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Münster (upm/ap).
Symbolbild eines Richterhammers<address>© Bijac - adobe.stock.com</address>
Das Gerichtsverfahren gegen Daniela Klette wird bis mindestens Ende des Jahres dauern.
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„Die RAF ist ein zentraler Erinnerungsort der wehrhaften Demokratie“

Der Historiker Kevin Lenk ordnet den Prozess gegen Ex-Terroristin Daniela Klette ein

Heute (25. März) beginnt in Celle der Prozess gegen die ehemalige Terroristin der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) Daniela Klette. Der Historiker Dr. Kevin Lenk von der Universität Münster forscht zur politischen Instrumentalisierung der Toten des deutschen Linksterrorismus in den 1970er-Jahren. Im Interview mit Anke Poppen spricht er über die Stilisierung von RAF-Mitgliedern und die symbolische Bedeutung des möglicherweise letzten RAF-Gerichtsverfahrens.

Sie haben herausgearbeitet, wie tote RAF-Terroristen zu Helden, Märtyrern oder Feindbildern stilisiert wurden. Lassen sich ähnliche Deutungskämpfe auch bei noch lebenden ehemaligen RAF-Mitgliedern beobachten, etwa am Beispiel Daniela Klette?

Es gab schon in den 70er-Jahren die Praxis, auch lebende, inhaftierte RAF-Mitglieder so zu stilisieren. Vor allem der durch die inhaftierten RAF-Mitglieder und ihr Umfeld erhobene Vorwurf der ,Isolationsfolter‘ wurde zum Propagandainstrument, um die Häftlinge zu Märtyrern zu machen und die Linke außerhalb der Gefängnisse für sie zu mobilisieren. Diese Stilisierung verliert ab Mitte der 70er-Jahre, insbesondere nach dem sogenannten Deutschen Herbst, an Zugkraft und lässt sich daher nicht direkt auf Daniela Klette übertragen. Doch wir können auch vor dem Hintergrund einer Mobilisierung gegen die erstarkende Rechte eine gewisse Solidaritätsbewegung aus Kreisen der radikalen Linken und der ,Autonomen Antifa‘ beobachten, für die die soeben zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte Linksextremistin Lina E. gerade die zentrale Märtyrerin ist. Ebenso, wenngleich etwas anders gelagert, in den Diskussionen um die ,Budapest 2‘, bei der in Ungarn zwei Antifaschisten verhaftet wurden. In diesem Fahrwasser schwimmt die ,Solidarität‘ für Daniela Klette mit, die ältere Tradition der Stilisierung von RAF-Mitgliedern erfährt vor diesem Hintergrund eine Art Aktualisierung.

Am vergangenen Sonntag gab es in Vechta sowohl eine Solidaritätsdemonstration von Sympathisantinnen und Sympathisanten Daniela Klettes als auch eine Gegenkundgebung der CDU, bei der an die RAF-Opfer erinnert wurde. Ist dies symptomatisch dafür, dass die terroristische Vereinigung bis heute polarisiert?

Das stimmt. Die RAF ist ein zentraler Erinnerungsort der politischen Gewalt und der wehrhaften Demokratie in der Bundesrepublik, die sich bei der Flugzeug-Entführung 1977 in Mogadischu nicht von den Terroristen erpressen ließ und die Geiseln befreien konnte, auch wenn der Staat dafür das Leben des damaligen Industrie-Repräsentanten Hanns Martin Schleyer opferte. Die politische Instrumentalisierung der Opfer wird nur verständlich, wenn wir uns die enorme Verunsicherung deutlich machen, die die RAF in der Öffentlichkeit in den 70er-Jahren auslöste.

Dr. Kevin Lenk<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Dr. Kevin Lenk
© Uni MS - Johannes Wulf

Woran genau liegt das?

Unterschiedliche Zeitgenossen hatten aus verschiedenen Perspektiven den Untergang der Weimar Republik vor Augen. Die brachiale Durchsetzung des demokratischen Staates im Deutschen Herbst zeigte ihnen, dass die bundesrepublikanische Demokratie nicht vor Linksterroristen in die Knie gehen würde und bannte den ,Schatten Weimars‘ in diesem Themenbereich. Gleichzeitig verhandelten die Zeitgenossen hochgradig polarisierte Fragen der staats- und gesellschaftspolitischen Entwicklung der Bundesrepublik nach ,1968‘ mit. Auch hier ist die Erfahrung mit der RAF zentral. Bei Debatten über politische Gewalt und ihre Opfer geht es nie nur um das Gewaltphänomen selbst, es geht immer auch um andere Dinge. Aktuell befinden wir uns wieder in einer von verschiedenen Akteuren unterschiedlich gedeuteten Bedrohungslage, was eine gewisse Anfälligkeit für Polarisierungen mit sich bringt. Bei linken Gruppen kann dies zu Solidarität mit Daniela Klette oder Lina E. führen, bei Konservativen zur Beschwörung harten staatlichen Durchgreifens und einem dazu passenden Gedenken an die Opfer des deutschen Linksterrorismus der 70er-Jahre.

Kommt dem Prozess angesichts der Tatsache, dass es möglicherweise eines der letzten großen Gerichtsverfahren gegen RAF-Mitglieder sein könnte, eine besondere symbolische Bedeutung zu?

Die linksterroristischen Organisationen der 70er-Jahre sind alle aufgelöst, die großen Prozesse wurden geführt, die damaligen Beteiligten sind alt oder tot. Im Prinzip gibt es nach dem Prozess gegen Daniela Klette nur drei denkbare Szenarien eines oder mehrerer weiterer großer Prozesse gegen die Ehemaligen der ,Stadtguerilla‘...

...welche sind das?

Erstens: Daniela Klette macht im Verfahren Angaben, die neue Erkenntnisse zur dritten Generation der RAF hervorbringen, die zu neuen Prozessen führen. Zweitens: Daniela Klettes Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub werden gefasst und vor Gericht gestellt. Drittens, und das ist besonders interessant: Die individuellen Tatbeteiligungen der meisten RAF-Morde sind nicht geklärt. Wir wissen nicht, wer genau Hanns Martin Schleyer oder Siegfried Buback ermordet hat. Das liegt auch daran, dass sich ehemalige RAF-Mitglieder zum Schweigen verpflichtet haben. Bräche jemand dieses Schweigen, wären ebenfalls weitere Prozesse denkbar.

Für wie wahrscheinlich halten Sie die jeweiligen Möglichkeiten?

Option zwei halte ich für spekulativ, die Optionen eins und drei sind bedauerlicherweise unwahrscheinlich. Somit könnte das Verfahren gegen Daniela Klette der letzte große Prozess sein. Und da es sich mit der RAF um einen zentralen Erinnerungsort handelt, ist ihm entsprechende Aufmerksamkeit und Bedeutung wohl sicher.

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