Mehr Methodenvielfalt, mehr Möglichkeiten, mehr Erkenntnisgewinn
Wer das Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit der Universität Münster in der dritten Etage der Bogenstraße 15/16 unweit des Prinzipalmarkts betritt, findet sich zwischen deckenhohen und dunkelbraunen Bücherregalen wieder. Dem Betrachter fällt direkt ein großer Arbeitstisch mit Stühlen ins Auge. So gewöhnlich dieses Bild für eine Bibliothek ist, so gut passt es zu dem dort beheimateten Masterstudiengang „Interdisziplinäre Mittelalterstudien“ (IMAS), der verschiedene Fächer der Geschichte, Philosophie und Philologie miteinander verbindet und im übertragenen Sinne an einem Tisch zusammenbringt. Wer sich für diesen Studiengang einschreibt, lernt vieles über mittelalterliche Textwissenschaft, Überlieferungskunde, Geschichte und Kulturgeschichte im Zeitraum der Jahre 500 bis 1500 aus mehreren Blickwinkeln kennen. „Wir sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, die mittelalterliche Kulturgeschichte interdisziplinär zu beleuchten“, betont Prof. Dr. Karl Enenkel, Studienleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit an der WWU. „Erst durch die Kombination verschiedener Disziplinen wie der Buchgeschichte, Rhetorik, Handschriftenkunde und Kunstgeschichte können wir Phänomene umfassend in den Blick nehmen.“
Seit 2010 gibt es den IMAS-Masterstudiengang an der Universität Münster. Er ist vor allem für diejenigen Studierenden interessant, die beispielsweise einen Bachelor in Germanistik, Geschichte oder Lateinischer Philologie absolviert haben. Ziel ist die Vermittlung mediävistisch-kulturwissenschaftlicher Kompetenzen. Die drei Kernfächer sind Mittellateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte und Mediävistische Germanistik. Darüber hinaus können die Studierenden je nach individuellen Vorlieben aus einer Vielzahl weiterer Fächer wie Arabistik, Musikwissenschaft oder Rechtsgeschichte auswählen. In den Lehrveranstaltungen und Praxiselementen liegt der Fokus auf dem Umgang mit der materiellen Überlieferung des Mittelalters: Wie entsteht mittelalterliches Schriftgut, wie wurde es überliefert, und wie wird es heute konserviert? Welche Alltagsgegenstände können über bestimmte Aspekte des Lebens im Mittelalter Auskunft geben?
„Ich wusste schon früh während meines Studiums, dass das Mittelalter meine Epoche ist“, sagt Hannah von Legat, die parallel zum IMAS einen Master in Geschichte absolviert. „Ich habe festgestellt, dass ich viele fachliche Lücken habe, die ich nur schließen kann, wenn ich aus verschiedenen Perspektiven auf die Themen schaue.“ Die fächerübergreifende Zusammenarbeit spiegele sich in den Lehrveranstaltungen wider. „Die Seminare bei uns sind immer bunt gemischt – so treffen etwa Studierende aus der Germanistik auf Theologen und Historiker“, beschreibt Luca Hollenborg, der zusätzlich zum IMAS-Studiengang Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert. Genau dieser Aspekt liegt Karl Enenkel am Herzen. „Ich bin davon überzeugt, dass Interdisziplinarität die Zukunft ist. Wir können mittelalterliche Lebenswelten nur mit einem breiten Methodenspektrum erforschen.“
Die Philosophie des IMAS-Studiengangs findet sich auch in dessen Organisation wieder. „Wir wollen unseren Studierenden bewusst eine individuelle Schwerpunktbildung ermöglichen“, hebt Studienkoordinator Lukas Reddemann hervor. Da der Studiengang mit rund 20 Studierenden zu den kleineren an der WWU zählt, wird viel Wert auf eine persönliche Beratung und Förderung gelegt. Außerdem gibt es regelmäßig Angebote für einen gemeinsamen Austausch wie ein Kolloquium, bei dem die Studierenden ihre Masterarbeitsthemen vorstellen können – hinzu kommen Exkursionen. Die Kompetenzen dienen zum einen zur Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und sollen den Weg für eine forschungsorientierte Beschäftigung an Universitäten ebnen. Zum anderen bietet der Masterabschluss die Möglichkeit, in Archiven, Bibliotheken, Museen, der Öffentlichkeitsarbeit und weiteren Tätigkeitsfeldern der Kulturvermittlung beruflich Fuß zu fassen.
„Wir sind ein kleiner Studiengang, und allen ist das Studium eine Herzensangelegenheit“, erläutert Hannah von Legat. „Uns interessiert die Mediävistik, wir brennen auch in unserer Freizeit dafür“, fügt Luca Hollenborg hinzu. Nicht zuletzt der IMAS-Stammtisch verdeutlicht diese Leidenschaft. Zweimal im Monat kommen die Studierenden außerhalb der Lehrveranstaltungen ohne dunkelbraune Bücherregale um sie herum an einem Tisch zusammen und tauschen sich fächerübergreifend über ihre Forschungsinteressen aus.
Autorin: Kathrin Nolte
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 7. Juni 2023.