An diesem sehr hellen sommerlichen Tag gewöhnen sich die Augen nur langsam an die Dunkelheit. Die rund 1.500 Exponate im Bibelmuseum sind so lichtempfindlich, dass die Ausstellungsstücke nur punktuell mit kleinen Strahlern beleuchtet werden. Schon dieser Kontrast macht deutlich: Das Museum ist eine eigene kleine Welt, in der der Kustos Dr. Jan Graefe das Publikum freundlich willkommen heißt.
Nur der eigens aus Gotha anreisende Kurier darf die Kiste öffnen, das Exponat entnehmen und in die Vitrine legen. Nur noch im Notfall darf sie geöffnet werden – Schutzauflagen der Leihgeberin, die Forschungsbibliothek Gotha. Was ein Notfall sein kann, zeigt eine unfreiwillige Kostprobe: Beim Gang durch den Ausstellungsraum fällt Jan Graefes wachsamer Blick auf eine aufgeschlagene Bibel, die etwas von ihrer Buchstütze gerutscht ist. Umgehend legt er das gute Stück vorsichtig wieder auf seinen Platz. „Unter solchen Umständen dürften wir die Vitrine auch betreten, nachdem die Luther-Handschrift ausgelegt wurde“, erläutert er. Trotzdem ist er froh, dass er den Fehler vorher beheben konnte.
Es dauert nicht lange bis zum nächsten Notfall: Gegen 12.30 Uhr stellt sich heraus, dass es ein Problem mit der Elektrik gibt. Der Türöffner und die Transponder sind ausgefallen, niemand kann hereingelassen werden. Jan Graefes erster Blick gilt der Klimaanlage – sie funktioniert. Die Erleichterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Bei unseren extrem empfindlichen Exponaten wäre das ein GAU“, erläutert er. Allerdings ist unklar, ob die Alarmanlage auch betroffen ist. Die Mittagspause fällt daher aus. „Bis das geklärt ist, muss ich auf jeden Fall hierbleiben.“
Jan Graefe lässt alles stehen und liegen und ruft beim Hausmeisterservice der Universität an. Wenig später machen sich drei Elektriker an der Anlage zu schaffen. Um den Alarm zu testen, brechen sie die Tür zum Stromversorgungsraum auf – und ein schriller Ton dringt durch die Pferdegasse. In diesem Fall ist das ein gutes Zeichen. Schnell ist der Schaden repariert und die Türöffnung funktioniert wieder. „Zum Glück ist jetzt alles wieder in Ordnung, bevor der Kurier kommt. Das hätte keinen guten Eindruck gemacht“, lacht Jan Graefe, als die kurze Anspannung von ihm abfällt.
Wenn er sich nicht gerade um ausgefallene Alarmanlagen kümmert oder auf einen Kurier wartet, widmet sich der 45-jährige studierte Historiker seinem Tagesgeschäft, das er mit den Schlagwörtern „sammeln, bewahren, forschen, vermitteln“ zusammenfasst. So konzipiert er gemeinsam mit dem Direktor des Bibelmuseums, Prof. Dr. Holger Strutwolf, die turnusmäßigen Ausstellungen zu Ostern und Weihnachten sowie die Sonderausstellungen in den Sommermonaten. Dabei greifen sie auch Impulse der studentischen Hilfskräfte auf, die die meisten Besucherführungen nach Schulungen durch Jan Graefe übernehmen: „Durch den direkten Publikumskontakt erfahren die Studierenden, was unsere Gäste interessiert. Außerdem bringen sie natürlich eine jüngere Perspektive ein.“ Die sei auch beim Bildungsprogramm für Kinder erforderlich, denn das Bibelwissen in der jungen Generation schwinde.
Manchmal schaffen es auch geschenkte Bibeln in die Ausstellung. „Wir bekommen häufig Anfragen aus der Bevölkerung, ob wir Interesse an alten Bibeln haben, etwa bei Haushaltsauflösungen. Die Sichtung ähnelt Weihnachten: Man weiß nicht, was in der Kiste drin ist, aber irgendetwas Schönes ist meistens dabei“, schildert Jan Graefe. Einige Exemplare aus der Sammlung werfen Forschungsfragen auf, wie eine Lutherbibel, deren genaues Erscheinungsjahr noch nicht geklärt ist, da das Titelblatt fehlt.