„Sie verhalten sich wie ein Stein im Körper“
Der erste Gang an einem langen Arbeitstag führt Lena Mahlberg häufig an die Feinwaage in Raum 155, ein Labor im Gebäudeteil C des „PharmaCampus“. Auch an diesem Tag füllt sie konzentriert winzige weiße Kugeln in Kunststoffröhrchen mit Schraubdeckel, bestimmt das Gewicht, gibt Flüssigkeiten dazu und wiegt die Röhrchen erneut. Lena Mahlberg ist Apothekerin und schreibt ihre Doktorarbeit im Arbeitskreis von Prof. Dr. Denise Steiner am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie. Vereinfacht gesagt geht es in ihrer Forschung um die Frage, wie man schwer wasserlösliche Arzneistoffe in den menschlichen Körper bekommt.
Für die pharmazeutische Anwendung ist das eine Herausforderung. Einerseits haben solche Substanzen häufig ein großes Potenzial für die Behandlung von Krankheiten. Andererseits muss man tricksen, damit der Organismus sie überhaupt aufnimmt. „Sie verhalten sich wie ein Stein im Körper“, veranschaulicht Denise Steiner. Eine Strategie, diesen „Stein“ im Darm verdaulich zu machen, sei, ihn stark zu zerkleinern, quasi zu sehr feinem „Sand“ zu zermahlen. Der Trick: Die wenige Hundert Nanometer großen Körnchen bilden eine Suspension mit der sie umgebenden Flüssigkeit. Eine Alternative ist eine Emulsion. Dafür werden Wirkstoffpartikel in Öl gelöst und die Öltröpfchen in Wasser verteilt. „Auf diese Weise erhöht man die Bioverfügbarkeit – der Körper kann den Wirkstoff besser aufnehmen“, sagt Denise Steiner.
Eine weitere Herausforderung ist die Frage, wie der Wirkstoff überhaupt in den Körper gelangt. Durch Tabletten, klar. Aber was ist, wenn Menschen keine Tabletten schlucken können – Kinder beispielsweise oder ältere Menschen mit Schluckbeschwerden? Einige im Handel erhältliche Medikamente werden über sogenannte orodispersible Filme verabreicht, die sich im Mund auflösen und das Medikament über die Mundschleimhaut direkt ins Blut abgeben. Eine andere Strategie beruht darauf, dass der Wirkstoff leicht mit dem Speichel geschluckt werden kann, wenn der Film sich im Mund aufgelöst hat. Allerdings gibt es noch einige Herausforderungen bei schwer wasserlöslichen Wirksubstanzen. Denise Steiner und ihr Team suchen nach Wegen, das zu ändern. Ein speziell für die Forschungsfragen der Arbeitsgruppe angepasster 2-D-Pharmadrucker, der in ähnlicher Form im pharmazeutischen Umfeld eingesetzt wird, ermöglicht die Anfertigung von wirkstoffhaltigen orodispersiblen Filmen, die die Forscherinnen und Forscher auf ihre Eigenschaften hin untersuchen. Lena Mahlberg präpariert dafür heute eine wirkstoffhaltige „Tinte“.
Die winzigen weißen Kugeln, die sie abwiegt, sind ein Hilfsmittel. Als Mahlsteinchen sollen sie später in der Zentrifuge den Wirkstoff zerkleinern, den die Doktorandin mit in die Probenröhrchen gibt: Griseofulvin, eine natürlich vorkommende Verbindung, die in der Forschung als Modellarzneistoff eingesetzt wird. „Wir wählen die eingesetzten Substanzen nicht aufgrund ihrer Wirkeigenschaften aus, sondern im Hinblick auf ihre chemischen Charakteristika – stellvertretend für eine Reihe von Substanzen mit ähnlichen Eigenschaften“, erklärt Lena Mahlberg. Sie macht sich über den Flur auf den Weg zu Raum 178. Dort steht eine Dualzentrifuge, die den Inhalt der Probenröhrchen wie in einer riesigen Rassel hin und her schleudert, teils über mehrere Stunden hinweg. So ist es möglich, die gewünschte Partikelgröße von höchstens 500 Nanometer im Durchmesser zu erhalten.
Man könnte den Wirkstoff für jede Person passgenau dosieren.
Nächste Station: Laborraum 179. Hier gießt die Doktorandin aus einem Gel auf Zellulosebasis einen orodispersiblen Film auf eine Trägerplatte. Mit einer sogenannten Filmziehmaschine zieht sie ihn glatt, nimmt ihn mit zurück in den benachbarten Zentrifugenraum und legt ihn in einen Trockenofen, der neben der Zentrifuge steht. Durch die Trocknung erhält der Film die richtige Konsistenz.
Zwischenstopp in Raum 175. Hier steht ein spezieller Apparat zur Bestimmung der Partikelgröße: ein sogenannter Laserbeuger. Diese Maschine berechnet anhand eines Laserstrahls, der durch die Partikel in der Probenflüssigkeit abgelenkt wird, die Größenverteilung der Partikel. So kann Lena Mahlberg prüfen, ob der Wirkstoff fein genug gemahlen ist, um ihn für die weiteren Untersuchungen einzusetzen. „Diese Probe ist gut“, sagt sie zufrieden. 90 Prozent der Teilchen sind kleiner als 500 Nanometer.
Die „Tinte“ ist also fertig. Lena Mahlberg nimmt sie mit in Raum 155, dem Labor mit der Feinwaage. Dort steht auch das Herzstück der Arbeitsgruppe: der 2-D-Pharmadrucker. Lena Mahlberg spannt ein zugeschnittenes Stück des orodispersiblen Films vorsichtig auf einen Halter und zieht die wirkstoffhaltige Tinte mit einer speziellen Spritze auf, die sie dann am Druckkopf fixiert. Sie schließt die Fronttüren und programmiert über ein Bedienfeld das Druckprogramm. Den Rest macht der Drucker allein: Aus dem feinen Schlauch, durch den später die Tinte fließt, drückt er störende Luft hinaus. Er kalibriert die Tropfengröße, dann fährt der Druckschlitten los. Punkt für Punkt trägt er die weißliche Tinte auf den Film auf, bis am Ende ein Raster aus 15 mundgerechten Rechtecken fein säuberlich mit wirkstoffhaltigen Pünktchen bedeckt ist – der Film ist fertig.
Für Lena Mahlberg ist die Arbeit damit nicht getan. In weiteren Versuchsschritten wird sie das fertige Produkt auf seine Eigenschaften überprüfen. Wie sind die Nanopartikel auf dem Film verteilt? Wie schnell zerfällt der Film im Mund und wie wird der Wirkstoff freigesetzt? Um derartige Fragen zu beantworten, orientiert sie sich am Europäischen Arzneibuch, das Regeln zur Prüfung verschiedener Arzneiformen beinhaltet. So legt sie eine Grundlage für mögliche Anwendungen.
Eine Hoffnung dahinter: Vielleicht können Krankenhausapotheken orodispersible Filme zukünftig für ihre Patientinnen und Patienten herstellen. „Das hätte eine Reihe von Vorteilen“, zählt Denise Steiner auf: „Man könnte den Wirkstoff für jede Person passgenau dosieren und so Nebenwirkungen reduzieren.“ Es sei auch möglich, verschiedene Wirkstoffe auf einen Film zu drucken. „Einen Cocktail aus zig verschiedenen Tabletten täglich, wie ihn beispielsweise viele alte Menschen schlucken müssen, wäre dann überflüssig.“
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 6. November 2024
Hintergrund: der Arbeitskreis Prof. Dr. Denise Steiner am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie
Prof. Dr. Denise Steiner ist Ingenieurin und seit 2023 Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt die Verarbeitung schwer wasserlöslicher Wirkstoffe in feste, individualisierbare Arzneiformen. Ihre Gruppe entwickelt unterschiedliche nanopartikuläre Systeme, die die Aufnahme im Körper und damit die Bioverfügbarkeit dieser Substanzen verbessern können. So ließen sich mit geringeren Dosen die gleiche Wirkung erzielen und Nebenwirkungen abschwächen.
Denise Steiner hat eine Stiftungsprofessur für Pharmazeutische Technologie inne, die für zehn Jahre von der Rottendorf-Stiftung finanziert wird. Die Universität übernimmt anschließend die Kosten für die Weiterführung der Professur.