„Deutscher Krieg“ oder „internationaler Kampf“?
Prof. Dr. Peter H. Wilson über widersprüchliche Wahrnehmung des Dreißigjährigen Kriegs
Die Wissenschaft nimmt den Dreißigjährigen Krieg laut Expertenmeinung allzu widersprüchlich wahr. „Der Krieg wird auch heute noch als letzter und schlimmster ‚religiöser Krieg‘ Europas und zugleich als ‚sinnloser Konflikt‘ dargestellt, als ein ‚internationaler Kampf‘ und ‚deutscher Krieg‘“, sagte Historiker Prof. Dr. Peter H. Wilson von der englischen Universität Hull bei einem Vortrag in Münster. Wilson, im Januar zu Gast am Exzellenzcluster „Religion und Politik“, kritisierte diese gegensätzliche Wahrnehmung und betonte in seinem Vortrag „An all-destructive fury? Interpreting the Thirty Years’ War“ die Bedeutung des Konflikts: „Der Dreißigjährige Krieg hat die politische und religiöse Ordnung innerhalb des Heiligen Römischen Reiches neu bestimmt.“
Die bis heute oftmals widersprüchliche Wahrnehmung des Kriegsausbruchs im Jahr 1618 lasse sich mit seiner komplizierten Vorgeschichte begründen, sagte Wilson. Bereits seit den 1590er Jahren sei ein Kriegsausbruch zwar „immer wahrscheinlicher, aber nicht unvermeidbar“ gewesen, so der Historiker. „Danach gab es zahlreiche Versuche, den Frieden zu bewahren und den Konflikt zu entschärfen. Die Versuche sind jedoch alle fehlgeschlagen, da der Streit zu keinem Zeitpunkt frei von politischer Kontrolle war“, so der Wissenschaftler. „Weil der Konflikt lang und komplex war, hat er eine Vielzahl von Reaktionen unter den Beteiligten und Beobachtern provoziert. Diese Komplexität ist ein entscheidender Grund, wieso es derart viele Widersprüche in späteren Auslegungen des Streits gibt.“
Prof. Dr. Peter H. Wilson, der seit 2007 die „GF-Grant-Professur“ des Historischen Seminars der britischen University of Hull inne hat, war auf Einladung von Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Projekt C6: „Politisches Amt und religiöse Dissimulation. Konfessionelle Zweideutigkeit an europäischen Fürstenhöfen des 16. und 17. Jahrhunderts“) zu Gast am Exzellenzcluster. Als Spezialist für die deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit beschäftigt sich Peter Wilson schwerpunktmäßig mit dem Heiligen Römischen Reich zwischen 1495 und 1806 unter sozial-, politik- und militärgeschichtlichen Aspekten. Darüber hinaus gilt sein Interesse dem Verhältnis von Politik, Religion und Krieg in der Zeit von 1600 bis 1900.
Seit 2002 hat er zahlreiche Workshops in Zusammenarbeit mit Dr. Michael Schaich vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in London koordiniert. Kürzlich erschien seine Gesamtdarstellung „The Thirty Years’ War. Europe’s Tragedy“. (han)