Immer schön in die Knie gehen
Es dauert nur wenige Minuten, bis man versteht, was Übungsleiterin Antonia Slawik meinte, als sie zu Beginn des Kurses darauf hinwies, dass man bei den Erläuterungen gut zuhören und „ein Minimum an Koordinationsfähigkeit mitbringen“ solle. Zudem stünden einige „sehr komplexe Vorgänge“ an. Los geht’s. Nachdem sich die 20 Männer und Frauen „longway“, also in einer langen Reihe, einander gegenüber aufgestellt haben, drehen sich Herr 1 und 2 sowie Dame 1 und 2 halb herum, gehen mit Handfassung 1 Double zur Wand, drehen wieder halb, gehen genauso 1 Double zurück, während jetzt Paar 1 auf Platz 2 wendet, Paar 2 nachrückt, Paar 1 eine halbe Runde folgen lässt und schließlich Herr 2 und Dame 1 sowie Herr 1 und Dame 2 die ersten acht Takte wiederholen. Durchaus möglich, dass ein Anfänger spätestens jetzt ein leichtes Schwindelgefühl verspürt oder zumindest um eine Wiederholung bittet. Ich tröste mich damit, dass es wahrscheinlich vielen anderen Teilnehmern nicht anders ergangen sein dürfte. Schließlich soll ich laut Ankündigung in diesem Kurs Tänze lernen, „denen man im normalen Tanzbetrieb üblicherweise nicht begegnet“. Willkommen in einer lang zurückliegenden Epoche, willkommen beim Mittelaltertanz!
Sport ist mein Ding. Neben Schwimmen und Rennradfahren bin ich für nahezu jede Ballsportart zu begeistern. Aber warum nicht mal bewusst etwas sportlich Ungewohntes, Unbekanntes und für mich Fremdartiges ausprobieren? Der Hochschulsport hat schließlich einiges zu bieten. Höfische Tänze beispielsweise oder Fechten.
An diesem Montagabend üben die Studierenden, von denen sich zwei Drittel als erfahrene Mittelaltertänzer zu erkennen geben, in der Gymnastikhalle am Horstmarer Landweg zunächst den „Juice of Barley“, einen englischen Tanz aus dem 17. Jahrhundert. Glücklicherweise stehen zunächst Trockenübungen ohne Musik auf dem Programm: vor, zurück, drehen, kreuzen, die Hände reichen, Rücken an Rücken aneinander vorbei. Immer wieder geben die Übungsleiter mit „5, 6, 7, 8“ den Takt vor. Mittlere Geschwindigkeit. Einige Teilnehmer machen barfuß mit, andere haben Socken oder Ballettschuhe an. „Jeder soll mitmachen können“, macht Antonia Slawik mir Mut, „in den Anfängerkursen konzentrieren wir uns auf einfache Tänze.“ Es geht also auch deutlich komplexer ...
Natürlich ist alles neu und entsprechend schwierig. Es ist vor allem eine Konzentrationsübung. Immer wieder gerate ich aus dem Takt, erst recht, als die Musik jeden Schritt- und Drehfehler offenlegt. Ich nehme die Stunde nicht nur als ungewohnt, sondern in erster Linie als anspruchsvoll wahr. „Es sind eben andere Tänze und Musik“, beschreibt Lena Kottenstede, die Physik und Informatik auf Lehramt studiert, ihre Begeisterung. „Außerdem mag ich es, immer als Gruppe zu tanzen.“ Wahrscheinlich sei durchaus etwas dran, meint Übungsleiterin Antonia Slawik und lächelt, wenn Außenstehende wie ich glaubten, „dass auch der eine oder andere Nerd unter uns ist“.
„Immer die Spannung in den Beinen halten“, betont Obmann Marius Neumann, als ich ihn eine Woche später beim Florettfechten in der kleinen Sporthalle der Gesamtschule Mitte frage, was ich als Anfänger beachten sollte. Ach, wenn es doch nur das wäre, schießt es mir eine Stunde später durch den Kopf. Denn ich muss zeitgleich den Gegner im Auge behalten, das mögliche Vortreffrecht meines Gegenübers beachten, etwaige Attacken abwehren oder mir das Recht des Angriffs durch einen Schlag auf die Stichwaffe meines Kontrahenten sichern. Und das alles in einem fremden Outfit: Meine Schutzkleidung besteht aus einem mehrteiligen, weißen Fechtanzug, einer Elektroweste aus Brokatstoff, Handschuhen und einer stichsicheren Maske. Mein Florett schließe ich mit einem Körperkabel an eine spezielle Kabelrolle an. Nur so ist gewährleistet, dass meine Treffer gezählt werden – leider vor allem die meiner Kontrahenten.
Bevor ich meine Fertigkeiten in diesem als „bewegungsintensiv und elegant“ beschriebenen Kampfsport ausprobieren darf, stehen jedoch einige Fitness- und Kräftigungsübungen in handelsüblichen Sportklamotten auf der Agenda des Trainers. Die sechs Frauen und sieben Männer laufen sich zunächst bei Musik im Kreis warm, es folgt ein Zirkeltraining an sechs Stationen. Zweimal pro Woche steht das rund zweieinhalbstündige Training an. Dabei sollte man nie vergessen: immer schön in die Knie gehen und die Beine fürs schnelle Vorrücken und Zurückweichen anspannen ...
„Ruhig voll durchziehen“, meint Marius Neumann, als er merkt, dass ich beim „Zustechen“ mit dem Florett zurückhaltend agiere. Die Kleidung sei sicher, es könne nichts passieren. Der 42-Jährige kam während seines Biologie-Studiums zum Fechten, seit rund zwölf Jahren ist er Übungsleiter beim Hochschulsport. „Es geht athletisch und schnell zu, man muss sehr konzentriert bleiben“, schwärmt er. „Zudem mag ich die Sportarten, bei denen es nachher ein Ergebnis gibt.“
Mein Endergebnis weist erwartungsgemäß mehr Punkte für meinen Gegner als für mich aus. Egal. Für einen Anfänger, meint Marius wohlwollend, hätte ich mich gut geschlagen. Der Sport, hatte er zuvor in Aussicht gestellt, fördere die Reaktionsschnelligkeit, das Koordinationsvermögen und das Taktikverständnis. Das kann ich in jeder Hinsicht bestätigen. Mindestens genauso wichtig: Ich empfinde mein Sportexperiment als gelungen, denn sowohl meine Tanzschritte durchs Mittelalter als auch meine Hiebe und Stiche haben Spaß gemacht.
Autor: Norbert Robers
Der Hochschulsport:
Vom Bogensport über Karate und Rhönrad bis zum Turnen und Wandern: Der Hochschulsport bietet rund 150 Sportarten an – pro Woche nutzen rund 20.000 Teilnehmer die Angebote. Viele Kurse sind schnell ausgebucht, aber es lohnt sich, immer mal wieder nach freien Plätzen Ausschau zu halten. Derzeit begehrt: die Sommer-Sporttouren unter dem Motto „Hörsaal war gestern ... heute ist Freiheit“.
Die Serie „fit und gesund“
Sich fit halten und gesund werden oder bleiben: Das ist der Wunsch vieler Menschen. In dieser Serie stellen wir verschiedene Facetten von Gesundheit und Fitness an der Universität in den Mittelpunkt. Den sprichwörtlichen erhobenen Zeigefinger oder Patentlösungen bietet die Reihe nicht, jedoch eine wissenschaftliche Einordnung und zudem einige praktische Tipps.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2024.