Einzigartiges römisches Relief entdeckt
Altertumswissenschaftler des Exzellenzclusters finden in der Türkei unbekannte Götterdarstellung – Überreste aus 2.000 Jahren Kultgeschichte freigelegt
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 10. November 2014
Münsteraner Archäologen haben in einem antiken Heiligtum in der Türkei ein einzigartiges römisches Relief mit unbekannter Götterdarstellung ausgegraben. Die anderthalb Meter hohe Basaltstele, die als Stützpfeiler in eine Klostermauer verbaut war, zeigt nach erster Einschätzung einen Fruchtbarkeits- oder Vegetationsgott, wie der Althistoriker und Grabungsleiter Prof. Dr. Engelbert Winter und der Archäologe Dr. Michael Blömer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ nach Rückkehr aus dem Heiligtum des Gottes Iuppiter Dolichenus nahe der antiken Stadt Doliche in der Südosttürkei mitteilten. „Das Bild ist erstaunlich gut erhalten. Es gibt wertvolle Einblicke in die Glaubensvorstellungen der Römer und das Weiterleben altorientalischer Traditionen. Doch bevor wir den Gott genau identifizieren können, sind noch aufwändige Recherchen nötig.“
Das Grabungsteam aus 60 Mitarbeitern legte in der Grabungssaison 2014 Funde aus allen Epochen der 2.000-jährigen Geschichte des Kultplatzes frei, etwa die mächtigen Umfassungsmauern des ersten eisenzeitlichen Heiligtums und die Fundamente des römischen Haupttempels des Gottes Iuppiter Dolichenus, der im 2. Jahrhundert nach Christus zu einer der bedeutendsten Gottheiten des Römischen Reiches wurde. Sein Heiligtum liegt auf dem 1.200 Meter hohen Berg Dülük Baba Tepesi nahe der Stadt Gaziantep. Die Stele fanden die Archäologen in den Überresten des christlichen Klosters, das im Frühmittelalter im Areal des antiken Heiligtums errichtet worden war.
„Die Basaltstele zeigt eine Gottheit, die aus einem Blattkelch erwächst. Dessen langer Stiel steigt aus einem Kegel auf, der mit astralen Symbolen verziert ist. Aus den Flanken des Kegels wachsen ein langes Horn und ein Baum empor, den der Gott mit seiner Rechten umfasst“, beschrieb Archäologe Blömer die Darstellung. „Die Bildelemente legen nahe, dass es sich um einen Fruchtbarkeitsgott handelt.“ Auffällig seien ikonografische Details wie die Gestaltung des Bartes oder die Haltung der Arme, die auf Darstellungen aus der Eisenzeit im frühen 1. Jahrtausend vor Christus verwiesen.
Damit gebe der Neufund Auskunft über eine zentrale Frage des Forschungsprojektes B2-20 am Exzellenzcluster, die Frage nach der Kontinuität lokaler religiöser Vorstellungen. Prof. Winter: „Die Stele kann davon erzählen, wie altorientalische Traditionen über die Epochen weiterlebten, von der Eisenzeit bis in die römische Zeit.“
Der Schwerpunkt der diesjährigen Grabungsarbeiten lag auf der Erforschung des mittelalterlichen Klosters des Mar Salomon (Heiliger Salomon). „Die gut erhaltenen Ruinen des Klosterkomplexes erlauben uns zahlreiche Rückschlüsse darüber, wie das Leben und die Kultur in dieser Region zwischen Spätantike und Kreuzfahrerzeit ausgesehen hat“, so Prof. Winter. Das internationale Team hatte die Überreste des Klosters 2010 entdeckt, bis dahin war es der Fachwelt nur aus Schriftquellen bekannt. Archäologe Blömer: „Alle Funde der diesjährigen Grabungssaison sind wichtige Puzzleteile, die zum Wissen über sämtliche Phasen der langen Geschichte dieses heiligen Ortes beitragen.“ Die Geschichte erstreckt sich von der frühen Eisenzeit über das reichsweit bekannte Heiligtum der römischen Epoche bis zur langen Nutzung als christliches Kloster, das bis in die Kreuzfahrerzeit existierte.
Erschließung der Grabung für Touristen
Um die bedeutende Tempelanlage und die Klosterruine einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird an einem Archäologischen Park gearbeitet. Die Klosterruinen wurden konserviert und mit Spezialvlies ummantelt. Die aufwändigen Schutzmaßnahmen wurden durch eine Kooperation mit der türkischen Zirve-Universität in Gaziantep möglich, die rund 200.000 Euro für drei Jahre zur Verfügung gestellt hat. Zur digitalen Dokumentation des Geländes verwendet das Team einen Quadrocopter, ein ferngesteuertes Fluggerät mit 3D-Kamera, das die Geoinformatik der Uni Münster entwickelt hat. Seit 2013 gibt es einen Besucherpfad mit dreisprachiger Beschilderung, der zu zentralen Bereichen innerhalb des Grabungsgeländes führt. Auch ein erster großer Schutzbau konnte errichtet werden.
Die Forschungsstelle Asia Minor der Universität Münster gräbt unter der Leitung von Prof. Winter seit 2001 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Hauptheiligtum des Iuppiter Dolichenus. Die internationale Gruppe aus Archäologen, Historikern, Architekten, Restauratoren, Archäozoologen, Geoinformatikern und Grabungshelfern legte bislang Fundamente des archaischen und römischen Heiligtums, ebenso des mittelalterlichen Klosters des Mar Salomon frei. Das Projekt B2-20 des Exzellenzclusters Mediale Repräsentation und ,religiöser Markt‘: Sichtbarkeit, Selbstdarstellung und Rezeption syrischer Kulte im Westen des Imperium Romanum ist eng mit der Grabung vernetzt. (vvm/ska)