"Die Einkaufsatmosphäre muss stimmen"
Immer mehr Supermärkte setzen auf eine Neukonzeption ihrer Filialen, um sich von Wettbewerbern abzugrenzen und Kunden zu gewinnen. Wie sich die Modernisierung auf ihren Umsatz auswirkt, hat Prof. Dr. Manfred Krafft mit seiner Kollegin Dr. Mirja Kroschke von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und Wissenschaftlern aus Belgien, Indien und den Niederlanden erforscht. Im Interview mit Jana Haack spricht der Direktor des Marketing Centers der WWU über die Ergebnisse der Studie und worauf es heutzutage ankommt, um sich beim Einkauf wohl zu fühlen.
Einkaufen gehört für uns alle zum Alltag. Was braucht es ihrer Einschätzung nach, damit sich Kunden in einem Supermarkt wohlfühlen?
Das hängt davon ab, welche Personengruppe man fragt. Wenn es den Kunden um Schnelligkeit geht, ist die Verfügbarkeit von Kurzzeit-Parkplätzen und das Vorhandensein der Produkte am gewohnten Regalplatz sehr wichtig. Für Kunden, die einen größeren Einkauf tätigen und mehr Zeit mitbringen, spielt das Ambiente, ein breites Sortiment sowie ausreichend Personal eine große Rolle. Ein schnelles und unkompliziertes Bezahlen ohne Schlangen an der Kasse wollen wohl alle Käufergruppen.
Und woran stören sich Kunden Ihrer Meinung nach am meisten in Supermärkten?
Wenn Kunden unter Zeitdruck stehen, gibt es mehrere Stressfaktoren – kein Parkplatz, man findet die Produkte nicht schnell genug oder gar nicht und weite Wege im Supermarkt oder langes Warten an der Kasse stören. Eltern mit Kindern bemängeln, dass den Kindern kaum etwas Interessantes geboten wird, sodass das Nörgeln und Betteln, Süßigkeiten zu kaufen, kaum zu vermeiden ist. Da viele Kaufentscheidungen erst in der Filiale getroffen werden, mögen viele Kunden die Möglichkeit, Mitarbeiter ansprechen zu können, wenn es um seltener gekaufte Produkte geht. Die drei zentralen Erfolgsfaktoren Qualität, Preis und Service können dabei sowohl Grund für ein Ärgernis sein als auch zur Zufriedenheit beim Einkauf beitragen.
Sie haben erforscht, wie sich eine radikale Neukonzeption großer Supermärkte auf den Umsatz auswirkt. Wodurch zeichnen sich die neu konzipierten Supermärkte im Vergleich zu konventionellen Märkten aus?
Die neuen Formate unterscheiden sich zwar zwischen den Handelsketten, weisen aber einige Gemeinsamkeiten auf. So wird oft auf Frische und Regionalität gesetzt, das Sortiment gerade im mittelpreisigen und Premium-Segment wird aufgewertet. Außerdem werden Events wie Weinproben oder Kochen mit Freunden angeboten, das äußere Erscheinungsbild wird verbessert, breitere Gänge und wärmeres Licht machen den Einkauf angenehmer. Zudem soll mehr gut geschultes Personal die Servicequalität steigern.
Sie kommen auch zu dem Ergebnis, dass Kunden, die gerne frische und gesunde Lebensmittel kaufen, öfter in den neu konzipierten Supermärkten einkaufen, während langjährige Kunden sich in Folge der Neukonzeption eher von ihrem vertrauten Supermarkt abwenden. Ist es mit Blick auf diesen Befund überhaupt ratsam, alle Supermärkte einer Kette umzugestalten?
Es ist wenig verwunderlich, dass Kunden, die auf Frische und gesunde Nahrungsmittel achten, das neue Konzept schnell annehmen, da Angebot und Nachfrage in diesen Fällen perfekt passen. Dass sich bisher loyale Kunden aber teilweise vom Einkauf am gewohnten Standort abwenden, war für uns im ersten Moment nicht nachvollziehbar. Wir haben dann aber verstanden, dass das Prinzip der Gewohnheit wirkte: Im neuen Supermarkt fanden sich langjährige Kunden kaum zurecht, einige Produkte wurden nicht mehr geführt, und überhaupt dachten einige Verbraucher, dass dies nicht mehr 'ihr' vertrauter Supermarkt war. Da an einigen Standorten zwei oder gar drei Filialen derselben Kette verfügbar sind, können diese langjährigen Kunden auf andere Filialen ausweichen, sodass kaum Kunden verloren gehen. In der Tat ist es also ratsam, ein Filialnetz nicht zeitgleich radikal zu modernisieren, sondern behutsam und organisch erst einen Supermarkt umzugestalten, und dann peu à peu weitere Filialen zu modernisieren.
Gerade in der Lebensmittel-Branche herrscht ein großer Konkurrenzkampf. Können optimal aufgebaute Supermärkte daher ein Wettbewerbsvorteil sein?
Durchaus. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Verweildauer im Supermarkt, aber auch die Gesamtzufriedenheit mit dem Sortiment, dem Preis-Leistungs-Verhältnis und dem Personal wirken sich auf die Kunden aus. Die Einkaufsatmosphäre muss stimmen. Ein verbessertes Supermarkt-Konzept kann dazu beitragen, dass Kunden häufiger einkaufen, länger bleiben und – ganz nebenbei – auch mehr und hochpreisige Produkte kaufen. Dieser Wettbewerbsvorteil ist durchaus langfristig zu halten, da Konkurrenten nicht mal eben die erfolgreichen Konzepte kopieren können. Das Schulen des Personals oder die Neugestaltung von Outlets beanspruchen Zeit in der Planung und Umsetzung, und es müsste auch einzigartige Designelemente geben, um in der Kundenwahrnehmung ein prägnantes Alleinstellungsmerkmal zu haben.
Sind denn Supermärkte im Vorteil, die eine möglichst große Produktpalette anbieten, oder ist es besser, sich auf eine Produktkategorie zu konzentrieren und dort ein besonders gutes Angebot zu haben?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Ein übersichtliches, enges Sortiment ist beispielsweise in kleineren Supermärkten in Innenstädten sehr erfolgreich. Ähnliches gilt für die bekannten Discount-Formate, die für jede Produktkategorie nur eine relativ begrenzte Palette führen. Von den großen Supermärkten, die auch als Hypermärkte bezeichnet werden, erwarten Kunden dagegen mehr Produktvielfalt, ohne dass die Übersichtlichkeit beim Navigieren durch das Geschäft leidet. Aber gleich welches Konzept wir betrachten – jeder Händler sollte darauf achten, dass Elemente der Einzigartigkeit vorhanden sind, um sich vom Wettbewerber zu unterscheiden.
Was sind die markantesten Unterschiede, wenn Sie die heutigen Supermärkte mit denen von vor 20 Jahren vergleichen?
Die deutsche Supermarktlandschaft hat sich zunehmend am französischen Markt orientiert: Helle Märkte, breite Gänge, frische Ware aus der Region und mehr Produkte, die qualitativ hochwertig sind, sind bei unseren französischen Nachbarn schon lange Standard. Zudem haben wir uns von der starken Fixierung auf den Preis etwas lösen können, was ich sehr begrüße. Heutzutage ist das Einkaufserlebnis auch in Supermärkten nicht mehr nur eine Frage von Schnäppchen, sondern wird von weiteren Faktoren mitgetragen, wie unsere Studie gezeigt hat.