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Münster (upm/ch).
Prof. Dr. Ursula Wurstbauer mit einer von hinten zu sehenden jungen Frau im Gespräch<address>© Uni MS - Michael C. Möller</address>
Der Dialog mit jungen Erwachsenen gehört zu Ursula Wurstbauers Arbeitsalltag – eine Aufgabe, die sie an ihrem Beruf schätzt.
© Uni MS - Michael C. Möller

Mit Neugier in jeden Tag

Ursula Wurstbauer ist Professorin für Nanoelektronik am Physikalischen Institut

Extreme Kälte ist in der Physik ein Werkzeug, um unerwünschte Teilchenbewegungen quasi einzufrieren und so die quantenphysikalischen Eigenschaften von Materialien möglichst ungestört zu messen. Daher gehört der Umgang mit Kryostaten, also Hochleistungskühlgeräten, für Prof. Dr. Ursula Wurstbauer und ihr Team am Physikalischen Institut zum Alltag.

Danach gefragt, was bei ihr mal schiefgegangen ist, erzählt die Physikerin eine Anekdote aus dem Labor: Während ihres Postdoktorats an der Columbia University in New York (USA) hatte sie beim Abkühlen eines Kryostats eine poröse Dichtung aus Indiumdraht übersehen, die nicht gasdicht war. Das wertvolle Gerät vereiste fast augenblicklich; abdampfendes Helium und Stickstoff konnten nicht entweichen, der Druck im Inneren stieg und stieg. „Ich hatte versehentlich eine ‚Bombe‘ gebaut – der hohe Druck hätte mindestens das Gerät selbst am Ende zerstört.“ Ihr über 70-jähriger Betreuer habe sich die Bescherung angeschaut und gesagt: „mach du mal“, erinnert sich Ursula Wurstbauer. Geschätzte drei bis vier Stunden blieben ihr damals, um das Problem rechtzeitig zu lösen. Ursula Wurstbauer behielt die Nerven und schmolz das Eis mit einem warmen Kupferstab. Im Rückblick lacht sie über das Malheur; die Begeisterung für ihre Arbeit hat es nicht getrübt.

Eigentlich hatte sie Sport auf Magister studieren wollen. Als Schülerin turnte sie im Verein und bestritt Wettkämpfe, war Eiskunstläuferin und fuhr Ski. Sie entschied sich letztlich gegen das Magisterstudium, mangels beruflicher Perspektive. Sport sollte stattdessen an der Universität Regensburg zunächst ihr drittes Fach werden, außerdem wählte sie Mathe und Physik auf Lehramt. Später kam das Physik-Diplomstudium dazu. „Ich bin trotzdem Lehrerin geworden, nur eben an der Universität und nicht an der Schule“, sagt Ursula Wurstbauer. Die Lehre sowie die Betreuung junger Erwachsener bei ihren Forschungsprojekten gehören zu den Aufgaben, die sie an ihrem Beruf besonders schätzt.

„Mein Physiklehrer in der Oberstufe hat uns fantastisch an die Physik herangeführt“, erinnert sich Ursula Wurstbauer, die in einem kleinen Ort nahe Passau im Drei-Länder-Eck zwischen Deutschland, Österreich und Tschechien aufwuchs und als Neunjährige nach der Wende die ersten Züge aus Prag ankommen sah. „Er hatte Vertrauen zu uns, wir durften sogar elektronische Geräte der Schule reparieren.“ So gab er den Schülerinnen und Schülern das nötige Selbstvertrauen, sich auch von komplizierter Technik nicht abschrecken zu lassen. Die „Initialzündung“, die Ursula Wurstbauers Karriere in Richtung Physikprofessur lenkte, fand allerdings erst Jahre später im Studium statt. Während eines Praktikums zur Quantenphysik wurde ihr klar: „So funktioniert Forschung, das möchte ich machen.“

Nach dem Postdoktorat habilitierte sich Ursula Wurstbauer an der Technischen Universität München. Dem Ruf an die Universität Münster auf eine Professur für Nanoelektronik folgte sie 2019. Ihre etwa zwanzigköpfige Arbeitsgruppe möchte die grundlegenden Eigenschaften von Materialien verstehen – zum Beispiel, wie sich Ladungsträger und Photonen in Festkörpern verhalten und wie sich die Materialeigenschaften von außen steuern lassen. Diese Forschung an der Schnittstelle zwischen Nano- und Quantenphysik nimmt zweidimensionale Materialien in den Blick, die zum Teil erstaunliche und oft noch unerforschte Eigenschaften haben; an mehr als 100 wissenschaftlichen Publikationen zu dem Thema war Ursula Wurstbauer bisher beteiligt. Jeden Tag neugierig sein zu dürfen, zu rätseln und experimentelle Methoden voranzubringen – das macht für Ursula Wurstbauer den Reiz der Grundlagenforschung aus.

War es schwierig, sich als Frau in einer männlich geprägten Physik-Welt zu behaupten? „Ich habe in der Schule, während des Studiums und später als Wissenschaftlerin in dieser Hinsicht keinen Gegenwind gefühlt“, sagt Ursula Wurstbauer, deren Eltern als Nachkriegskinder nicht hatten studieren dürfen. Eine Herausforderung sei es jedoch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, obwohl es im Arbeitsumfeld Unterstützung gab und gibt. „München war für uns als junge Familie nicht ideal. Unter anderem sind die Arbeitswege dort lang“, erinnert sie sich. Die Wissenschaftlerin zog mit ihren beiden Kindern – zu dem Zeitpunkt im Kita-Alter – und ihrem Mann, ebenfalls Physiker, nach Münster, wo die Wege kürzer sind. Dennoch sei der Spagat zwischen Familie und Beruf nicht leicht. „Ich bin froh und auch stolz darauf, dass wir es trotzdem schaffen, unsere Berufe mit den Bedürfnissen und Hobbys der Kinder zu vereinbaren.“

Ursula Wurstbauer liebt die Physik, die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) liegen ihr besonders am Herzen. Zu ihrem Bedauern beobachtet sie nach wie vor Berührungsängste mit diesen Fächern. „Ich sehe das im privaten Umfeld: Eine Drei in Mathe akzeptieren viele, aber eine Drei in Deutsch oder einer Fremdsprache gilt in denselben Familien schon als schlechte Note.“

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 29. Januar 2025.

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