
„Pflanzen bekommen kein Fieber – sie fahren ihren Verteidigungsmodus hoch“
Ein Forschungsteam um Dr. Gundula Noll (Universität Münster) und Dr. Alexandra Furch (Universität Jena) hat entschlüsselt, wie Pflanzen elektrische Signale nutzen, um sich gegen Krankheitserreger zu verteidigen. Im Interview mit Christina Hoppenbrock gibt Gundula Noll Einblicke in die Immunantwort der Pflanzen und in die aktuellen Forschungsergebnisse.

Nein. Pflanzen haben ihre eigene Art, sich zu verteidigen. Während Tiere spezialisierte Immunzellen besitzen, die gezielt Krankheitserreger aufspüren und eliminieren, müssen Pflanzen anders vorgehen. Sie haben kein zirkulierendes Immunsystem, das durch den Körper wandert, sondern reagieren lokal und systemisch mit einem raffinierten Signalsystem. Wenn ein Angreifer erkannt wird, senden betroffene Zellen chemische und elektrische Alarmsignale aus, die Abwehrmechanismen aktivieren – quasi ihr eigenes biologisches Frühwarnsystem. Diese Signale breiten sich über das Leitgewebe aus, vor allem über das Phloem, das eigentlich für den Nährstofftransport zuständig ist. Pflanzen bekommen also kein Fieber – sie fahren stattdessen ihren Verteidigungsmodus hoch.
Wie gut ist das Immunsystem der Pflanzen erforscht?
Da gibt es noch jede Menge spannende Rätsel. Besonders faszinierend ist, dass Pflanzen nicht nur mit einer einzigen Art von Signal arbeiten, sondern mit einer Mischung aus elektrischen und chemischen Signalen. Welche dieser Signale den Ton angeben, ist noch nicht geklärt. Aktuell stehen Peptide und Pflanzenhormone im Fokus, aber der endgültige Beweis fehlt noch. Und dann ist da noch die Frage: Wie genau werden diese Signale verarbeitet? Elektrische Signale rauschen über das Phloem durch die Pflanze – aber was passiert dann? Welche Zellen ‚verstehen‘ sie, und wie lösen sie am Ende eine Abwehrreaktion aus?
Warum ist es wichtig zu wissen, wie Pflanzen auf Krankheitserreger reagieren?
Es ist der Schlüssel zu nachhaltigem Pflanzenschutz. Je besser wir verstehen, wie Pflanzen ihre natürliche Abwehr aktivieren, desto gezielter können wir sie unterstützen – ohne massiven Einsatz von Chemikalien. Das hilft nicht nur der Umwelt, sondern auch der Landwirtschaft, indem es robuste Pflanzensorten ermöglicht, die sich selbst gegen neue Krankheitserreger verteidigen können. Gerade im Klimawandel, wo plötzlich neue Erreger auftauchen, brauchen wir Pflanzen, die gewappnet sind.

Man kann sich das wie eine Art pflanzliches Nervensystem vorstellen – nur ohne Gehirn. Sobald die Pflanze ein bakterielles Signal wahrnimmt, springen bestimmte Ionenkanäle in den Zellmembranen an und setzen eine Kettenreaktion in Gang. Geladene Teilchen strömen durch die Zellen und erzeugen eine elektrische Welle, die sich über das Phloem ausbreitet. Das ist ähnlich wie bei Nervenzellen – nicht ganz so schnell, aber extrem effektiv. Diese elektrischen Signale lösen eine ganze Kaskade an Abwehrreaktionen aus: Sie aktivieren chemische Signale wie Kalzium-Ionen und reaktive Sauerstoffverbindungen, die den eigentlichen Gegenschlag gegen den Erreger einleiten.
Waren Sie von Ihren Ergebnissen überrascht?
Definitiv. Besonders spannend war, dass wir diesen Mechanismus in zwei sehr unterschiedlichen Pflanzenarten gefunden haben – Acker-Schmalwand und Ackerbohne. Das zeigt, dass diese Strategie evolutionär bewährt ist und vermutlich in vielen Pflanzen eine Rolle spielt. Ein Highlight war außerdem die Entdeckung, dass spezielle Verschlussproteine (SEOR-Proteine) des Phloems hier eine unerwartete Rolle spielen. Bisher dachte man, sie seien nur für den Nährstofffluss zuständig. Aber nein: Sie haben auch eine Funktion in der Immunantwort. Das öffnet neue Türen für die Forschung: Könnte man diese Proteine gezielt manipulieren, um Pflanzen widerstandsfähiger zu machen? Es gibt zahlreiche Möglichkeiten.
Originalveröffentlichung:
Furch A. C. U. et al. (2025): Transformation of flg22 perception into electrical signals decoded in vasculature leads to sieve tube blockage and pathogen resistance. Sci. Adv. Vol 11, Issue 9; DOI:10.1126/sciadv.ads6417
Links zu dieser Meldung
- Originalveröffentlichung in "Science Advances"
- Die AG Pflanzenbiotechnologie am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen
- Die Professur für Pflanzenphysiologie am Matthias-Schleiden-Institut der Universität Jena
- Gundula Noll am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME