(D4) Bilder von den Anderen. Analysen zur Rhetorik der Gewalt in der Spätantike

D4 Projektseite
Darstellung der Schlacht von Avarair von 451, armenisches Manuskript von 1482

Das Projekt untersucht die Frage, welche Bedeutung die Darstellung „der Anderen“ für den Prozess der Selbstdefinition des antiken Christentums hatte und inwiefern bei diesem Reden über „die Anderen“ Gewalt eine Rolle spielte. Solche „Rhetorik der Gewalt“ wird insbesondere in Texten greifbar, in denen sich christliche Autoren mit ihrer nicht-christlichen Umwelt kritisch auseinandersetzen (vor allem in den sogenannten „Apologien“) oder gewalttätige Konflikte reflektieren (etwa den Krieg zwischen Armenien und Persien 450/51).

Dabei begegnet einerseits Gewalt in Texten, wenn von oder über Gewalt geredet wird; andererseits können Texte selbst als Gewalt wirken oder wahrgenommen werden, wenn Sprache im Reden über „Andere“ als Mittel der Gewaltanwendung eingesetzt wird. Letzteres spielt nicht zuletzt bei der Konstruktion von Feindbildern eine Rolle, in denen Mechanismen der Stereotypisierung des Redens über „den/die Anderen“ zur Anwendung kommen, oder in Strategien zur Legitimierung von Gewaltanwendung.

Zur Topik gewalttätiger Rede, die in dem Projekt untersucht wird, gehören unter anderem die Reduktion oder Ausblendung von Komplexität, kurze und ständig wiederholte Charakterisierungen (etwa durch die Verknüpfung von Namen mit Eigenschaften oder Bildern), die Herabwürdigung bis zur Dehumanisation (Bilder von Krankheit und aus dem Tierreich), der Aufbau einer kognitiven Dissonanz („die Anderen“ werden zum negativen Gegenteil des eigenen positiven Leitbildes stilisiert) und einer realen Distanz (Kontaktvermeidung oder -verbot).

„Rhetorik“ wird dabei verstanden als Theorie und Praxis der auf Plausibilität und Akzeptanz ausgerichteten sprachlichen Äußerung. Die Argumentations- und Darstellungsformen eines Textes können als Mittel zur Erschließung von Sachverhalten dienen, die von den Beteiligten als plausibel angesehen werden. Dieses methodische Vorgehen ist möglich, insofern Argumentation und Darstellung auf die situativen Bedingungen hin zugeschnitten sind, aus denen heraus und in die hinein sie in einem wechselseitigen Prozess gestaltet werden. Eine Analyse der Rhetorik einschlägiger Texte ermöglicht es daher, auf methodisch kontrollierte Weise Aufschluss über die Strategien zu erhalten, mit denen plausible Bilder von „den Anderen“ (auch Feindbilder) entworfen werden und dadurch verbal – und zuvor oder in der Folge möglicherweise physisch – Gewalt ausgeübt oder legitimiert, verherrlicht oder beschönigt wird.

 

1. Teilprojekt: Monotheismus und Gewalt

Alfons Fürst

Der Projektleiter geht der Frage nach, was es mit dem (immer wieder behaupteten) Zusammenhang zwischen dem monotheistischen Wahrheitsanspruch des Christentums und seiner (angeblichen) Neigung zu Gewalttätigkeit auf sich hat. Die Analyse hierfür einschlägiger Texte aus der christlichen Antike (vor allem des Origenes und des Augustinus) hat ergeben, dass dieses Problem nur in engem Konnex mit Fragen der religiösen Praxis und deren Einbettung in das jeweilige gesellschaftliche und politische Umfeld untersucht werden kann. Der unterstellte Zusammenhang zwischen der Behauptung, es gebe nur einen Gott, und der Neigung, diese mit Gewalt durchzusetzen, ist kein theologisch-theoretischer, sondern wesentlich abhängig von realen politischen und sozialen Konstellationen.

2. Teilprojekt: Der Aufstand oder der „Glaubenskrieg“ Armeniens gegen das Sassanidische Persien (450/51) und dessen Nachwirkungen im 20. Jahrhundert

Harutyun Harutyunyan

In diesem Teilprojekt werden der Aufstand der Armenier gegen das Sassanidische Persien im 5. Jahrhundert und die Nachwirkungen dieser Gewaltmetapher in modernen bewaffneten Konflikten – wie beispielsweise im Bergkarabach-Krieg (1992-1994) – untersucht. Die zwei altarmenischen Hauptquellen: Ġazar P’arpec’i, „Patmwut’iwn Hayoc’. T’owġt’aṙ Vahan Mamikonean“ (Die Armenische Geschichte. Brief an Vahan Mamikonean) und Eġišē, „Vasn Vardanay ew Hayoc’ paterazmin“ (Über Vardan und den armenischen Krieg) stammen aus dem 5. Jahrhundert und präsentieren eine tendenziöse Beschreibung der damaligen Auseinandersetzungen. Auch andere zeitgenössische Quellen, in denen diese hochkomplexen und facettenreichen religiös-politischen Prozesse greifbar werden, sind in mehrfacher Hinsicht parteilich und verfolgen bestimmte Interessen. Die nicht selten gewaltsame Austragung dieser Konflikte geht einher mit einer Rhetorik der Gewalt, in der schon damals die Vorgänge diskutiert wurden. Die Quellen betreiben Selbststilisierung im Medium der Stilisierung „der Anderen“. So bezeichnen die beiden genannten armenischen Historiker den Aufstand gegen Persien als „Glaubenskrieg“ und die gefallenen Soldaten mit ihrem Truppenführer Vardan Mamikonian als „heilige Märtyrer“. Die persischen Gegner werden dagegen dehumanisiert und dämonisiert. Das Bild, das vom Gegner entworfen wird, dient als Negativfolie für die Konstruktion des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Bedeutung.

In der späteren Rezeption des Konflikts lässt sich beobachten, dass solche zugespitzten Darstellungen erhebliche Folgen haben. Zum einen ist die Rhetorik der Texte bei der Erhellung der historischen Prozesse zu beachten. Zum anderen prägen diese Selbststilisierungen die Erinnungskulturen ganzer Regionen und Religionen. Die Rhetorik der Quellen reicht über deren Zeit hinaus, zum Teil bis in die Gegenwart, wie beispielsweise bei der Verwendung der Gewaltrhetorik im Konflikt mit Aserbaidschan (1988–1994). Mit solcher Rhetorik wird die eigene Bedeutung inszeniert, wird für Integration nach innen durch Abgrenzung nach außen gesorgt und werden Normierungen vorgenommen, von denen sich einige aus dieser Zeit als sehr dauerhaft und haltbar erwiesen haben.

3. Teilprojekt: Bilder von den Anderen bei den lateinischen Apologeten

Luise Ahmed

In diesem Teilprojekt wird die Rhetorik der Gewalt in den christlichen lateinischen Apologien der Antike analysiert, die das Christentum von seiner paganen Umwelt abgrenzen wollen (insbesondere Tertullian, Minucius Felix, Cyprian, Arnobius, Laktanz, Firmicus Maternus, Augustinus). Zur Situierung wird auch die „andere Seite“ in den Blick genommen (Porphyrios, Symmachus u.a.). Der Schwerpunkt des Frageinteresses liegt auf den Bildern von den Anderen, die in den Apologien gezeichnet werden; das Zeichnen dieser Bilder wird verstanden als eine Form rhetorischer Gewalt, denn den Anderen wird so durch äußerliche Festlegung ihrer Merkmale Gewalt angetan. Untersucht werden daher die Art und der Inhalt der Bilder von den Anderen sowie ihre Funktionen im Text und ihre Wirkung auf die gesellschaftliche Wirklichkeit.

Bisher wurden unter diesen Gesichtspunkten die „Divinae institutiones“ des Laktanz, die Schrift „De errore profanarum religionum“ des Firmicus Maternus und das „Apologeticum“ Tertullians untersucht. Wichtige Merkmale „der Anderen“, die in diesen Apologien immer wieder auftauchen, sind ihre falschen Weltbilder (error), ihre unmoralische Lebensführung und ihre Feindschaft gegen die Christen. Alle drei Autoren arbeiten durchweg mit der Dichotomie „Wir – die Anderen“, die durch die genannten Merkmale Konturen erhält.

Mit Hilfe dieser Gegenüberstellung werden Unterschiede aufgerichtet, die der Selbstdefinition durch Abgrenzung, aber auch durch Vereinnahmung und Instrumentalisierung „der Anderen“ dienen. Zur Rhetorik der Gewalt in diesen Werken gehören auch die Kriegsmetaphorik, Gewaltschilderungen bei der Beschreibung von Verfolgungen oder die „gewalttätige“ Strategie, dem Kontrahenten die Diskursfähigkeit abzusprechen.

Eine Lektüregruppe unter der Leitung von Luise Ahmed beschäftigt sich seit Januar 2010 mit den genannten Autoren und der Frage nach der Rhetorik der Gewalt und den Bildern von den Anderen. Im Zuge der Lektüre sollen die bislang gefundenen Kategorien geprüft und weiter entwickelt und soll ein Profil der einzelnen Werke und Autoren sowie eine Topik der Rhetorik der Gewalt in der apologetischen lateinischen Literatur erstellt werden. Im Sommersemester 2011 wird der Octavius des Minucius Felix gemeinsam gelesen und untersucht.

Arbeitsgruppen

Zur Vertiefung der interdisziplinären Forschung wurden auf Initiative des Projektleiters und der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter die Arbeitsgruppen „Rethorik der Gewalt“ und „Bildung, Entwicklung und Rezeption von Feindbildern“ gegründet. Zusammen mit anderen Mitgliedern des Exzellenzclusters aus verschiedenen Fachbereichen wurden die Konstruktionsmechanismen und die Rezeption unterschiedlicher Feindbilder historisch und sozialwissenschaftlich analysiert. Als Abschluss einer dreijährigen Zusammenarbeit ist eine wissenschaftliche Publikation vorbereitet, in der die Ergebnisse systematisch zusammengeführt werden. Der Sammelband „Von Ketzern und Terroristen. Interdisziplinäre Studien zur Konstruktion und Rezeption von Feindbildern“ wird zehn thematische Beiträge von Mitgliedern der zweiten Arbeitsgruppe enthalten.

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