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Münster (upm/ch).
Ein Hoffnungsschimmer in Zeiten des Klimawandels: Manche Eisbären haben gelernt, im Sommer Fische zu jagen, anstatt bei fehlender Eisdecke zu hungern.<address>© Oliver Krüger</address>
Ein Hoffnungsschimmer in Zeiten des Klimawandels: Manche Eisbären haben gelernt, im Sommer Fische zu jagen, anstatt bei fehlender Eisdecke zu hungern.
© Oliver Krüger

„Die Anpassungsfähigkeit von Organismen gibt Anlass zur Hoffnung“

Klimawandel: Biologe Oliver Krüger über Chancen und Grenzen von Verhaltensänderungen bei Tieren

Schaffen Tiere es, sich an eine immer schneller verändernde Umwelt anzupassen? Wenn ja, wie? Der Verhaltensbiologe und Freilandforscher Prof. Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld gibt im Interview mit Christina Hoppenbrock Einblicke in die Anpassungsfähigkeit von Tieren und die Rolle der Verhaltensbiologie angesichts des Klimawandels. Anlass ist eine Tagung des Transregio-Sonderforschungsbereichs 212, der sich den ökologischen Nischen von Individuen bei sich ändernden Umweltbedingungen widmet, mit einem öffentlichen Vortrag von Oliver Krüger am 4. September an der Universität Münster.

Auch Greifvögel wie diese Uhus sind Forschungsobjekte der Verhaltensbiologie.<address>© Oliver Krüger</address>
Auch Greifvögel wie diese Uhus sind Forschungsobjekte der Verhaltensbiologie.
© Oliver Krüger
Die Nachrichtenlage zum Klimawandel ist bedrückend. Können Sie dem etwas Positives entgegensetzen?

Um mit dem französischen Umweltschützer und Journalisten Yann Arthus-Bertrand zu sprechen: ‚Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein‘. Zudem gibt die Anpassungsfähigkeit von Organismen durchaus Anlass zur Hoffnung. Es gibt viele Beispiele von schneller Anpassung durch Verhaltensflexibilität bei Tieren: Störche, die in Deutschland fast ausgestorben waren und durch eine Verhaltensumstellung auf andere Futterquellen ein tolles Comeback hingelegt haben; Eisbären, die gelernt haben, im Sommer Fische zu jagen, anstatt bei fehlender Eisdecke zu hungern; Hamster, die mitten in der Großstadt Wien leben. Wir müssen besser verstehen, welche Individuen am besten in der Lage sind, sich anzupassen – aber natürlich auch, wo die Grenzen der Anpassungsfähigkeit liegen. Die große Sorge ist, dass die Geschwindigkeit des Klimawandels, aber auch andere anthropogen verursachten Veränderungen, das Anpassungspotenzial der Organismen überfordern.

Inwiefern spielt die Verhaltensbiologie eine Rolle bei der Forschung zum Klimawandel?

Verhaltensbiologie ist die integrative Kraft der organismischen Biologie, sie ist im Dreiklang mit Ökologie und Evolution besonders erfolgreich. Ihr kommt auch bei den Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere eine zentrale Rolle zu. Bei vielen langlebigeren Arten ist die Generationszeit zu lang, um auf eine Anpassung durch Evolutionsprozesse zu hoffen. Hier kommt das Verhalten ins Spiel. Verhaltensinnovation, also das Entstehen neuer Verhaltensweisen, Verhaltensvariation (situationsabhängig unterschiedliches Verhalten) und Verhaltensplastizität (Veränderung bestehender Verhaltensmuster): Daraus kann in einer Generation Anpassung an sich ändernde Umwelten resultieren, und diese Prozesse müssen wir noch viel besser verstehen.

Sie sind begeisterter Freilandforscher, richtig?

Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen, das ist ein großes Glück. Ich habe mehrere Jahre meines Lebens in der Antarktis, in verschiedenen Ländern Afrikas, auf Galapagos und Madagaskar verbracht, um Tiere im Freiland zu erforschen.

Prof. Dr. Oliver Krüger ist begeisterter Freilandforscher.<address>© Oliver Krüger</address>
Prof. Dr. Oliver Krüger ist begeisterter Freilandforscher.
© Oliver Krüger
Also heißt Biologie heute nicht unbedingt, dass man vor allem im Labor steht?

Das Verhalten der Tiere findet auf einer ökologischen Bühne und vor einem evolutionären Hintergrund statt, das können wir nicht alles ins Labor transferieren. Moderne Verhaltensforschung bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass wir nicht die modernen Methoden aus der molekularen Biologie nutzen. Genetische und epigenetische Grundlagen der Verhaltensvariation, hormonelle Korrelate, Mikrobiome als Ursachen für Verhaltensunterschiede, all das untersucht auch ein Freilandbiologe. Verhaltensforschung im 21. Jahrhundert ist gerade deswegen so spannend. Wir haben hochrelevante Fragen, die wir mit einem modernen Methodenportfolio erforschen.

Welches Ihrer aktuellen Forschungsprojekte liegt Ihnen besonders am Herzen?

Wie bei eigenen Kindern sollte man alle gleich liebhaben. Ob nun die Seelöwen auf Galapagos, die Greifvögel in Westfalen, die Kiebitze auf Madagaskar oder die Zebrafinken im Labor, jedes unserer Projekte ist äußerst spannend. Alle diese Projekte eint der Ansatz, über Jahrzehnte dabei zu sein, um zu dokumentieren, wie sich Verhalten in sich ändernden Umwelten anpasst.

 

Terminhinweis

Schaffen Tiere es, sich an eine immer schneller verändernde Umwelt anzupassen? Wenn ja, wie? Um diese Fragen zu untersuchen, spielt die Verhaltensforschung eine Schlüsselrolle. Der Verhaltensbiologe Prof. Dr. Oliver Krüger von der Universität Bielefeld zeigt in einem öffentlichen Vortrag am 4. September (Mittwoch), dass das Verhalten besonders flexibel ist und Tiere damit eine Möglichkeit haben, sehr schnell auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren. Anhand von drei Beispielen aus der laufenden Forschung macht er deutlich, warum es immer Hoffnung gibt, dass Tiere mit dem Klimawandel, Veränderungen ihres Lebensraums und einem veränderten Artenspektrum zurechtkommen. Er legt aber auch dar, wo die Grenzen der Anpassungsfähigkeit liegen. Der Vortrag „Verhalten im Wandel: Westfalen, Arktis, Galapagos“ beginnt um 17 Uhr im Fürstenberghaus, Hörsaal F2, Domplatz 20-22. Der Eintritt ist frei.

Der öffentliche Vortrag ist Teil einer wissenschaftlichen Tagung des Transregio-Sonderforschungsbereichs, an dem Arbeitsgruppen der Universitäten Bielefeld und Münster beteiligt sind.

 

Der SFB-TRR 212

Im Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB-TRR) 212 erforschen Angehörige der Universitäten Bielefeld, Münster, Jena und Mainz, wie sich Tiere angesichts sich verändernder Umweltbedingungen ihre individuelle ökologische Nische suchen. Ziel ist es, zu verstehen, wie und warum Individuen nur einen sehr kleinen Teil der Nische ihrer Art ausnutzen und welche Auswirkungen dies auf die ökologische und evolutionäre Anpassung in einer sich rapide verändernden Welt hat. Mit diesen Fragen setzen sich Arbeitsgruppen unterschiedlicher Disziplinen auseinander, darunter Verhaltens- und Evolutionsbiologie, Ökologie, Philosophie und Ökonomie. Prof. Dr. Oliver Krüger, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Behaviour“ an der Universität Bielefeld, ist derzeit Sprecher des SFB-TRR. Ko-Sprecher Prof. Dr. Joachim Kurtz, Leiter der Arbeitsgruppe „Animal Evolutionary Ecology“ an der Universität Münster, übernimmt das Sprecheramt im Januar 2025. Der vollständige Titel des SFB-TRR lautet „Eine neue Synthese zur Individualisation für die Verhaltensforschung, Ökologie und Evolution: Nischenwahl, Nischenkonformität, Nischenkonstruktion“.

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