Augen eröffnen uns die Welt
„Mit Licht“, sagt Dr. Jörg Imbrock, während er mit einem Pointer einen roten Punkt auf eine Tafel projiziert, „kann man wunderbar vielfältige Dinge anstellen.“ So spreche man beispielsweise von optischer Kommunikation, wenn man mithilfe von Licht Daten überträgt, da nichts schneller als Licht sei, fügt der Physiker aus der Arbeitsgruppe „Nichtlineare Photonik“ der Universität Münster hinzu. Zudem kann man mit der Energie von extrem kurzen Lichtpulsen auch viele Dinge zerschneiden, etwa einen Kristall. Oder einen renitenten Agenten.
Das scheint auch James Bond alias Sean Connery mit Schweißperlen auf der Stirn zu dämmern, als er im 007-Streifen „Goldfinger“ gefesselt auf einer goldenen Tischplatte liegt, während Oberschurke Gerd Fröbe ihm lässig erklärt, wie er ihn ins Jenseits zu befördern gedenkt – mit einem scharf gebündelten Lichtstrahl. „Sie sehen hier einen Laserstrahler vor sich. Er strahlt ein ungewöhnliches Licht aus, das es in der Natur nicht gibt“, erläutert der Bösewicht. So fantastisch die Filmszene auch war, so zutreffend schildert Gerd Fröbe die physikalische Besonderheit dieses Mordversuchs: Laserstrahlen werden immer künstlich erzeugt. Selbstverständlich überlebt der britische Topspion.
Keine Frage: Unsere Augen sind ein Wunderwerk der Natur. Der Sehsinn liefert uns rund 80 Prozent aller Informationen aus der Umwelt, jeder Mensch kann etwa 150 Farbtöne unterscheiden, die Augen nehmen pro Sekunde rund zehn Millionen Informationen auf. „Der Sehsinn ist der wichtigste Sinn“, unterstreicht die Lehrstuhlinhaberin an der medizinischen Fakultät und Leiterin der münsterschen Klinik für Augenheilkunde, Prof. Dr. Nicole Eter. „Diese beiden kleinen Organe eröffnen uns die Welt.“ Aber es gibt natürliche Grenzen. Unsere seherischen Fähigkeiten sind in Nanometern messbar. Denn Licht ist eine Form der elektromagnetischen Strahlung – die entsprechenden Lichtwellen sehen wir ausschließlich im Bereich von etwa 400 (blau) bis 750 Nanometern (rot). „Diese Beschränkung ist das Ergebnis der evolutionären Entwicklung“, erläutert Jörg Imbrock.
Wie genau funktioniert unsere so wertvolle „visuelle Wahrnehmung“? Das für uns sichtbare Licht passiert die etwa einen halben Millimeter dicke Hornhaut, die Pupille, die das Licht bündelnde Linse und den mit einer Gelmasse gefüllten Augapfel, bis es schließlich auf die Netzhaut fällt. Die Sinneszellen in der Netzhaut wandeln die elektromagnetischen Wellen in Nervenimpulse beziehungsweise Reize um und leiten sie über die Sehnerven in die Sehrinde des Großhirns weiter, die aus den Signalen der beiden Sehnerven der Augen Bilder formt.
Übrigens stehen die ursprünglichen Bilder, die auf der Netzhaut entstehen, auf dem Kopf – das Auge funktioniert wie eine Lochkamera. Unser Gehirn übernimmt dankenswerterweise auch die Aufgabe, die Bilder wieder richtig herum zu drehen. Ohnehin vollbringt unser Gehirn beim Sehen Höchstleistungen. Es vergleicht die aktuellen Bilder und Informationen mit den unzähligen Objekten und Gefühlseindrücken, die wir bereits im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Aus all diesen Daten entwickelt das Gehirn in Sekundenbruchteilen die Eindrücke, die wir wahrnehmen.
In der Physiologie unterscheidet man verschiedene, von den Lichtverhältnissen abhängige Arten des Sehens – das „Zapfensehen“, das Sehen bei Licht, und das „Stäbchensehen“, also das Sehen bei Dämmerung und in der Nacht. Zapfen und Stäbchen sind zwei unterschiedliche Sinneszellen. Bei normalen Lichtverhältnissen arbeiten die rund sechs Millionen Zapfen und 120 Millionen Stäbchen gleichermaßen, sie liefern uns in ihrem bewährten Zusammenspiel die gewohnt vielfarbige Welt. Die Zapfen liefern dabei die Informationen über die Farben und ermöglichen das scharfe Sehen. Erst ab einer bestimmten Helligkeit senden sie Impulse zum Gehirn. Im Dunkeln, wenn man meist nur noch Formen, Umrisse oder Grautöne erkennt, sind ausschließlich die Stäbchen aktiv, die mit einer relativ geringen Lichtintensität auskommen. „Das Auge ist ein sehr komplexes Organ, das zudem eine ausgeklügelte Struktur hat“, unterstreicht Nicole Eter. Die entsprechend filigrane Mikrochirurgie empfindet sie als „sehr entspannend“.
Die Bedeutung des Sehens erkennt man auch daran, dass es eine Vielzahl von Redewendungen, Sprüchen und Zitaten gibt, die direkt oder indirekt darauf anspielen. Manche sehen schwarz, eine Leistung kann sich sehen lassen, andere Zeitgenossen rennen sehenden Auges in ihr Verderben. Man kann etwas ins Auge fassen, seine Augen vor etwas verschließen oder jemanden aus den Augen verlieren. Der Komponist Richard Wagner meint, „dass wir zu viel sprechen, aber zu wenig sehen“, für den französischen Essayisten Joseph Joubert ist „die Phantasie das Auge der Seele“. Für die Bibelstelle, wonach „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ gelte, gibt es den passenden Widerspruch: Dieses Motto verheiße nichts Gutes, sondern hinterlasse auf beiden Seiten nur Blinde.
Apropos. Wissenschaftler arbeiten bereits seit vielen Jahren daran, auch sehbehinderten oder blinden Menschen diesen enorm wichtigen Fernsinn zumindest ansatzweise zurückzugeben – mithilfe von Retina-Implantaten, eine Art elektronischer Netzhaut-Prothese. Zudem setzen Forscherteams weltweit auf einen weiteren Ansatz: mit genetischen Methoden das Absterben wichtiger Netzhautzellen zu verhindern. Schließlich ist auch die von Bösewicht Gerd Fröbe genutzte Technik ein Hoffnungsschimmer: Für die Korrektur von Fehlsichtigkeiten kommen auch Laser zum Einsatz.
Autor: Norbert Robers
Die Serie „Sinn-voll“:
Sehen, hören, tasten, schmecken und riechen: Die fünf Sinne sind im Alltag wichtig, aber sie spielen auch in der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Zum einen dienen sie als Mittel zur Erkenntnis, andererseits sind sie mitunter Gegenstand der Forschung. Wir stellen Ihnen in dieser Serie einige Orte an der Universität vor, an denen Sinneseindrücke im Mittelpunkt stehen.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 13. Dezember 2023.