Schreibtischyoga gegen das Sitzfleisch
Bewegung in den Arbeitsalltag einzubauen, ist vor allem bei Tätigkeiten im Sitzen wichtig. Bereits kurze Bewegungspausen wirken sich laut Expertinnen und Experten positiv auf die Konzentration, das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System aus. So weit, so bekannt. Doch Gewohnheiten zu ändern, ist leichter gesagt als getan. In einer Art Logbuch schildert Kathrin Kottke, Redakteurin in der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, einen ihrer Arbeitsalltage.
5.45 Uhr: Der Handywecker klingelt. Dreimal gönne ich mir die Snooze-Taste. Der erste Gang führt mich zur Kaffeemaschine. Ich gehe ins Bad, ziehe mich an, und lese schließlich die Zeitung mit einem frisch aufgebrühten Kaffee.
6.45 Uhr: Ich schwinge mich auf mein Fahrrad. 25 Minuten sind es von Tür zu Tür – ohne E-Antrieb. Das mache ich jeden Tag; bei Wind und Wetter. Von Hiltrup bis zum Schloss und zurück sind es rund 16 Kilometer.
7.15 Uhr: Ich bin in meinem Büro im dritten Stock angekommen. In neun von zehn Fällen nehme ich die Treppe. Obwohl ich nicht unsportlich bin, wundere ich mich jedes Mal, dass ich nach dem Treppensteigen aus der Puste bin.
Bis ca. 9 Uhr: Ich beantworte und verfasse E-Mails und recherchiere für einen späteren Telefontermin zum Thema genetische Algorithmen.
9.05 Uhr: Zweite Tasse Kaffee und kurzer Plausch mit dem Kollegen im Nachbarbüro über die nächste Unizeitung.
9.10 Uhr: Ich verfasse eine Pressemitteilung zu einer Forschungsveröffentlichung aus den Geowissenschaften. Das Schreiben ist für mich eine kreative Tätigkeit, der ich am liebsten vormittags nachgehe. Das viele Sitzen und die Bildschirmarbeit sind für mich Alltag. Heute zwickt es im Nacken und an den Schultern – leichtes Schulter- und Kopfkreisen helfen nicht wirklich. Vor einigen Wochen berichtete mir eine Kollegin vom Schreibtischyoga – ein Angebot für Vielsitzende wie mich. Ich nehme mir fest vor, damit einzusteigen.
10.30 Uhr: Ich genehmige mir einen kleinen Snack, im Sitzen vorm Computer. In wenigen Wochen wird mein elektrisch höhenverstellbarer Schreibtisch geliefert. Er soll ergonomisches Sitzen und rückenschonendes Arbeiten im Stehen ermöglichen und dadurch Haltungsschäden vorbeugen.
11 Uhr: Auswärtstermin: Ich bin am Exzellenzcluster Mathematik Münster angekommen, um eine neue Kollegin kennenzulernen. Die Strecke von rund zwei Kilometern bin ich durch den Schlossgarten geradelt. Eine willkommene Auszeit von der Bildschirmarbeit, von der ich häufig Kopfschmerzen bekomme.
12 Uhr: Passend zur täglichen Mittagskonferenz via Zoom bin ich wieder im Büro eingetroffen – erneut kurzatmig, da ich die Treppe hochgehechtet bin, um pünktlich zu sein.
12.30 Uhr: Mittagspause – heute (mal wieder) vorm Computer. Das mit Käse belegte Brötchen nehme ich kaum wahr, da ich nebenbei E-Mails lese und Anrufe annehme. Ab und an gönne ich mir einen Spaziergang durch den Botanischen Garten oder ein Mittagessen in einem Café.
13 Uhr: Der Telefontermin steht an. Ich führe Gespräche oft mit dem Headset, damit ich aufstehen und durchs Büro laufen kann. Doch heute muss ich konzentriert mittippen.
14 Uhr: Kaffee Nummer drei und ein paar Plätzchen halten das Nachmittagstief, das sich anbahnt, im Zaum. Kuchen und Kekse gibt es zum Glück (oder – Achtung, Zucker – zu meinem Leidwesen) ausreichend in unserer Abteilung!
14.15 Uhr: Ich schreibe einen Text für die Unizeitung, das Mohnkuchen-Porträt. Das macht immer viel Spaß, weil ich Personen an der Uni kennenlerne, mit denen ich sonst eher nicht in Kontakt komme.
15 Uhr: Besprechungstermin mit dem Chef und einer Kollegin zum Thema englische Übersetzungen unserer Texte. Es folgt ein weiterer Termin via Zoom, wieder alles im Sitzen.
16 Uhr: Ich habe Feierabend und fahre mit dem Rad zurück. Meine Tochter wartet schon zu Hause. Ich düse mit ihr zu einem Termin, danach zum Supermarkt und wieder nach Hause. Heute steht alles Spitz auf Knopf. Meine Hobbys Joggen und Sportkurse verlege ich oft aufs Wochenende.
17.30 Uhr: Aufräumen, Schulaufgaben kontrollieren, Abendessen vorbereiten.
18 Uhr: Langsam kehrt Ruhe ein. Wir sitzen am Esstisch und berichten uns gegenseitig, was am Tag passiert ist. Anschließend geht es eine Runde um den „Pudding“. Zum Glück werden die Tage wieder länger.
Expertinnen-Tipps
Janette Bewer, Sportwissenschaftlerin und Mitarbeiterin beim Hochschulsport:
Der menschliche Körper ist für das lange Sitzen ohne Unterbrechung nicht gemacht. Das Herz-Kreislauf-System und der Bewegungsapparat werden in eine Art Dämmerschlaf versetzt – mit zum Teil gravierenden Folgen: Rücken- und Nackenschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskeln, Faszien, Sehnen und Bänder verkürzen sich über die Zeit und das Risiko für Typ-2-Diabetes steigt. Die allgemeine Annahme, dass Vielsitzer diese gesundheitlichen Risiken mit Sport wettmachen können, ist nur bedingt richtig. Ich rate daher darauf zu achten, regelmäßige Sitzpausen in den Arbeitsalltag einzubauen. Es gibt viele Übungen, die mit wenig Aufwand viel Gutes erreichen. Beispielsweise können „Wartezeiten“ am Drucker oder Telefonate genutzt werden, um die Schultern und die Hüfte zu kreisen. Eine Mischung aus Mobilisation und leichtem Stretching ist optimal. Zudem ist ein höhenverstellbarer Schreibtisch eine sinnvolle Anschaffung: Unter anderem, weil Stehen doppelt so viel Energie wie Sitzen verbraucht und die Muskelspannung erhöht. Grundsätzlich gilt: Prävention ist besser als Reaktion. Also werden Sie aktiv, bevor die ersten Beschwerden auftreten.
Prof. Dr. Nicole Eter, Direktorin der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Münster:
Die gute Nachricht zuerst: Erwachsene können ihre Augen durch viel PC-Arbeit nicht „kaputt“ machen. Bei Kindern sieht das anders aus: Das lange Starren auf Laptop, Smartphone oder Fernseher hat einen negativen Einfluss auf das gesunde Wachstum der Augen. Die Arbeit am Computer beansprucht allerdings auch bei Erwachsenen die Augen stark. Durch intensives Blicken auf den Bildschirm reduziert sich der Lidschlag, der das Auge befeuchtet. Die Folge: Die Augen trocknen aus, da Horn- und Bindehaut durch die Tränenflüssigkeit unzureichend benetzt werden. Daher empfehle ich regelmäßige Bildschirmpausen und den Blick ab und zu durch das Büro oder aus dem Fenster schweifen zu lassen. In die „Ferne“ zu schauen, entlastet die Augen sehr. Vorbeugend wirken außerdem Computertätigkeiten bei guter Beleuchtung sowie regelmäßiges Lüften. Und wenn es mal sein muss, kann man seine Augen mit Tropfen befeuchten. Viele Menschen ab 50 Jahren nutzen zudem eine spezielle Bildschirmarbeitsplatzbrille, die über einen großen Sehbereich für die kurzen und mittleren Distanzen verfügt.
Die Serie „fit und gesund“:
Sich fit halten und gesund werden oder bleiben: Das ist der Wunsch vieler Menschen. In dieser Serie stellen wir verschiedene Facetten von Gesundheit und Fitness an der Universität in den Mittelpunkt. Den sprichwörtlichen erhobenen Zeigefinger oder Patentlösungen bietet die Reihe nicht, jedoch eine wissenschaftliche Einordnung und zudem einige praktische Tipps.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 4. April 2024.