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Porträt von Kaiser Wilhelm II. aus dem Jahr 1902.<address>© Thomas Heinrich Voigt / Public domain</address>
Porträt von Kaiser Wilhelm II. aus dem Jahr 1902.
© Thomas Heinrich Voigt / Public domain

"Es darf keine Verletzungen geben"

Wie der Historiker Olaf Blaschke die Namensdebatte an der WWU beurteilt

Eine vom Senat der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) eingesetzte Arbeitsgruppe (AG) hat „ein Konzept zu einem historisch verantwortlichen Umgang“ der WWU mit ihrem Namensgeber, dem letzten deutschen Kaiser, vorgelegt. Ziel ist es, eine „kritische und öffentliche Auseinandersetzung“ mit Wilhelm II. zu befördern. Norbert Robers sprach mit dem AG-Leiter, dem WWU-Historiker für Neuere und Neueste Geschichte, Prof. Dr. Olaf Blaschke, über seine Empfehlungen und seine persönliche Meinung.

 

Im Abschlussbericht der AG heißt, es, dass Wilhelm II. „geradezu obsessiv antisemitisch war“. Ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht allein damit schon das Urteil gefällt, dass die WWU sich von ihrem Stifternamen lösen sollte?

Antisemitismus ist und bleibt ein Kernargument. Wilhelm II. war zwar Kind seiner von antijüdischen Ressentiments geprägten Zeit, aber seit 1918 gebärdete er sich in privaten Äußerungen judenfeindlicher als viele seiner Zeitgenossen. Gleichwohl sollte man es sich nicht zu leicht und ihn nicht zum Wegbereiter des Genozids machen. Er zeigte sich beispielsweise bei der Reichspogromnacht 1938 ,vollkommen entsetzt über die jüngsten Ereignisse zu Hause‘. Außerdem wird im Stifternamen nicht die Persönlichkeit samt ihrer Ansichten geehrt, sondern der Landesvater als abstrakte Figur. Im Übrigen – um ein mögliches Missverständnis auszuräumen – war die Frage der Umbenennung nicht unser Auftrag vom Senat. Sie war schon 1997 geklärt worden. Seitdem sollte ein kritischer Umgang mit Wilhelm II. erfolgen. Unsere AG sollte ,ein Konzept zu einem historisch verantwortlichen Umgang der WWU mit Wilhelm II.‘ entwickeln. Die vom Senat 2018 vorgegebene Leitlinie war dabei ,die Beförderung einer kritischen, öffentlichen Auseinandersetzung mit seiner Person‘. Diesen Auftrag haben wir ernst genommen.

Sie schreiben auch, dass man das Engagement des letzten deutschen Kaisers zugunsten der Wissenschaft anerkennen müsse. Kann man Antisemitismus und Wissenschafts-Förderung überhaupt gegeneinander aufwiegen?

Das war ein großer Streitpunkt 1998 auf dem Historikertag in Frankfurt, als es um namhafte deutsche Historiker ging, die einerseits im Nationalsozialismus die ,Entjudung‘ des Ostens forderten, andererseits danach als geläuterte Demokraten wie beispielsweise Theodor Schieder die Bundesrepublik mit aufgebaut und ihre Schüler zu aufgeklärten Demokraten erzogen haben. Hier wurden solche Abwägungen getroffen. Ein ähnliches Aufwiegen schlug bei Bischof Clemens August Graf von Galen wegen seiner Predigten gegen die Euthanasie 1941 positiv für ihn aus, während kaum jemand weiß, wie sehr er die ,gottlose‘ Weimarer Republik verurteilte und deshalb heute eigentlich nicht als Vorbild in einer Demokratie dienen kann. Es ist immer unsere Entscheidung, worauf wir unseren Lichtkegel werfen. Muss man Kasernen, die nach Claus Graf Schenk zu Stauffenberg benannt sind, neu titulieren, weil er zehn Jahre lang dem NS-Regime gedient hat, Hitler bewunderte und die „Judenfrage“ für gegeben hielt, sie aber nicht mit Gewalt gelöst sehen wollte.? Auch in diesem Fall wird aufgerechnet – zugunsten des mutigen Widerstandskämpfers. Deshalb sind eine nüchterne Informationskampagne und kritische Diskussionen, wie sie unsere AG vorgeschlagen hat, notwendig.

Kann es überhaupt objektive Kriterien geben, die das Tragen eines Stifternamens auch 100 Jahre später noch ausschließen?

Streng objektive Kriterien für die eine oder andere Seite, die über jede Diskussion erhaben wären, kann es bei solchen politischen Entscheidungen nicht geben – ähnlich wie bei der hitzigen Debatte, ob man in der Corona-Krise zu viel oder zu wenig öffnet. Im Unterschied dazu ist allerdings die Faktenlage zu Wilhelms Antisemitismus eindeutig. Aber es müssen auch andere Fakten sowie der historische Kontext berücksichtigt werden. Dazu gehört, dass es 1907 bei dem Wunsch von Universität, Stadt und Provinz, die Universität Westfälische Wilhelms-Universität zu nennen, um das Amt des Kaisers, aber nicht um dessen Charakter oder Ansichten ging.

Inwieweit trägt das Argument der Umbenennungs-Gegner, die schon bei der Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz argumentierten, dass man sich nicht immer dem Zeitgeist unterwerfen dürfe und stattdessen die Geschichte annehmen müsse?

Unser Auftrag bestand nicht in der schlichten Frage der Umbenennung, sondern in der viel komplexeren Frage, wie man mit dem Namensgeber kritisch umgeht. Das kann nach langwierigen Debatten in eine Beibehaltung, Beseitigung oder Kompromisslösung münden. Über den Namen der Universität Greifswald wurde ein Jahrzehnt gestritten, und selbst dort kam es nicht zu einer vollständigen Namenstilgung. Den Mitgliedern bleibt freigestellt, den Zusatz ,Ernst-Moritz-Arndt‘ zu verwenden. Die Argumente sind strukturell immer dieselben, ob bei Hindenburg oder bei Ernst Moritz Arndt. Die ,Säuberung‘ der Universität Greifswald komme einem ,selbstgefälligen Geschichtsexorzismus‘ gleich, klagte ausgerechnet der linke Historiker Götz Aly. Die ,Unterwerfung‘ unter den ,Zeitgeist‘ ist natürlich polemisch gemeint ...

… der sich zudem zwangsläufig stetig ändert?

Zu jeder Zeit geschieht die Namensgebung von Institutionen, Plätzen oder Straßen im jeweiligen Zeitgeist. In Münster gibt es beispielsweise ein vergessenes Revisionismus- und Militarismus-Viertel – etwa mit der Danziger Freiheit (seit 1934), der Skagerrakstraße, der Otto-Weddigen-Straße und dem Memelufer (1935). Das entspricht dem Zeitgeist der Zwischenkriegszeit, aber nicht mehr unserem. Es wird weitere Anpassungen geben, aber die Frage ist immer, wie weit man gehen soll …

… und wie man am besten zu einem tragfähigen Urteil kommt, das zudem von einer Mehrheit der Stadtgesellschaft akzeptiert wird.

Das gelingt am besten, indem die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt werden, darunter differenzierte Informationen auf der Homepage der WWU, wie es Greifswald vorbildlich vorgemacht hat, Informationsbroschüren, öffentliche Diskussionsreihen sowie eine Ausstellung zu Wilhelm II. und der Namensvergabe 1907. Das beugt einer plumpen Politisierung und polarisierenden Skandalisierung des Themas vor. Am Ende darf es keine Verletzungen geben. Das gesamte Spektrum sollte in die Debatte einbezogen sein: von Ewiggestrigen über traditionsbewusste Namensbefürworter sowie Hüter der etablierten Marke bis zu Kaiserkritikern und Verfechtern zeitgebundener politischer Korrektheit.

Und wie stehen Sie persönlich beziehungsweise als Historiker zu der Tatsache, dass die WWU nach Wilhelm II. benannt ist?

Persönlich bin ich in dieser Frage recht leidenschaftslos. Ich wirke erst seit 2014 in Münster, bin also mit diesem Universitätsnamen nicht sozialisiert worden. Wer hier studiert hat, klammert sich vielleicht eher daran. Studiert, promoviert und habilitiert habe ich an Universitäten mit den prosaischen Namen Universität Bielefeld und Universität Trier. Manche Studierende tragen übrigens T-Shirts mit der Aufschrift ,Karl-Marx-Universität Trier‘. Aber hatte Karl Marx eine weiße Weste, wenn man etwa an seine Schrift zur ,Judenfrage‘ aus dem Jahr 1843 denkt? Als ich 2012 für zwei Jahre an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ging, konnte ich verstehen, dass die altehrwürdige Patina dieses Namens ähnlich wie Westfälische Wilhelms-Universität durchaus Eindruck macht. Immerhin handelt es sich um eingeführte, weltweit ausstrahlende Markennamen.

Und wie urteilt der Historiker Olaf Blaschke?

Als Historiker weiß ich, dass es nicht um die Person als ,Vorbild‘, sondern um das Amt des Stifters geht – insofern bleibe ich unaufgeregt. Wer mit dem strengen Maß politischer Korrektheit misst, wird den Namen abschaffen wollen, was in den anderen zwölf Universitäten mit fürstlichen Stifternamen zu Kettenreaktionen führen könnte, etwa der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, die nach einem Hexenverfolger benannt ist. Die Ludwig-Maximilians-Universität München wird wahrscheinlich die letzte sein, die ihre monarchistische Namenstradition aufgibt. Während der Corona-Krise kamen wertvolle Ratschläge von der Leopoldina aus Halle an der Saale, der ältesten naturforschenden Akademie der Welt. Niemand wundert sich über deren Namen. Er verweist auf den späteren Kaiser Leopold I., der Protestanten zurück in die katholische Kirche zwang und die Juden aus Wien vertrieb. Zum Dank dafür heißt der Stadtteil bis heute Leopoldstadt. Vielleicht wird auch eines Tages Wilhelmshaven oder die Hauptstadt der USA umbenannt. George Washington besaß schließlich über 300 Sklaven, von denen er manche auspeitschen ließ. Andererseits war er führend an der Unabhängigkeit der 13 Kolonien beteiligt.

Prof. Dr. Olaf Blaschke<address>© WWU - Laura Grahn</address>
Prof. Dr. Olaf Blaschke
© WWU - Laura Grahn
Auch der WWU empfehlen Sie deshalb eine unaufgeregte Debatte?

Umbenennungen, wenn man sie denn für notwendig erachtet, können nicht von heute auf morgen erfolgen. Sie bedürfen behutsamer, langwieriger Diskussionsprozesse, weil sich daran Identität knüpft und die komplexe Abwägung von Urteilen erforderlich ist. Universitäten, Städte oder Straßen nach Menschen zu benennen, birgt immer das Risiko, dass man irgendwann entlarvt, was sie aus Sicht der Nachgeborenen falsch gemacht haben, um dann erneut zermürbende Umbenennungsdebatten zu initiieren. Jetzt sollten wir uns zunächst auf sachliche Aufklärung, nüchterne Diskussionen unter Einbeziehung der Öffentlichkeit und transparente Verfahren konzentrieren. Machen wir den ersten Schritt vor dem zweiten.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 17. Juni 2020.

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