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Münster (upm/kn).
Das Kunstwerk „RZ 04-09/16“ holt die typische Fassadenstruktur des Schlosses ins Vorzimmer des Rektors.<address>© WWU - MünsterView</address>
Das Kunstwerk „RZ 04-09/16“ holt die typische Fassadenstruktur des Schlosses ins Vorzimmer des Rektors.
© WWU - MünsterView

Inszenierte Schlossansicht

Teil 9: Caroline Bayer schuf im schmalen Rektorenvorzimmer ein Kunstwerk mit Weitblick

Klebeband statt Zeichenstift: Wer im Warteraum vor dem Büro des Rektors auf einem der türkisfarbenen Sessel Platz nimmt, dem fallen die schwarzen Linien auf der weißen Strukturtapete an den Wänden direkt ins Auge. Das Klebeband fügt sich in die Architektur des sehr schmalen, schlauchartigen Zimmers nahtlos ein. Es zeichnet Fenster, Türen und Fassaden nach – überall kann der Betrachter geometrische Formen entdecken. Besonders die angedeuteten Fenster wecken die Aufmerksamkeit der Gäste. Seit 2009 schmückt das Werk „RZ 04-09“ von Caroline Bayer die Wände.

Das seidig-matte Klebeband ist mit einer leicht strukturierten Oberfläche versehen. Die künstlerische Arbeit ist eine Komposition aus geraden Linien und rechten Winkeln, die waagerecht und senkrecht sowie oben und unten auf den gegenüberliegenden Wänden angeordnet sind. Die überdimensionale Raumzeichnung greift das äußere Erscheinungsbild des Schlosses in Teilen auf und lässt Elemente daraus im Innenraum wieder auftauchen. Aussparungen und Leerstellen sind raum- sowie bildbestimmend und schaffen Größe und Weitblick. Je nach Standpunkt erzeugen die Linien eine Illusion von Räumlichkeit. 50 Meter Klebeband verarbeitete Caroline Bayer, die das klassische Medium der Zeichnung auf einem Papierbogen aufbricht und durch ihre Arbeiten Besitz von dem Raum nimmt.

Die ehemalige Rektorin der WWU, Prof. Dr. Ursula Nelles, entdeckte die Raumzeichnungen von Caroline Bayer beim jährlichen Rundgang der Kunstakademie Münster. Als Meisterschülerin studierte Caroline Bayer von 2004 bis 2009 in Münster bei den Brüdern Prof. Maik und Dirk Löbbert, die sich mit Bildhauerei und Kunst im öffentlichen Raum beschäftigen, und zeigte ihre Arbeit bei der traditionellen Ausstellung der Studierenden. „Ich fand den Raum vor dem Büro schmucklos und wollte ihm eine neue Perspektive geben“, schildert Ursula Nelles. Kurzerhand beauftragte sie privat die Künstlerin und schenkte der Universität die Raumzeichnung. Als im Jahr 2016 ihr Nachfolger Prof. Dr. Johannes Wessels in das Büro einzog, wurde auch das Vorzimmer renoviert. Caroline Bayer erneuerte ihr Kunstwerk, das seitdem den Titel „RZ 04-09/16“ trägt.

„Meine großformatigen Zeichnungen passe ich auf den vorgefundenen Ort und das menschliche Größenverhältnis an. Ich studiere das urbane Umfeld und nehme architektonische Versatzstücke in den Innenraum auf. Das Verhältnis von Innen und Außen tritt in eine Wechselwirkung“, beschreibt Caroline Bayer, die heute als freischaffende Künstlerin in Berlin lebt. „Das Ergebnis ist ein erweitertes, neu geschaffenes Raumgefüge als ästhetisches Erlebnis für den Betrachter. Er wird Teil des Bildes und erfährt in seiner beobachtenden Position eine Neuorientierung.“

Jeder Raumzeichnung von Caroline Bayer gehen umfangreiche Recherchen zum Ort, seiner Geschichte und seiner Bestimmung voraus. Die besonderen Gegebenheiten des fürstbischöflichen Schlosses von Architekt Johann Conrad Schlaun sind auch die Grundlage für die Gestaltung des Werks „RZ 04-09/16“. Die Breite des Klebebands entspricht der Strichstärke einer auf Papier angefertigten Kugelschreiberskizze in Raumgröße. Das Kunstwerk versteht sich als Konstruktion – anonym, sachlich und reduziert. Mit minimalen Mitteln wird der rechteckige Wartebereich auf einfache Weise erweitert. Die wenigen Linien verändern die Wahrnehmung des Raums. Damit der Betrachter die schwarzen Linien auf der weißen Tapete in Gänze entdecken kann, muss er sich teilweise hinstellen und den Kopf in den Nacken legen. Und dann erkennt er neben all den Raumelementen die für das Schloss typischen Sprossenfenster wieder.

Autorin: Kathrin Nolte

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 21. Dezember 2022.

Kunst an der WWU

Die WWU verfügt über einen stetig wachsenden Bestand an Kunstwerken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Werke als Teil des Programms „Kunst am Bau“ und zur Erstausstattung angekauft. Regionale Künstler stehen dabei gleichberechtigt neben Künstlern von nationalem und internationalem Rang. Hinzu kommen zahlreiche Schenkungen aus allen Gattungen. Wir stellen Ihnen in den kommenden Monaten einige Kunstwerke in einer neuen Serie vor.

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