„Supercomputer ermöglichen uns, begrenzt in die Zukunft zu schauen“
Am 22. September wird am Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg der neue Supercomputer „Levante“ eingeweiht. Was einen Supercomputer ausmacht, wie wichtig diese Anlagen für die Forschung sind und was „Levante“ leisten kann, erklärt der Geoinformatiker Prof. Dr. Benjamin Risse im Interview mit André Bednarz.
Was macht einen Supercomputer super?
Supercomputer zeichnen sich durch eine sehr große Prozessoranzahl aus, die es ermöglicht, sehr viele Berechnungen schnell und gleichzeitig durchzuführen. Der Durchsatz dieser Berechnungen wird in ,Floating Point Operations Per Second‘ (FLOPS) gemessen, also der Anzahl an Gleitkommaoperationen pro Sekunde. Moderne Supercomputer erreichen mittlerweile mehrere Peta-FLOPS, eine Zahl mit 15 Nullen vor dem Komma – ein Peta-FLOP sind eine Billiarde Berechnungen pro Sekunde. Um diese extrem gute Rechenleistung nutzbar zu machen, wird neben Tausenden von Prozessoren auch sehr viel schneller Hauptspeicher verbaut, der den Transfer der Daten und (Zwischen-)Ergebnisse ermöglicht. Eine derartig auf Hochleistung getrimmte Hardware erfordert spezifische Programmierfähigkeiten, die sich ebenfalls stark von der Programmierung konventioneller Computer unterscheiden.
Oft ist in diesem Zusammenhang auch von Hochleistungsrechnern die Rede – ist damit das Gleiche gemeint wie mit Supercomputern?
Ja, aber es gibt einen kleinen Unterschied zwischen ,Supercomputing‘ und ,Hochleistungs-Computing‘: Ersteres beschreibt das Ausführen von Berechnungen auf Supercomputern, letzteres ist üblicherweise allgemeiner gefasst und kann auch den Einsatz von mehreren Supercomputern bedeuten.
In den meisten Fällen werden Supercomputer zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt. Was macht diese Geräte so attraktiv für die Forschung?
Es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Fragestellungen, die das parallele und extrem schnelle Berechnen vieler Operationen erfordern. Häufig werden diese Berechnungen in Form von Computersimulationen, wie sie zum Beispiel in der Quantenmechanik erforderlich sind, durchgeführt. Andere populäre Einsatzgebiete sind Simulationen von Molekulardynamiken, die Kryptographie und – zunehmend wichtig – Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens. Zudem werden Supercomputer auch in der Klimaforschung oder für Wettervorhersagen genutzt.
Es gibt eine weitere interessante Entwicklung in der Wissenschaft: Man versucht nicht mehr nur, ein besseres Verständnis für ein biologisches, chemisches oder physikalisches System zu erlangen, sondern auch möglichst genaue und weitreichende Vorhersagen für dieses System zu treffen. Da diese Vorhersagen, beispielsweise in der Klimaforschung, häufig auf zahlreichen komplexen Berechnungen basieren, können diese nur auf Supercomputern durchgeführt werden. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass Supercomputer das wissenschaftliche Äquivalent zur nicht wissenschaftlichen Glaskugel sind und sie es uns ermöglichen, zumindest begrenzt in die Zukunft zu schauen.
Bei „Levante“ handelt es sich um den einzigen allein für die Klimaforschung genutzten Supercomputer in Deutschland. Was erwarten Sie als Geoinformatiker von „Levante“ und ähnlichen Anlagen zur Klimaforschung?
Der Einsatz von Supercomputern im Bereich der Klimaforschung ist nicht neu, vielmehr gehört dieses Einsatzgebiet zu den Wegbereitern dieser Anlagen. Eine Herausforderung für diese Systeme ist jedoch die räumliche Auflösung, also die Feingranularität von den zu berechnenden Klimaphänomenen: Um die globale Klimadynamik berechnen zu können, muss die Erdoberfläche in viele Abschnitte unterteilt werden. Je kleiner diese Abschnitte gewählt werden können, desto exakter können Vorhersagen getroffen werden. Darüber hinaus lassen sich diverse Klimaphänomene auch erst ab einer gewissen Auflösung sinnvoll berechnen. Das ist eine zentrale Stärke von ,Levante‘, da dank dieses Supercomputers die Auflösung um ein Vielfaches verfeinert und damit detailreicher dargestellt werden kann.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Wenn ein Münsteraner zum Markt spazieren möchte, will er die Regenwahrscheinlichkeit für Münster wissen, nicht die für ganz Nordrhein-Westfalen. Das ist auch mit existierenden Supercomputern bereits möglich, jedoch verdeutlicht dies den Mehrwert für die Klimaforschung, der sich aus einer höheren Auflösung ergibt. Zudem können dank des größeren Speichers mehr Daten miteinbezogen werden, und es werden wesentlich exaktere Berechnungen ermöglicht.
Welche Entwicklungen auf dem Gebiet der Supercomputer können wir in (naher) Zukunft erwarten?
Die Supercomputer für die Klimaforschung werden zunehmend leistungsstärker. Auch werden in naher Zukunft mehr und mehr auf maschinellem Lernen basierende Systeme zum Einsatz kommen. Das Training dieser Systeme erfordert ebenfalls viele Berechnungen, sodass auch für dieses Einsatzgebiet optimierte Supercomputer erforderlich sein werden. Aus diesen Gründen erwarte ich neben einer Steigerung der möglichen Peta-FLOPS, dass es immer mehr Supercomputer geben wird, die für eine Vielzahl verschiedener Algorithmenklassen eingesetzt werden können.
Langfristig vermute ich, dass sich die Bauweise von Supercomputern verändern wird. Insbesondere wegen des hohen Energieverbrauchs und diversen physikalischen Grenzen von halbleiterbasierten Computern werden wir in Zukunft vielleicht vermehrt alternative Bauweisen von Supercomputern sehen. So haben erste Experimente mit optischen Bauteilen bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Der Supercomputer, der zuverlässig die Zukunft von Supercomputern selbst vorhersagen kann, muss aber erst noch gebaut werden. Im Ernst: Wohin sich diese Systeme entwickeln werden, kann man nicht vorhersagen – es bleibt aber in jedem Fall ein spannendes Forschungsfeld mit viel Potenzial.