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Stochastische Differentialgleichungen

Betrachten wir nun eine allgemeine stochastische Differentialgleichung der Form,

\begin{displaymath}
\frac{dx}{dt}
=
A[x(t),t]
+ B[x(t),t]  \xi(t)
.
\end{displaymath} (41)

Die mathematische Bedeutung einer solchen Gleichung ist aber nicht von vornherein klar. Einen Schritt weiter kommen wir, wenn wir Gl. (41) als abkürzende Schreibweise auffassen für die korrespondierende Integralgleichung,
\begin{displaymath}
x-x_0
=
\int_{t_0}^t A[x(t^\prime),t^\prime] dt^\prime
+
\int_{t_0}^t B[x(t^\prime),t^\prime] \xi(t) dt^\prime
.
\end{displaymath} (42)

Das mathematische Problem besteht nun darin dem Integral über die Zufallsvariable $\xi(t)$ in (42) eine Bedeutung zu geben. In der Tat, nehmen wir an, daß ein $z$ existiert mit $\xi dt$ = $dz$, also $\xi$ = $\frac{\partial z}{\partial t}$, wie es sein muß, damit das Integral existiert, so finden wir beispielsweise
\begin{displaymath}
\int_{t_0}^t \xi   dt^\prime
=
\int_{t_0}^t
\!\!\!\!\!\!\!...
...ng}\atop\mbox{existiert nicht!}}
\!\!\!\!\!\!\!\!
dt^\prime
.
\end{displaymath} (43)

Es ist aber bekannt, daß beispielsweise bei der Brownschen Bewegung an allen Orten die Ableitung mit Wahrscheinlichkeit 1 nicht existiert. Damit kann das Integral im üblichen Riemann-Sinne nicht existieren. (Da auch die totale Variation unendlich wird, existiert auch keine Lebesque-Integral.) Eine Konstruktion analog zur Definition des Riemann-Integrals als Grenzwert von Riemann-Summen ist jedoch möglich. Beim klassichen Riemann-Integral wird also die zu integrierende Funktion auf äquidistanten Intervallen $t_0<t_1<\cdots<t_N=t$ stückweise konstant approximiert. Das Integral über diese stückweise konstanten Funktionen ist eine Summe, deren Grenzwert $N\rightarrow \infty$ das Riemann-Integral liefert. Anders als bei Riemann-Integralen, macht es bei stochastischen Integralen jedoch einen Unterschied, an welcher Stelle des Intervalls der Funktionswert für eine stückweise konstante Approximation gewählt wird. Zwei Möglichkeiten sind besonders gebräuchlich. Itô's Wahl besteht darin stets den Funktionswert des linken Randes zu nehmen, also
\begin{displaymath}
\int_{t_0}^t f[x]   dz
=
\lim_{N\rightarrow \infty}
\sum_{i=1}^N f[x(t_{i-1})] \Big( z(t_i) - z(t_{i-1}) \Big)
.
\end{displaymath} (44)

Diese Wahl korrespondiert zu der Markov-Eigenschaft. Stratonowich wählte den Funktionwert in der Mitte des Intervalls
\begin{displaymath}
\int_{t_0}^t f[x]   dz
=
\lim_{N\rightarrow \infty}
\sum_{i...
...t_i)+x(t_{i-1})}{2}\right] \Big( z(t_i)
- z(t_{i-1}) \Big)
.
\end{displaymath} (45)

Diese Wahl ist angemessen, wenn die Diracfunktion in Gl. (36) als Idealisierung einer endlichen Kovarianz gesehen wird. Für Details zur Definition stochastischer Integrale und Differentialgleichungen sei hier beispielsweise auf [8,1,15] verwiesen. Es stellt sich heraus, daß im Stratonovich-Kalkül bezüglich Variablensubstitution in den Differentialen die üblichen Regeln gelten, während im Itô-Klakül Terme zweiter Ordnung in $dz$ mitgenommen werden müssen. In der Tat, wenn $z$, definiert als Summe von Inkrementen $dz$, eine Gauß'sche Zufallsvariable mit Mittelwert 0 und Varianz $t$ sein soll, so muß $dz$ eine Gauß'sche Zufallsvariable sein mit Mittelwert 0 und Varianz $ dt$. Dies schreibt man auch
\begin{displaymath}
dz^2 = dt
.
\end{displaymath} (46)

Technisch gesehen, besteht der Itô-Kalkül im wesentlichen aus der Anwendung der Beziehung (46). Mathematisch folgt diese Beziehung aus dem Verhalten von Itô-Integralen unter Variablensubstitution. Sie korresondiert zu der Tatsache, daß die mittlere zurückgelegte Weglänge beim Wienerprozeß proportional zur Wurzel aus der Zeitdifferenz zunimmt, $<\!\vert x-x_0\vert\!> \propto\sqrt{t-t_0}$. (Während der Erwartungswert bei fehlendem Driftterm verschwindet, $<\!x-x_0\!>$ = 0.)

Gl. (41) kann man nun auch mit der Variablen $z$ schreiben

\begin{displaymath}
\frac{dx}{dt}
=
A[x,t]
+ B[x,t]
\!\!\!\!\!\!\!\!\!\!
\unde...
...frac{dz}{dt}
}_{\mbox{Zufallsvariable}}
\!\!\!\!\!\!\!\!\!\!
,
\end{displaymath} (47)

oder, ``multipliziert'' mit $ dt$, in Form eines stochastisches Differentials
\begin{displaymath}
dx =
\underbrace{
A[x,t] 
}_{\displaystyle \frac{\partial...
...[x,t] 
}_{\displaystyle \frac{\partial x}{\partial z}}
dz
.
\end{displaymath} (48)

Damit erhalten wir beispielsweise unter Verwendung von (46)
$\displaystyle dx^2$ $\textstyle =$ $\displaystyle A^2[x,t]  dt^2
+ B^2[x,t]
\underbrace{
dz^2
}_{\displaystyle dt}
+ A[x,t] B[x,t]  dt   dz$  
  $\textstyle \approx$ $\displaystyle B^2[x,t]  dt
=
\left(\frac{\partial x}{\partial z}\right)^2 dt
.$ (49)

Im nächsten Abschnitt betrachten wir nun Differentiale von allgemeinen Funktionen $f[x(t),t]$.


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Joerg_Lemm 2000-02-25