Interview mit der Gastprofessorin Andrea de Camargo
Wie gefällt Ihnen bis jetzt Ihre Zeit am SoN?
Ich genieße es sehr, hier zu sein. Natürlich bringt die Coronapandemie Beschränkungen mit sich und gerade der persönliche Austausch mit Kollegen und Studenten findet in einem viel kleineren Umfang als normalerweise statt. Glücklicherweise bekomme ich durch die Mitarbeiter des SoN viel Unterstützung und jeder ist bemüht, aus der derzeitigen Situation das Beste zu machen. Mittlerweile bin ich gut angekommen und habe mein Arbeitsumfeld entsprechen einrichten können.
Was hat Sie zum Center for Soft Nanoscience geführt?
Ich war bereits in den Jahren 2008-2010 in Münster tätig und habe damals am CeNTech in der Forschungsgruppe von Prof. Luisa de Cola als Humboldt-Stipendiatin gearbeitet. Da die Alexander von Humboldt-Stiftung auch nach dem Ende einer spezifischen Förderung Kontakt zu den Alumni hält, wurde ich gefragt, ob ich erneut im Jahr 2021 für sechs Monate nach Münster kommen möchte. Besonders die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen von Prof. Ravoo und Prof. Zacharias war dabei für mich attraktiv. Ihre Forschung ergänzt sich sehr gut mit den Untersuchungen meiner Arbeitsgruppe in Brasilien. Leider war es bisher bedingt durch Corona nicht möglich, dass mein Postdoc Leonnam sich unserer Forschungsgruppe anschließt. Wir hoffen aber, dass dies ab dem Sommer 2021 möglich sein wird.
An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Mein Hauptprojekt ist die Untersuchung von supramolekularen leuchtenden Systemen die auf Nanopartikeln mit der Fähigkeit, Infrarot-Strahlung in sichtbares Licht zu verwandeln, basieren. Diese so genannten „Upconversion Nanopartikel” (UCNPs) haben eine funktionalisierte Oberfläche mit verschiedenen chemischen Gruppen, welche lichtresponsiv sind und so die Bindung oder Loslösung von anderen Partikeln unterstützen. Unser Ziel ist es, einen molekularen Schalter zu entwickeln, bei dem UCNPs an metallische (goldene) Nanopartikel gebunden werden. Damit könnte man die Vorteile eines plasmonischen Effekts bei den AuNPs nutzen und so eine gesteigerte Lichtintensität der UCNPs im Zusammenhang mit deren Größe erreichen.
Ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Helmut Zacharias beinhaltet die Nutzung von CdTe-Nanopartikeln in variablen Größen als aktives Medium zur Frequenzverdopplung. Die Nanopartikel werden in unserem Labor in Brasilien vorbereitet, die späteren Laserexperimente erfolgen dann am SoN.
Welche praktischen Anwendungsmöglichkeiten gibt es für Ihre Forschungen?
Bei der Funktionalisierung von Nanopartikeln lassen sich verschiedene Anwendungsgebiete finden, sei es hinsichtlich Bildgebung von Gewebestrukturen und Mikroorganismen oder auch der Messung der Zelltemperatur. Zudem könnten Nanopartikel so auch dazu gebracht werden, gezielt bestimmte Bereiche oder Systeme anzusteuern und gezielt bei der Bekämpfung schädlicher Bakterien oder Tumore zu helfen. In diesem Zusammenhang können dann auch Anwendungen aus dem Bereich der Photodynamic Therapy (PDT) genutzt werden, um entsprechende Zelltypen gezielt zu vernichten.
Die Nanopartikel mit denen wir arbeiten sind Kristalle, die mit Ionen dotiert sind, welche Infrarotlicht absorbieren, welches nur sehr wenig Energie hat. Werden Sie mit mehr Energie aufgeladen werden die Partikel unsichtbar für das menschliche Auge. Auf diese Art können Sensoren entwickelt werden, die bestimmte Bakterien identifizieren oder sich gezielt mit Bakterien verbinden.
Welchen Einfluss erwarten Sie von Ihrer Tätigkeit am SoN für Ihre Forschungen in Brasilien?
Ich hoffe, dass durch meine Tätigkeit am SoN eine feste und langanhaltende bilaterale Zusammenarbeit etabliert wird. Sowohl Studenten von der WWU als auch von der USP würden davon profitieren, sei es durch Praktika oder durch Forschungsaufenthalte als Post-Docs. An der Universität von Sao Paulo in Brasilien beschäftigt sich meine Forschungsgruppe hauptsächlich mit der Entwicklung und strukturellen Charakterisierung von Festkörpermaterialen, die die Fähigkeit haben, Lichtenergie zu sammeln, zu erzeugen, zu speichern oder umzuwandeln. Seit kurzem stehen dabei besonders die Entwicklung von fluoreszenten Nanopartikeln (NPs) und daraus abgeleiteten Strukturen im Fokus. Ihre Anwendung finden diese NPs etwa im Bereich Bioimaging, bei photodynamischen Behandlungen, in der optischen Thermometrie oder bei der Gasmessung.
Mit diesen Anwendungen wollen wir eine stärkere Funktionalisierung der Oberflächen der NPs erreichen, um diese besser auf (biologische) Ziele abzustimmen. Auf diese Art können auch multifunktionale Systeme entwickelt werden. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Professor Ravoo erwarten wir bei der Entwicklung von funktionalisierten Oberflächen eine verbesserte Anpassung an die jeweiligen Anwendungsgebiete. Aber auch die Kooperation mit der Forschungsgruppe von Professor Zacharias ist für uns sehr interessant. Hier stehen besonders Anwendungen mit einer höheren harmonischen Ordnung in Plasma und Nanopartikeln im Fokus. Dieser Forschungszweig ist vergleichsweise neu, entsprechend erwarten wir einen großen Wissenszuwachs hinsichtlich physikalischer Konzepte.
Welche Erfahrungen konnten Sie bisher während Ihrer Forschungen sammeln? Sehen Sie kulturelle Unterschiede, von denen beiden Seiten lernen können und die das wissenschaftliche Arbeiten bereichern?
Ich sehe mich als eine sehr neugierige, vielseitige und interdisziplinäere Forscherin mit einem breitgefächerten Interesse an optischen Anwendungen. Zu Beginn meiner universitären Karriere im Fach Chemie habe ich Ionenspektrografien von Seltenen Erden durchgeführt. Nach meinem Master in Chemie habe ich eine Doktorarbeit in der angewandten Physik angefertigt. Dort lag mein Schwerpunkt auf Forschungen auf einer Laserspektografie nahe dem Infrarotbereich und der Entwicklung von Glas- sowie Glaskeramik-Basen als laseraktive Medien. Nachdem ich im Jahr 2006 meine Juniorprofessur an der USP begonnen habe, hatte ich durch das Humboldt-Institut zum ersten Mal die Möglichkeit in Münster zu forschen. Damals war ich am CeNTech und interessierte mich besonders für mesoporöse Wirt-Gast-Materialien, die besonders in lumineszenten Umgebungen wie Metallen oder organischen Farbstoffen vorkommen. Derzeit konzentriert sich mein Labor hauptsächlich auf zwei Forschungsgebiete: Zum einen auf das Design, die Synthese und die Charakterisierung von glasartigen hochenergetischen Scintillatoren und Solarumwandlern. Zum anderen erforschen wir Nanomaterialien und Materialien mit mesoskopischen Eigenschaften mit Anwendungsgebieten, die vom Bildgebung, Biosensoren und PDT bis hin zu neuartigen Belichtungsgeräten reichen.
Die Erfahrungen, die ich durch meine Arbeit in diesen unterschiedlichen aber dennoch miteinander verbundenen Themenfeldern sammeln durfte hat es mir ermöglicht, sowohl mit Chemikern, Physikern als auch mit Ingenieuren zielführend zusammenzuarbeiten. Tatsächlich finden sich in meiner Arbeitsgruppe Studenten und Postdocs aus all diesen Fächern. Dies ist in meinen Augen ein positives Beispiel für Synergien die durch die gemeinsame Beschäftigung an wissenschaftlichen Fragestellungen entstehen können.
Mein interdisziplinärer wissenschaftlicher Ansatz hat dazu geführt, dass ich derzeit die Rolle des Scientific Directors beim SBPMat – der Brazilian Materials Research Society – bekleide. Darüber hinaus bin ich auch Herausgeberin des Journal of Materials Science von Nature Springer. Allerdings wird die Forschung in Brasilien, anders als in Deutschland, nicht immer unbedingt langfristig gefördert. Entsprechend kommt es immer wieder zu finanziellen Lücken, die ausgeglichen werden müssen. Entsprechend improvisiert man manchmal mehr. Andererseits sorgt diese erhöhte Flexibilität auch dafür, dass man bei der Planung von Projektenschneller und sehr effizient arbeitet.
Zum Schluss ist es mir noch wichtig zu betonen, dass ich mich sehr für mehr Frauen in der Wissenschaft einsetze. In meinem Institut, dass zu den besten in Südamerika gehört, gibt es 95 Professoren – und nur 8 davon sind Frauen! Hinzu kommt, dass bisher nur eine Frau einvolle Professorenstelle hat und diese ist schon 84 Jahre alt. Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass diese Zahlen nicht ausgewogen sind. Die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter auf wissenschaftliche Disziplinen ist natürlich keines meiner Forschungsfelder, aber ich tue mein Möglichstes, um sowohl in Brasilien als auch international mehr Frauen zu einer wissenschaftlichen Karriere zu ermutigen. Sei es durch Gesprächsrunden, Interviews, Events oder Praktika. Durch meine Verbindung zum Humboldt-Institut versuche ich gezielt Frauen anzusprechen, neue wissenschaftliche Wege zu gehen und auch im Ausland zu forschen. Eine Erfahrung, die für deutsche Studenten ebenfalls möglich ist, etwa durch die Feodor-Lynen-Gemeinschaft, die Aufenthalte in Brasilien fördert.