichtig sind mir dabei zwei Dinge: Erstens treffen die Studierenden in der Beratung nie eine Vereinbarung bezüglich der nächsten Handlungsschritte mit mir, sondern stets mit sich selbst – sie sprechen die Vereinbarung nur in meiner Anwesenheit laut aus. Das kann einerseits zwar Verbindlichkeiten schaffen, andererseits bleibt die Verantwortung stets bei den Betroffenen. Zweitens legen wir als Berater keine Ziele und nächsten Schritte fest, wir treffen keine Entscheidungen für die Studierenden. Wir freuen uns, wenn wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten können.
Hilfe zur Selbsthilfe hört sich nach einem wichtigen Zwischenziel bei der Bearbeitung von Studienzweifeln an. Was würden Sie zweifelnden Studierenden sagen, die noch nicht in Ihrer Beratung waren?
Janna Rademacher: Zweifel sind normal, man muss sich für sie nicht schämen. Wir Beraterinnen und Berater hören den Betroffenen wertschätzend und vorurteilsfrei zu. Wir können Mut machen, Orientierung bieten und bei Entscheidungen helfen – egal wie diese aussehen sollte.
Sebastian Gräfe: Wir nehmen jeden, der in unsere Beratung kommt, ernst. Wir wissen zudem, dass sich Bedürfnisse, Wünsche und Umstände ändern können oder dass manchmal erst andere Dinge bearbeitet werden müssen, die nicht unmittelbar mit dem Studium zusammenhängen, ehe es mit letzterem weitergehen kann.