"Team Löwenzahn" schafft es beim Deutschen Zukunftspreis ins Endspiel / BioNTech SE gewinnt
Um 18.42 Uhr und damit genau drei Minuten vor dem Ende der dreiviertelstündigen Veranstaltung war es so weit: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier griff in seine Sakko-Tasche, öffnete den verschlossenen Umschlag und gab den Sieger des Zukunftspreises 2021 bekannt – die Mainzer Firma BioNTech SE, die es als Erste geschafft haben, einen wirksamen Impfstoff gegen Covid 19 zu entwickeln. Bis zu diesem Moment an diesem Mittwochabend (17.11.) hatten sich auch Prof. Dr. Dirk Prüfer vom Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, Dr. Carla Recker (Continental AG) und Dr. Christian Schulze Gronover vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie mit ihrem Projekt „Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn“ berechtigte Hoffnungen auf den „Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation“ und die damit verbundene Dotierung von 250.000 Euro gemacht. Neben Biontech und dem „Löwenzahn-Team“ war ein Team von „Siemens Healthineers“ für die Entwicklung eines quantenzählenden Computertomographen in die Endrunde gelangt. „Allein die Nominierung bedeutet eine große Ehre und Wertschätzung“, betonte Dirk Prüfer. „Dafür sind wir sehr dankbar und gratulieren gleichzeitig dem Sieger-Team von Biontech für deren großartige Arbeit.“
Ab 17 Uhr trudelten die ersten der rund 300 Gäste in der „Station Berlin“ ein, dem 1875 eröffneten „Dresdener Bahnhof“ als Start- und Zielort der Bahnstrecke von Berlin nach Dresden. Das Virus hatte auch diese Veranstaltung im Griff: Vor der Verschärfung der Corona-Lage hatte das Bundespräsidialamt mit mehr als 900 Gästen kalkuliert, den gesamten Abend über galt Maskenpflicht. Beim Small Talk zwischen den Stuhlreihen wurde schnell klar: Mit Blick auf die Tatsache, dass Biontech mit der vergleichsweise rasanten Entwicklung des Impfstoffs mutmaßlich Tausende Leben gerettet hat, galt das Mainzer Unternehmen als großer Favorit auf die Auszeichnung.
Aber ZDF-Moderator Dirk Steffens gelang es, die Spannung bis zum Schluss hochzuhalten. Schließlich zählten alle drei nominierten Teams, fasste er seinen Eindruck kurz vor der Verkündung des Siegers zusammen, „zu den deutschen Top-Innovatoren“. Das Team von Carla Recker, Dirk Prüfer und Christian Schulze Gronover betreibe beispielsweise „ein Stück Weltrettung“, sie hätten ein „großes Problem buchstäblich an der Wurzel gepackt“.
Seit 2011 arbeitet das Projektteam aus Münster und Hannover daran, möglichst viel Naturkautschuk aus Russischem Löwenzahn zu gewinnen, anstatt ihn ausschließlich aus weit entfernten Tropenregionen importieren zu müssen. In der Naturkautschuk verarbeitenden Industrie bedürfe es eines schnellen Umdenkens, fordert Dirk Prüfer seit Beginn seiner Löwenzahn-Forschung immer wieder. „Der Schutz unserer Tropenwälder hat im Kampf gegen den Klimawandel oberste Priorität. Unser Ansatz, Naturkautschuk aus Löwenzahn nachhaltig zu gewinnen, kann vielen sozioökonomischen und ökologischen Herausforderungen in diesen Regionen entgegenwirken“, unterstreicht der münstersche Wissenschaftler.
Ziel der Forscher ist es zunächst, den sich bis 2030 abzeichnenden Mehrbedarf an Naturkautschuk von weltweit 400.000 Tonnen jährlich aus Russischem Löwenzahn zu gewinnen, um eine weitere Abholzung von Regenwäldern zu verhindern. Im Forschungs- und Entwicklungszentrum „Taraxagum Lab“ im mecklenburg-vorpommerschen Anklam treiben deshalb Agrarwissenschaftler, Chemiker und Produktionstechniker seit 2018 den Anbau der Pflanzen vor Ort und den Betrieb für Versuche zur Weiterverarbeitung von Russischem Löwenzahn voran. Seit zwei Jahren gibt es das erste vorzeigbare und fahrbare Produkt – Fahrradreifen der Marke Taraxagum.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hob das Potenzial dieses nachhaltigen Ansatzes hervor. Zugleich nutzte er die Veranstaltung dazu, der Wissenschaft den Rücken zu stärken. „Viele Menschen haben während dieser Pandemie den Eindruck eines Stillstands. Diese drei Teams sind der Beweis dafür, dass die Forschung nicht stillgestanden hat – zu unser aller Nutzen“, sagte er. Der Preis solle allen Forschern eine „Ermutigung sein, nicht nachzulassen“.
Am Tag vor der Festveranstaltung waren die drei nominierten Teams zu Gast im Schloss Bellevue. Frank-Walter Steinmeier ließ sich in seinem Amtssitz von allen Wissenschaftlern die Projekte ausführlich erläutern – die Entscheidung über die Preisvergabe oblag allerdings allein der zehnköpfigen Jury, die sich aus Experten aus der Wissenschaft und Praxis zusammensetzt. Um den Deutschen Zukunftspreis kann man sich nicht bewerben. Die großen deutschen Wissenschafts- und Wirtschaftsverbände schlagen nach intensiver Prüfung besonders innovative und marktfähige Entwicklungen für die Auszeichnung vor.
Und so war nach der Verkündung des Siegers bei den beiden unterlegenen Teams auch eine (kleine) Portion Enttäuschung spürbar – schließlich hatten sie im „Endspiel“ gestanden, das auch sie gewinnen wollten. Aber der Frust verflog schnell. Frank-Walter Steinmeier bat die drei Teams zu einem abschließenden Gespräch hinter die Bühne, zuvor nahmen Dirk Prüfer und das Team eine Reihe von Glückwünschen entgegen. „Die gesamte Universität Münster ist stolz auf diese Leistung, von der wir auch in Zukunft sicher noch eine Menge hören und lesen werden“, unterstrich WWU-Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels, der ebenfalls zum Daumendrücken in die Hauptstadt gekommen war. Auch Johannes Wessels‘ Vorgängerin, Prof. Dr. Ursula Nelles, und das ehemalige WWU-Hochschulratsmitglied und Nobelpreisträger Dr. Georg Bednorz zählten zu den Gästen.
Der Deutsche Zukunftspreis, von Ex-Bundespräsident Roman Herzog 1997 ins Leben gerufen, zählt zu den wichtigsten Wissenschaftsauszeichnungen in Deutschland. Es ist der einzige Preis, den der Bundespräsident vergibt. Dirk Prüfer ist der erste Münsteraner und WWU-Wissenschaftler, der für diese Auszeichnung nominiert wurde.
Norbert Robers