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Münster (upm/ap).
Symbolfoto einer Beratungssituation.<address>© N Lawrenson/peopleimages.com - stock.adobe.com</address>
Im Erstgespräch wird das konkrete Anliegen der Ratsuchenden erörtert.
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Wenn die Seele Hilfe braucht

Teil 5 der Serie „fit und gesund“: Die Psychotherapie-Ambulanz und die Zentrale Studienberatung helfen bei psychischen Problemen

Immer mehr Menschen sind psychisch krank. Laut einem Report der Krankenkasse DAK Gesundheit stieg beispielsweise die Anzahl der Fehltage im Job im Jahr 2023 um über 50 Prozent im Vergleich zu 2013. Repräsentative Befragungen vom Mental Health Surveillance des Robert-Koch-Instituts weisen ebenfalls auf einen Anstieg psychischer Probleme hin. So gaben im April 2019 zehn Prozent der Befragten depressive Symptome an, seit 2022 sind es 16 Prozent. Die Gesamthäufigkeit aller psychischer Symptome dürfte noch deutlich höher sein. Wie sind diese Zahlen einzuordnen? Nehmen die Erkrankungen tatsächlich zu, oder liegen die höheren Werte auch an einer wachsenden Sensibilität? Dr. Timo Brockmeyer, Professor für klinische Psychologie und translationale Psychotherapie und Leiter der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Münster, zeichnet ein differenziertes Bild. „Sowohl die Anzahl der Studien zu psychischer Gesundheit als auch deren Qualität steigen, so dass mehr und aussagekräftigere Daten vorliegen. Zudem wächst das Bewusstsein in der Bevölkerung. Auch die Diagnosekriterien ändern sich und werden tendenziell eher gelockert.“ Dennoch sei auch abzüglich dieser Faktoren eine steigende Tendenz zu verzeichnen.  „Während der Pandemie hat die Zahl psychischer Störungen zugenommen. Krankheiten, die sich im Lockdown entwickelt haben, können sich chronifizieren.“

Bei der psychologischen Beratung der ZSB können Kärtchen zum Einsatz kommen, um Themen der Ratsuchenden zu visualisieren und zu priorisieren.<address>© Uni MS - Peter Leßmann</address>
Bei der psychologischen Beratung der ZSB können Kärtchen zum Einsatz kommen, um Themen der Ratsuchenden zu visualisieren und zu priorisieren.
© Uni MS - Peter Leßmann

Menschen mit psychischen Problemen können sich an die Psychotherapie-Ambulanz wenden. Pro Jahr werden dort etwa 400 Erstgespräche geführt. Die Psychologische Beratung der Zentralen Studienberatung (ZSB) richtet sich an Studierende und Promovierende der Universität. Dort gab es nach Angaben der Leiterin Bernadett Greiwe im vergangenen Studienjahr über 1.800 Einzelberatungen. Die Wartezeit auf ein Erstgespräch beträgt bei der Ambulanz vier bis zehn Wochen, bei der ZSB vier Wochen. „Vor ein paar Jahren waren es nur zwei Wochen, aber seit Beginn der Pandemie ist keine Entspannung der Lage erkennbar“, schildert auch Bernadett Greiwe Auswirkungen der Coronazeit.

Sowohl in der Ambulanz als auch in der ZSB fällt das gesamte Spektrum an psychischen Störungen an. „Wir behandeln Depressionen und Ängste, posttraumatische Belastungsstörungen, Zwänge, Essstörungen und Abhängigkeitserkrankungen“, zählt Timo Brockmeyer auf. Neue Lebensabschnitte wie Umzug und Studienbeginn könnten zu Anpassungsstörungen führen. „Viele Studierende, die unsere Unterstützung suchen, haben Selbstzweifel. Sie neigen zur Grübelei, Depressivität, haben Probleme in der Beziehung oder der Familie“, berichtet Bernadett Greiwe. Hohe Anforderungen des Studiums gehen häufig einher mit Leistungsdruck und Prüfungsangst, auch hier zeige sich die Pandemieerfahrung. „Manche, die ihr Studium rein digital und mit entsprechenden Einschränkungen begonnen haben, sorgen sich nun um ihren Studienverlauf und sind mit ihren Leistungen unzufrieden.“ Hinzu kämen weitere kollektive Krisen wie der Klimawandel und der Krieg gegen die Ukraine, betonen beide Psychologen. „Wir sind alle mehr belastet, auch wenn dies nicht diagnostisch greifbar ist“, sagt Timo Brockmeyer. Seit ein paar Jahren beobachtet Bernadett Greiwe außerdem einen zunehmenden Einfluss des Medienkonsums auf die Psyche. „Insbesondere die Social-Media-Aktivitäten verführen zu ständigen Vergleichen. Zudem steigt der Druck, immer erreichbar zu sein und sich präsentieren zu müssen.“ Doch es gebe auch positive Aspekte, denn viele kämen gut informiert in die ZSB und hätten sich bereits mit möglichen Diagnosen auseinandergesetzt.

Portraitfoto Prof. Dr. Timo Brockmeyer<address>© Uni MS - Kalle Kröger</address>
Prof. Dr. Timo Brockmeyer, Leiter der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Münster.
© Uni MS - Kalle Kröger

Ein Beratungsgespräch dauert in beiden Einrichtungen etwa 45 Minuten. Beim Ersttermin wird das konkrete Anliegen ergründet. Wie sieht die familiäre, soziale und berufliche Situation der Ratsuchenden aus, wo liegt das Problem? Das Hilfsangebot fällt naturgemäß unterschiedlich und individuell aus. „Manchmal helfen schon kleine Veränderungen, zum Beispiel Sport treiben oder Freunde treffen. Gerade in Stresssituationen sollte man nicht alles absagen, was einen Ausgleich schafft“, betont Bernadett Greiwe. Faktoren wie genug Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten, Bewegung und soziale Kontakte bewirkten mehr, als uns bewusst sei. „Bei schwerwiegenderen Problemen bieten wir eine längerfristige Begleitung an oder zeigen Wege in die Psychotherapie auf, zum Beispiel über die Ambulanz.“ Timo Brockmeyer empfiehlt bei ersten Anzeichen für eine psychische Belastung die hausärztliche Praxis. Auch vor dem Hintergrund, dass drei Viertel aller psychischen Erkrankungen vor dem 25. Lebensjahr entstehen, sollten sich Betroffene früh Hilfe suchen. „Einige Hausärztinnen und Hausärzte bieten eine psychosomatische Grundversorgung an.“ Um die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken – in Nordrhein-Westfalen sind es aktuell etwa sechs Monate – könnten verschreibungspflichtige digitale Gesundheitsanwendungen helfen. Bei manchen psychischen Störungen sei allerdings eine möglichst schnelle intensive Behandlung nötig.

Portraitfoto Bernadett Greiwe<address>© Uni MS - ZSB</address>
Bernadett Greiwe leitet die Psychologische Beratung der Zentralen Studienberatung (ZSB).
© Uni MS - ZSB

Beide Psychologen beobachten eine zunehmende Normalisierung, Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Einrichtungen gestalten ihr Angebot niederschwellig, um ein breites Publikum zu erreichen. „Unser Team besteht aus jeweils drei Frauen und Männern. Damit möchten wir auch Männer dazu motivieren, Hilfe zu suchen, denn für sie stellt der Gang zur Beratung oft eine größere Hürde dar“, betont Bernadett Greiwe. Timo Brockmeyer hält fest: „Psychotherapie ist wirksam. Gerade Depression und Ängste lassen sich gut behandeln.“

Autorin: Anke Poppen

 

 

 

 

 

 

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© goldmarie design
Die Serie „fit und gesund“:

Sich fit halten und gesund werden oder bleiben: Das ist der Wunsch vieler Menschen. In dieser Serie stellen wir verschiedene Facetten von Gesundheit und Fitness an der Universität in den Mittelpunkt. Den sprichwörtlichen erhobenen Zeigefinger oder Patentlösungen bietet die Reihe nicht, jedoch eine wissenschaftliche Einordnung und zudem einige praktische Tipps.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 2. Oktober 2024.

 

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