Kompliziert, empfindlich und aufwändig
Leise öffnen sich metallene Schiebetüren. Die Aufzüge sind hell beleuchtet und funktionieren einwandfrei. Aber ob die Spindschränke für den ersten Stock hineinpassen? Das fragt sich Dr. Patrick Zeni vom Institut für Biochemie, der die Lieferungen entgegennimmt und auf eine der sieben Etagen des Neubaus verteilt. Vorsichtig bugsiert er den Schrank auf einem Rollbrett in den Lift und wirft einen zufriedenen Blick auf den Türrahmen: „Passt genau.“ Mit seinem Kollegen Dr. Ludger Tebben vom Organisch-Chemischen Institut und vielen anderen Beteiligten organisiert Patrick Zeni einen Umzug der Superlative. Das Gebäude der Organischen Chemie und Biochemie an der Corrensstraße ist der jüngste Neubau der WWU. „Dies dürfte aktuell bei weitem der größte Umzug innerhalb der Universität Münster sein“, vermutet Sabine Spliethoff vom Dezernat Planen und Bauen, die das Projekt über Jahre begleitet hat. Hochempfindliche Technik, zerbrechliche Materialien, Gefahrenstoffe, aufwändige Lüftungskonzepte: Wegen der speziellen Anforderungen an ein chemisches Institut ist es auch ein besonders komplizierter Umzug.
Zu Beginn des Jahres wurde ein Labor testweise in Betrieb genommen. Jetzt ziehen alle weiteren Labore auch offiziell in das Gebäude ein, das alle nur „OC/BC I“ nennen. Viele Vorgänge erscheinen normal, etwa Kisten zu packen, auszusortieren und Dinge zu entsorgen, die defekt sind oder nicht mehr benötigt werden. Allerdings arbeiten manche Arbeitskreise währenddessen im benachbarten Altgebäude parallel an ihren Forschungen weiter. In manchen Räumen stehen laufende Apparaturen inmitten von soeben gepackten Kisten, an einem Computer dazwischen gibt jemand in aller Ruhe Daten ein. Denn für einen Teil der Labore ist ein weiterer Neubau in Planung – OC/BC II – auf dem Platz zwischen dem Bestandsgebäude und OC/BC I. „Das kann aber noch dauern, auch der geplante überdachte Übergang ist noch nicht fertig“, berichtet Patrick Zeni. Die Überdachung wird wichtig, da empfindliche und gefährliche Stoffe sehr häufig für Messungen von einem Haus ins andere gebracht werden müssen. „Ein Teil der Infrastruktur bleibt zunächst im Bestandsgebäude“, erläutert Ludger Tebben, „zum Beispiel die Anlieferung und Entsorgung.“ Wer bereits umgezogen ist, macht also ordentlich Strecke. „Täglich laufe ich für meine Arbeit etwa zehnmal hin und her“, schätzt Lukas Lückemeier, ein Mitarbeiter aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Frank Glorius.
Die Umzugskisten werden von einer Spedition ins neue Gebäude gebracht. Eine auf Laborumzüge spezialisierte Firma übernimmt den Transport der Großgeräte mit dem LKW. Um empfindliche Versuchsaufbauten und Materialien kümmern sich die Institute selbst, wobei besondere Kisten jeweils den nötigen Schutz gewährleisten, was zum Beispiel für bis zu minus 196 Grad Celsius tiefgekühlte Proben essenziell ist. Für ein großes Massenspektrometer reist hingegen Ende des Monats eigens der Hersteller nach Münster, um das Gerät fachgerecht herunterzufahren, unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen über die Straße zu transportieren und am neuen Standort wieder genauestens zu justieren. Da erscheinen die frisch gelieferten Spindschränke doch wie das geringste Problem. Ein wichtiger Mosaikstein seien sie dennoch, erläutert Ludger Tebben: „Labor- und Alltagskleidung müssen voneinander getrennt werden können.“ Als Behelfslösung sind Kleiderständer und Bügel auf den Fluren im Einsatz. „Wie im Möbelhaus“, kommentiert er das Provisorium.
Im großen Saal im Erdgeschoss des alten Gebäudes sind zwischen den Laborplätzen so viele Kisten gestapelt, dass man die typischen, rot gekachelten Tische darunter nur noch erahnen kann. Wenn nicht gerade die Corona-Pandemie den Präsenzbetrieb einschränken würde, hätten die Institute sich dafür einen anderen Platz suchen müssen. „Organisatorisch war der Umzug ein unfassbarer Kraftakt für alle Beteiligten“, stellt Patrick Zeni klar. „Ohne den enormen Einsatz insbesondere der technischen Angestellten und der IT-Mitarbeiter wäre es gar nicht gegangen.“ Auf den erheblichen Vorlauf und Aufwand weist auch Prof. Dr. Henning Mootz hin. „Schon bei meiner Berufung 2010 wurde von diesem Umzug gesprochen“, erinnert sich der geschäftsführende Direktor des Instituts für Biochemie. Auch die Arbeit in den Sekretariaten und für die technischen Mitarbeiter habe sich vor allem im Laufe der letzten zwölf Monate „stark verdichtet“, berichtet Patrick Zeni. „Jeder Posten muss verbucht und in SAP verarbeitet werden – von den nötigen Ausschreibungen ganz zu schweigen.“ Zudem habe es in der Verwaltung bei den Kooperationspartnern über die Jahre hinweg wechselnde Ansprechpartner gegeben. Sicherheitsbestimmungen hätten sich mehrfach geändert, sodass die Konzepte für die Ausstattung des Neubaus jeweils neu aufgesetzt und geprüft werden mussten. Alle Mühen des Umzugs würden sich aber auszahlen. „Wenn das Gebäude fertig eingerichtet ist, dann haben wir hier wirklich ideale Bedingungen“, sind sich Ludger Tebben und Patrick Zeni einig.
Zahlen, Daten, Fakten
Das Gebäude OC/BC I umfasst nach Angaben des Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) NRW sieben Geschosse inklusive Keller und knapp 15.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche mit Laboren, Büros und Seminarräumen. Hinter der schlichten Fassade des hell verputzten Neubaus stehen den rund 280 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 100 neue Labore zur Verfügung. Baubeginn war 2014. Die Technikzentrale für die Abluft nimmt die Hälfte des Dachgeschosses ein, frische Luft strömt aus vier hohen Säulen vor dem Haupteingang in die Räume. Im Falle einer Störung ist die Lüftung so angelegt, dass Versuchsaufbauten in nicht betroffenen Bereichen weiterlaufen können. Der Neubau ersetzt die zwei in die Jahre gekommenen Institutsgebäude aus den 1960er-Jahren. Die Gesamtinvestitionen beziffert der BLB auf rund 59 Millionen Euro.
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 17. Juni 2020.