Eine Vision und viel Spielfreude als Zutaten der Zusammenarbeit
Rund 8.000 Beschäftigte in der Wissenschaft und Verwaltung, 15 Fachbereiche, mehr als 45.000 Studierende: An der Universität Münster bieten sich viele Möglichkeiten der Vernetzung und Teamarbeit – lokal, national und international. Die Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit hat in einem sechsmonatigen Dossier die Zusammenarbeit in ihren vielfältigen Facetten und die entsprechenden Chancen und Herausforderungen beleuchtet. Zum Abschluss geben drei internationale Universitäten Einblicke in ihre Arbeit.
Interdisziplinäres Forschen braucht Infrastruktur
Um komplexe Probleme zu verstehen und neue Erkenntnisse zu gewinnen, ist die Zusammenarbeit in der Wissenschaft von entscheidender Bedeutung. Interdisziplinäre Kooperationen sind besonders wichtig, da sie es ermöglichen, verschiedene Perspektiven und Fachkenntnisse zu kombinieren und somit ein innovatives Verständnis zu erlangen.
An der Universität Wien wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit sehr stark gefördert, die Forschungsplattform „The Challenges of Urban Futures“ (www.urban-futures.at) ist ein gutes Beispiel dafür. Diese Plattform bringt Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Disziplinen und Altersgruppen zusammen: von der Anthropologie und Geographie bis hin zur Informatik, Ökologie und Soziologie. Gemeinsam denken wir über die Herausforderungen nach, die Städte erleben und forschen über Themen wie Mobilität und Migration, soziale Gerechtigkeit, Stadtentwicklung und Umwelt. Die fortschreitende Urbanisierung und der damit einhergehende Klimawandel bedeuten enorme Veränderungen für unser Leben. Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit verschiedener Fachgebiete unerlässlich, um die komplexen Zusammenhänge dieser Transformation besser zu verstehen und auch die Folgen unterschiedlicher Lösungen auf deren soziale Gerechtigkeit zu überprüfen.
Doch Interdisziplinarität ist oft eine Herausforderung, da jeder Forscher einen eigenen wissenschaftlichen Background und eine eigene Herangehensweise hat. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit erfordert daher Offenheit und die Bereitschaft, fremde Perspektiven nicht nur zu verstehen, sondern sie auch im eigenen Ansatz zu berücksichtigen. Somit kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit uns nicht nur wertvolle Erkenntnisse und Lösungen bringen, sondern auch dazu beitragen, die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft zu verbessern und folglich – wie in einem Circulus Virtuoses – zu einem besseren Verständnis von komplexen Zusammenhängen und zu neuen Forschungsfragen führen.
Prof. Dr. Yuri Kazepov arbeitet am Institut für Soziologie der Universität Wien.
ERCIS – Gelebte Vernetzung in der Wirtschaftsinformatik
An der Universität Liechtenstein sind wir sehr glücklich, Mitglied des europäischen Netzwerks „ERCIS“ zu sein – dem European Research Center for Information Systems. Dieses an der Universität Münster vor bald 20 Jahren gegründete Netzwerk ist für mich ein gutes Beispiel für Interdisziplinarität und Vernetzung. Das ERCIS überwindet mehrere sonst oft bestehende Grenzen, sowohl regional als auch institutionell und fachlich:
(1) Das ERCIS überwindet regionale Grenzen: Wirtschaftsinformatikstandorte aus rund 30 Ländern sind Mitglied im ERCIS und arbeiten an gemeinsamen Forschungsprojekten, Publikationen und Lehrveranstaltungen. Mich inspirieren dabei immer die verschiedenen Sichtweisen, die die Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende täglich einbringen.
(2) Das ERCIS überwindet damit zugleich die institutionellen Grenzen: Wir denken weit über Lehrstühle, Institute, Fakultäten und auch Universitäten hinweg. Mich fasziniert es, Teil einer europaweiten Struktur zu sein und so gemeinsam anders wirken zu können.
(3) Das ERCIS überwindet schließlich auch Fachgrenzen: Denn nicht die Disziplin, sondern das Phänomen steht im Mittelpunkt. Mich begeistert es, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die entstehen, wenn wir Beiträge aus verschiedenen Perspektiven miteinander verbinden.
Ein Beispiel für meine Arbeit am ERCIS ist „Process Science“. Process Science ist nicht nur interdisziplinär, sondern kann sogar als post-disziplinär bezeichnet werden, da wir über das Denken in Disziplinen hinausgehen und das Phänomen der Veränderung in den Mittelpunkt rücken. Wir nutzen vielfältige Datenquellen, insbesondere digitale Spuren aus Sensornetzwerken, sozialen Medien oder auch von „Wearables“ wie Smartwatches und Fitnesstrackern. So können wir Veränderungen erkennen, bestimmen und auch verstehen. Somit entwickeln wir auch innovative Methoden und Tools, um die vielfältigen Veränderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Was macht das ERCIS so einzigartig und diese Kooperation so erfolgreich? Für mich gibt es nach den vielen Jahren darauf eine klare Antwort: Es sind die persönlichen Beziehungen. Viele Institutionen sprechen von Interdisziplinarität und Vernetzung, doch wenige leben diese auch. Vertrauen und Wertschätzung, eine gemeinsame starke Vision, etwas Verrücktheit und viel Spielfreude sind wichtige Zutaten der großartigen Zusammenarbeit, die mich am ERCIS-Netzwerk faszinieren.
Dr. Jan vom Brocke ist Professor für Information Systems and Business Process Management an der Universität Liechtenstein.
Das Projekt „RESILIENCE“
Im Jahr 2021 hat das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen die Europäische Forschungsinfrastruktur für Religionswissenschaften (RESILIENCE) als Teil des europäischen Fahrplans für Forschungsinfrastrukturen anerkannt. RESILIENCE ist eine interdisziplinäre Forschungsinfrastruktur, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus allen Fachgebieten Ressourcen und Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die sich mit Religionen in ihrer diachronen und synchronen Vielfalt befassen. An dem Netzwerk sind 13 akademische Forschungseinrichtungen – darunter auch die Universität Münster – aus mehr als elf europäischen und assoziierten Ländern beteiligt. Ziel ist es, qualitativ hochwertige Forschung in der Religionswissenschaft und Theologie zu fördern und auf die Herausforderungen der europäischen Gesellschaften und der damit verbundenen religiösen Vielfalt zu reagieren.
RESILIENCE bietet eine Kombination aus fächerübergreifender Kompetenz und technologischer Unterstützung für die wissenschaftliche Entwicklung und Verbreitung von Wissen zum Thema Religion. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Community sollen dazu ermutigt werden, disziplinübergreifend zusammenzuarbeiten und dabei die Grenzen innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften zu überschreiten. Die Kombination aus einer fachlichen und infrastrukturellen Herangehensweise macht RESILIENCE zu einem Ort, an dem unterschiedliche Methoden und fachliche Ansätze aufeinandertreffen – und somit zu weiteren interdisziplinären Fragestellungen und Projekten führen sollen. Von zentraler Bedeutung bei einem solchen Ansatz sind die Menschen und die Forschungsfragen. Die Bandbreite an Disziplinen der Experten, die sich an RESILIENCE beteiligen, ist groß und vielfältig.
Das Netzwerk nimmt sich Zeit für die Nutzer, um ihnen Vorschläge bezüglich neuer Quellen zu machen, Input aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven zu geben, zur Benutzung neuer technologischer Tools zu ermuntern und ihnen bei der Nutzung spezifischer Dienstleistungen zu helfen. Keine der Werkzeuge und Dienstleistungen, die RESILIENCE jetzt und in Zukunft bieten kann, können ohne vorantreibende Forschungsfragen Erfolg bringen – Fragen, die das Beste aus der digitalen Wende in den Sozial- und Geisteswissenschaften herausholen und es in den Dienst der Wissenschaft stellen. Das ist es, was wir bei RESILIENCE letztendlich machen: Wir dienen der Forschung, um Wissen zu schaffen.
Dr. Francesca Cadeddu ist eine der Geschäftsführerinnen von RESILIENCE im italienischen Bologna.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 12. Juli 2023.