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Münster (upm/ch).
Diese Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops zeigt eine Ansammlung von interstellarem Gas und Staub, mehr als 5.300 Lichtjahre von der Erde entfernt. Teleskope helfen dabei, die Entwicklungsgeschichte des Universums zu rekonstruieren.<address>© ESA/Hubble and NASA, J. Tan (Chalmers University and University of Virginia), R. Fedriani</address>
Diese Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops zeigt eine Ansammlung von interstellarem Gas und Staub, mehr als 5.300 Lichtjahre von der Erde entfernt. Teleskope helfen dabei, die Entwicklungsgeschichte des Universums zu rekonstruieren.
© ESA/Hubble and NASA, J. Tan (Chalmers University and University of Virginia), R. Fedriani

„Das Lichtsignal ermöglicht ein ‚Babyfoto‘ des Universums“

Physiker Kai Schmitz gibt Einblicke in die Evolution des Universums und in Fragen der Kosmologie

Das Arbeitsgebiet von Prof. Dr. Kai Schmitz liegt an der Schnittstelle von Teilchenphysik und Kosmologie, sein Steckenpferd sind Gravitationswellen aus dem frühen Universum. Im Gespräch mit Christina Hoppenbrock gibt der Arbeitsgruppenleiter am Institut für Theoretische Physik Einblicke in die Evolution des Universums, in die Methoden der Forschung und in die noch ungeklärten Fragen der Kosmologie.

Prof. Dr. Kai Schmitz ist Arbeitsgruppenleiter am Institut für Theoretische Physik<address>© Uni MS - Peter Leßmann</address>
Prof. Dr. Kai Schmitz ist Arbeitsgruppenleiter am Institut für Theoretische Physik
© Uni MS - Peter Leßmann
Ich möchte mit Ihnen über Evolution reden, aber nicht über Evolution im Darwin’schen Sinne …

In der Kosmologie ist der Begriff Evolution auch sehr gebräuchlich. Er bezeichnet die Entwicklung des Universums aus einem sehr frühen, ursprünglichen Zustand heraus bis heute – oder anders gesagt: die Abläufe von physikalischen Prozessen auf kosmologischen Größen-, Längen- und Zeitskalen.

‚Evolution des Universums‘ – das klingt nach einem riesigen Forschungsfeld.

Die Kosmologie als wissenschaftliche Disziplin ist über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte stark gewachsen. In Großforschungsprojekten kommen Hunderte und Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Die moderne Kosmologie versucht, die Evolution ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu rekonstruieren. Wir untersuchen, welche physikalischen Prozesse in der heißen Ursuppe vor 13,8 Milliarden Jahren stattfanden. Dabei haben wir eine starke Überschneidung mit der Teilchen- und Kernphysik. Dann folgen wir der Entwicklung des Universums über die ersten Sekundenbruchteile, die ersten Sekunden, Minuten, Jahre. 380.000 Jahre nach dem Urknall wurde die sogenannte kosmische Hintergrundstrahlung abgestrahlt, das ist das Nachglühen des Urknalls. Um diese Prozesse zu verstehen, spielen wichtige Erkenntnisse der Atomphysik eine Rolle.

Und wie ging es weiter?

Wir können mit unseren physikalischen Theorien beschreiben, wie sich aus der heißen Ursuppe heraus Strukturen geformt haben. Es bildeten sich Klumpen, daraus entstanden die ersten Sterne, die ersten Galaxien, die ersten Galaxienhaufen. Heute sehen wir im Universum ein Netzwerk aus Galaxien und Galaxienhaufen, die nicht beliebig verteilt sind. In diesem ‚kosmischen Netz‘ gibt es Querverbindungen, und dazwischen große Hohlräume, in denen es weniger Galaxien gibt.

Wie kann man etwas erforschen, das vor 13,8 Milliarden Jahren passiert ist?

Unsere Vorstellung von der Evolution des Universums beruht auf drei Grundpfeilern. Der erste fußt auf Beobachtungen von Edwin Hubble, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellte, dass sich Galaxien außerhalb unserer Milchstraße von uns entfernen. Das hat er richtig interpretiert als eine Ausdehnung des Universums, die mit dem Urknall anfängt. Rückwärts betrachtet heißt das, dass das Universum in der Vergangenheit dichter und heißer gewesen sein muss.

Der zweite Pfeiler ist die kosmische Hintergrundstrahlung, die ich schon angesprochen habe. 380.000 Jahre nach dem Urknall war die Ursuppe soweit abgekühlt, dass sich erstmals Lichtteilchen – Photonen – frei bewegen konnten. Einige wurden damals in unsere Richtung abgestrahlt. Dieses Lichtsignal empfangen wir heute und haben damit ein ‚Babyfoto‘ des Universums. Darin stecken sehr viele Informationen. Beispielsweise sehen wir, dass die Ursuppe nicht gleichmäßig heiß war – die Vorstufe des heutigen kosmischen Netzes. Solche Beobachtungen können wir statistisch beschreiben und mit unseren theoretischen Modellen vergleichen.

Und drittens?

Die Urknalltheorie macht auch konkrete Vorhersagen darüber, in welchem Verhältnis sich die leichten chemischen Elemente, beispielsweise Wasserstoff und Helium, in den ersten Minuten des Urknalls gebildet haben. Das können wir durch astrophysikalische Beobachtungen überprüfen und finden bis ins Detail sehr große Übereinstimmungen.

Sie beschäftigen sich speziell mit der Evolution des frühen Universums. Was interessiert Sie daran besonders?

Die Gravitationswellen aus dem Urknall. Es gibt viele physikalische Theorien, die die Erzeugung von Gravitationswellen im Urknall vorhersagen. Wenn das stimmte, gäbe es im Universum neben den elektromagnetischen Wellen, also den Lichtsignalen, auch einen Gravitationswellen-Hintergrund, der seinen Ursprung im Urknall hat. Die zugrundeliegenden Theorien beruhen auf Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik – da gibt es viele offene Fragen, die wir beantworten möchten. Meine Gruppe ist an der ‚Nanograv Pulsar Timing Array Collaboration‘ beteiligt. Wir beobachten Pulsare in der Milchstraße, um ein Gravitationswellen-Rauschen aufzuspüren. …

Pulsare sind Überreste der Kerne massereicher Sterne.

… Im vergangenen Jahr haben wir Ergebnisse veröffentlicht, die zeigen, dass es solche Signale tatsächlich gibt. Doch woher stammen sie? Eine gängige Erklärung ist, dass die Gravitationswellen ihren Ursprung in Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien haben. Wir interessieren uns für die zwar unwahrscheinlichere, aber spannendere Alternative: Die aufgespürten Gravitationswellen könnten ein ‚Echo‘ des Urknalls sein.

Es gibt also noch viele offene Fragen zur Evolution des Universums …

Es gibt Beobachtungen, die sind quasi unumstößlich. Beispielsweise können wir sicher sagen, dass das Universum sich vor 13,8 Milliarden Jahren in einem heißen, dichten Zustand befand. Aber im Hinblick auf die Strukturbildung gibt es Phänomene, die wir nicht genau verstehen, wir nennen sie dunkle Energie und dunkle Materie. Wir kennen viele ihrer Eigenschaften und können diese in Computersimulationen zur Evolution des Universums einsetzen – das passt auch soweit alles. Trotzdem sind dunkle Energie und dunkle Materie eher ein Platzhalter für physikalische Phänomene, deren Wirkungsweise und Natur wir heutzutage doch noch nicht genau kennen. Dunkle Energie hat Eigenschaften, die dazu beitragen, dass das Universum sich immer schneller ausdehnt. Dunkle Materie tritt mit ihrer Umgebung durch die Gravitationskraft in Wechselwirkung und trägt damit zur Bildung von Strukturen bei. So sind etwa Galaxien typischerweise im Kern großer Ansammlungen von dunkler Materie angesiedelt. Aber was sich dahinter verbirgt, wissen wir nicht. Sind es beispielsweise bislang unbekannte Elementarteilchen? Es gibt viele Kandidaten, aber noch tappen wir im Dunkeln.

In der Biologie lässt sich der Evolutionsprozess in Laborexperimenten nachstellen. Funktioniert das auch in der Physik?

Gerade aus der Frühphase des Universums versuchen wir, manches im Labor nachzustellen – zum Beispiel in Beschleunigerexperimenten, in denen Teilchenkollisionen stattfinden. Ansonsten haben wir in der Physik und Kosmologie verschiedene Möglichkeiten, die Evolution zu rekonstruieren. Dazu nutzen wir Satelliten und Teleskope. Die kosmische Hintergrundstrahlung zum Beispiel wird mit Satelliten präzise vermessen. Satelliten und Teleskope sind quasi die ‚Augen‘ der Kosmologie. Und seit Kurzem gibt es auch die ‚Ohren‘, damit meinen wir die Experimente zum Nachweis von Gravitationswellen.

In der aktuellen Astrophysik und Kosmologie versucht man, bestimmte Phänomene, Prozesse und Ereignisse nicht nur mithilfe eines einzelnen Botschafters zu rekonstruieren, sondern durch verschiedene Quellen, sogenannte Multi Messenger Observations. Neben den genannten Signalen sind die Neutrinos wichtig: Elementarteilchen mit sehr geringer Masse, die aus dem Universum stammen. Wir haben also verschiedene Botschafter aus dem All: Lichtsignale, Gravitationswellensignale und Neutrinos.

Kann man Vorhersagen für die Evolution des Universums treffen?

Wir können mit einiger Sicherheit den Zustand für die nächsten Millionen Jahre vorhersagen, vielleicht auch für einige Milliarden Jahre. Aber was der Endzustand in Hunderten von Milliarden von Jahren oder darüber hinaus sein wird, ist Spekulation. Wenn wir mit unserem heutigen Modell in diese Zukunft schauen, wird irgendwann im Universum eine große Leere herrschen. Alles bewegt sich voneinander weg, es bilden sich keine neuen Sterne mehr. Am Ende gibt es nur noch schwarze Löcher, die anschließend über unvorstellbar große Zeiträume hinweg langsam zerstrahlen.

Im aktuellen Standardmodell der Kosmologie beschreiben wir dunkle Energie durch Einsteins kosmologische Konstante. Aber es gibt aus den vergangenen Monaten Hinweise darauf, dass dunkle Energie unter Umständen eine zeitabhängige Größe sein könnte, die mit der Zeit schwächer wird. Ob dem wirklich so ist, wird sich erst in Zukunft zeigen, wenn andere Beobachtungen zum gleichen Schluss gelangen. Wenn sich die aktuellen Hinweise allerdings bewahrheiten sollten, müssen wir die Vorhersagen zur Evolution des Universums deutlich korrigieren.

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