„Auch in Grönland gibt es größere Vorkommen an Seltenen Erden“
Einige Beobachter sprechen von einem „Sensationsfund“, andere warnen dagegen vor allzu großen Erwartungen. Fakt ist, dass Experten vor einigen Tagen im nordschwedischen Kiruna das bislang größte Vorkommen sogenannter Seltener Erden in Europa gefunden haben. An den Erkundungsarbeiten waren auch Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster beteiligt. Kathrin Kottke und Norbert Robers sprachen mit Prof. Dr. Michael Becken vom Institut für Geophysik über die Bedeutung der Entdeckung und den weiteren Verlauf der Arbeiten.
Woher wusste man überhaupt, dass man in Schweden „suchen“ muss – gab es Voruntersuchungen oder besondere Gesteins- und Bodenformationen, die auf einen möglichen Fund schließen ließen?
Man weiß seit den 1960er Jahren, dass es in Kiruna Seltene Erden gibt. Der schwedische Bergbaukonzern LKAB betreibt dort eine der größten Eisenerzminen weltweit, und die Seltenerdmetalle treten in Vergesellschaftung mit den Eisenerzen auf. Übrigens auch mit phosphorhaltigen Mineralen, die bedeutend sind, denn auch Phosphor ist ein kritischer Rohstoff, der vor allem für die Herstellung von Düngemitteln benötigt wird. Der Fund ist somit das Ergebnis jahrelanger Erkundungsarbeiten, aus denen sich abschätzen lässt, wie groß das Vorkommen ist und dass der Abbau wirtschaftlich sein könnte.
Was sind Seltene Erden, und welche davon wurden in Schweden entdeckt?
Die Metalle der seltenen Erden umfassen eine Gruppe von 17 Elementen im Periodensystem. Diese kommen nicht selten in der Erdkruste vor, aber sie treten sehr selten angereichert auf, was ihre Gewinnung schwierig macht. Für das Vorkommen bei Kiruna gibt LKAB eine Konzentration von durchschnittlich 0,18 Prozent an Seltenerdoxiden an, basierend auf der Analyse von Bohrkernmaterial. Das ist zwar eine sehr geringe Konzentration im Vergleich etwa zu den Eisenerzen in Kiruna, aber typisch für die Seltenerd-Vorkommen dieses Typs.
Wofür werden sie verwendet?
Seltenerdmetalle werden für viele Hochtechnologien benötigt, vor allem aber für die Herstellung von Permanent-Magneten für die Elektromobilität und für Windkraftanlagen. Sie sind technisch wichtig, und sie kommen hauptsächlich in China vor. Deswegen werden diese Elemente als kritische Rohstoffe klassifiziert – und deshalb ist das Vorkommen in Schweden so bedeutend für Europa.
Kann man zum Volumen des Funds in Schweden zumindest eine Schätzung abgeben?
Man geht von etwa einer Million Tonnen aus. Das entspricht etwa dem sechs- bis achtfachen des derzeit weltweiten jährlichen Verbrauchs.
Wie kam es, dass die Universität Münster an den Untersuchungen beteiligt ist?
Die Uni Münster koordiniert seit 2015 das ,Desmex‘-Projekt. Das Projekt verfolgt das Ziel, hubschraubergestützte geophysikalische Messmethoden zu entwickeln, mit denen Rohstoffvorkommen in Tiefenlagen in bis zu 1.000 Metern erkundet werden können. Konkret geht es dabei um Messkonzepte, Sensoren, Datenverarbeitung und Bildgebung. Mittlerweile nutzen wir auch einen mit Messsensorik ausgestatteten Multikopter. Das Feld mit dem Namen Per Geijer bei Kiruna wurde als eines von mehreren Teststandorten ausgewählt, weil die dortigen Eisenerzvorkommen einen besonders guten Kontrast zur Umgebung bilden und in über 1.000 Meter Tiefe liegen, also der angestrebten Zieltiefe.
Welche Rolle spielt dabei Ihr Fach, also die Geophysik?
Wichtig ist, dass wir mit der Geophysik nicht gezielt einzelne Minerale erkunden können, sondern die physikalischen Eigenschaften von ganzen Gesteinsformationen abbilden. Im Fall von Kiruna sind dies vor allem die Eisenerzlagen. Somit helfen unsere Bilder indirekt bei der Erkundung von Lagerstätten, etwa um geeignete Bohrpunkte zu definieren.
Nach dem Fund steht in den kommenden Jahren der Abbau in Kiruna an. Welche Herausforderungen und Risiken sind damit verbunden?
Natürlich können Bergbauingenieure, die sich mit Extraktionsverfahren und dem Abbau beschäftigen, diese Frage viel besser als ich beantworten. Grundsätzlich ist der Abbau aber aufwändig und teuer. Ob ein wirtschaftlicher Abbau in Zukunft wirklich möglich sein wird, ist derzeit noch offen. Der schwedische Bergbaubetreiber rechnet nach eigenen Angaben damit, dass weitere fünf bis acht Jahre an weiteren Vorarbeiten benötigt werden, bis der Abbau tatsächlich beginnen kann.
Hat ein solcher Abbau nicht auch Konsequenzen für die Umwelt und Natur?
Generell ist jede Art von Rohstoffgewinnung ein Eingriff in die Natur und hinterlässt Schäden. Gleichzeitig werden diese Rohstoffe für die Umsetzung der Energiewende benötigt. Ich halte es daher für eine gute Idee, in Europa benötigte Rohstoffe unter europäischen Arbeits- und Umweltstandards auch aus heimischen Lagerstätten zu gewinnen, anstatt diese Risiken zu exportieren. Zudem reduzieren wir damit die Abhängigkeit von Drittländern.
Ist es denn möglich, dass man auch in anderen Regionen oder Ländern überraschende Funde macht?
Der jetzige Fund war kein Zufallsfund und keine Überraschung, sondern das Ergebnis einer sehr gezielten Erkundung. In Europa sind vor allem in Grönland zwei weitere Standorte mit größeren Seltenerdmetall-Vorkommen bekannt. Auch diese Vorkommen werden derzeit intensiv untersucht.
Informationen zum Forschungskonsortium DESMEX
DESMEX ist ein deutsches Forschungskonsortium aus Hochschulen, Forschungsinstituten und Industriepartnern, das die Universität Münster koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird. An den Arbeiten in Kiruna waren neben der WWU die Universitäten Köln und Freiberg, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die Leibniz-Institute für Angewandte Geophysik und für Photonische Technologien und die Firmen supracon AG und Metronix GmbH beteiligt. In dem Verbundvorhaben entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler luftgestützte geophysikalische Messverfahren, mit denen Erzkörper im Untergrund detektiert werden können.
Die in dem Vorhaben entwickelten Instrumente wurden im Jahr 2018 in dem Explorationsgebiet Per Geijer bei Kiruna erprobt, in dem die Experten jetzt auch die Seltenen Erden entdeckt haben. Ein Kernelement ist die in diesem Vorhaben entwickelte Magnetfeldsensorik. Die Sensoren werden von einem Hubschrauber über das Explorationsgebiet geschleppt - sie zeichnen das magnetische Induktionsfeld auf, das durch Stromeinspeisung im Untergrund erzeugt wird. Mit Hilfe von aufwändigen Computersimulationen berechnet das Team aus den Messdaten dreidimensionale geophysikalische Modelle, die die geologischen Strukturen abbilden.