Ethnologischer Film über indische Einwanderer in Südafrika

Liebesgeschichte in Johannesburg – Neuer Dokumentarfilm von Ethnologin Helene Basu mit Forschungsergebnissen zu Süd-Süd-Migration – Filmpremiere von „Kabul kiya? Do you accept?“ am 20. April in Münster

Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 16. April 2018

Plakat
© Andreas Samland, Helene Basu

Migrationsbewegungen führen Menschen nicht nur von ärmeren Ländern in wohlhabendere Staaten: Wie indische Migranten in Südafrika leben, zeigt der neue Dokumentarfilm „Kabul kiya? Do you accept?“ von Ethnologinnen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“, der am Freitag, 20. April, erstmals in Münster zu sehen ist. „Während die Mehrheit sozialwissenschaftlicher Forschungen sich mit Süd-Nord-Migrationsbewegungen befasst – zum Beispiel vom ärmeren Indien in die reichen USA – beschäftigen wir uns mit Süd-Süd-Migration, etwa von Indien nach Südafrika“, sagt die Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu. Zusammen mit der Ethnologin Dr. Julia Koch und dem Filmemacher Andreas Samland hat sie ein junges Paar mit indischen Wurzeln im südafrikanischen Johannesburg mit der Kamera begleitet. Die Filmpremiere beginnt am Freitag, 20. April, um 19.00 Uhr im Cinema Filmtheater in der Warendorfer Straße 45 in Münster. Um 21.00 Uhr folgt eine Diskussion mit den Filmemachern im Veranstaltungsraum „neben*an“. Der Eintritt kostet drei Euro.

„Die Erfahrungen der Protagonisten im Film zeigen, wie ‚fremde‘ Migranten soziale Gemeinschaften auf der Grundlage gemeinsamer Herkunft und Sprache bilden und gleichzeitig mittels Heirat in die ‚einheimische‘ Klassengesellschaft in Südafrika eintreten“, erläutert Prof. Basu. Der Film knüpft an Kochs Forschungen in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an. „Die südafrikanische Gesellschaft nach dem Ende der Apartheid ist ein bisher kaum erschlossenes Forschungsfeld. Julia Koch hat hier Pionierarbeit geleistet“, so Basu. Kochs Dissertation ist 2016 unter dem Titel „Migration und religiöse Praxis. Gujarats sunnitische Muslime in den ehemaligen ‚Homelands‘ Südafrikas“ im Transcript Verlag erschienen.

„Heirat keine Sache von Gefühlen“

Der Film „Kabul ki ya? Do you accept?“ (Nimmst Du an?) erzählt die Geschichte von Hussein, einem jungen indischen Immigranten, der sich in Johannesburg in Aqueela verliebt hat. Obwohl beide einer indo-muslimischen Kaste aus dem indischen Bundesstaat Gujarat angehören, stößt die Liebe auf Hindernisse: Während die Familie von Aqueela seit einigen Generationen in Südafrika lebt, ist Hussein ein Neuankömmling. Er wurde in einem Dorf im westlichen Indien groß und spricht nur wenig Englisch. Aqueela hingegen wuchs in einer wohlhabenden, englischsprachigen Familie in Johannesburg auf und kennt die Sprache ihrer indischen Vorfahren kaum.

Das besondere Interesse von Helene Basu gilt den Prozessen des Entscheidens zwischen arrangierter Heirat und Liebesheirat. „In der indischen Gesellschaft ist Heirat keine Sache von individuellen Gefühlen und Entscheidungen, sondern eine Allianzbeziehung zwischen Familien“, sagt die Ethnologin. Im Fall von jungen männlichen Migranten wie Hussein sorge üblicherweise die Familie dafür, dass er eine Frau aus seiner Heimat heirate. Auch in Aqueelas sozialer Klasse in Südafrika würden Heiraten lokal arrangiert, doch geschehe dies weniger restriktiv als in Indien. „Eine Liebesheirat ist jederzeit möglich – allerdings nur dann, wenn die sozio-ökonomische Position der Heiratspartner nicht zu weit auseinanderliegt. Aus Sicht der alteingesessenen Familie ist Hussein jedoch ein Habenichts und kein akzeptabler Ehemann für ihre gebildete Tochter“, sagt Prof. Basu. Der Film folgt dem Prozess, in dem Hussein und Aqueela ihre Entscheidung zu heiraten, gegen den Widerstand ihrer südafrikanisch-indischen Familie durchsetzen und zugleich seine Familie in Gujarat dazu bringen, ihre Beziehung zu akzeptieren.

Das Medium Film ist in der Ethnologie in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Helene Basu: „Ein wissenschaftlich-ethnographischer Film kann die Lebensrealität von Menschen anderer Gesellschaften einem Publikum der eigenen Gesellschaft sehr viel direkter näherbringen, als ein wissenschaftlicher Text.“ Die Forscherin hat an der WWU den Weiterbildungsstudiengang „Visual Anthropology and Documentary Media Practices“ gegründet, der viel nachgefragt wird.

Zu den Migrationsbewegungen von Indien nach Südafrika, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, führen die Ethnologinnen aus, dass Kontakte zwischen indischen Einwanderern und ihrer indischen Heimat von den 1930er bis 1990er Jahren durch die Apartheid-Regimes unterbunden wurden. In der Zeit der so genannten Rassentrennung bildete sich in Südafrika eine indisch-stämmige Teilgesellschaft heraus, die sich wiederum nach Religionszugehörigkeit, Herkunftsregion und Sprache sowie sozialen Klassen in Südafrika differenzierte. „Seit Mitte der 1990er Jahre ist wieder Verkehr zwischen Indien und Südafrika möglich: Indisch-stämmige Südafrikaner bereisen das Land ihrer Vorväter, aus dem andererseits neue Einwanderer nach Südafrika kommen“, berichtet Prof. Basu. (asc/vvm)