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„Ich habe geklopft, und sie haben die Tür geöffnet“

Larysa Kovbasyuk floh aus der Ukraine, jetzt forscht und lehrt sie in Münster – ein Interview
Dr. Larysa Kovbasyuk (l.) und Prof. Dr. Antje Dammel im Gespräch über das Forschungsprojekt „Kontrastive Studie des Konzeptes KRIEG”.
© Uni MS – Johannes Wulf

Das Welcome Centre des International Office der Universität Münster unterstützt auch gefährdete und geflüchtete Forscherinnen und Forscher. Dabei geht es vor allem um Themen wie Stipendien, Aufenthaltserlaubnis, Unterbringung und Integration bis hin zu Zukunftsperspektiven. Die Forschenden werden von einer Mentorin oder einem Mentor aus den Fachbereichen begleitet. Am Germanistischen Institut ist derzeit Dr. Larysa Kovbasyuk aus der Ukraine zu Gast. Johannes Wulf hat sie mit ihrer Mentorin Prof. Dr. Antje Dammel zum Interview getroffen.

Sie sind seit rund zwei Jahren in Münster. Wie haben Sie die erste Zeit in der Stadt und an der Universität erlebt?

Larysa Kovbasyuk: Die Atmosphäre in der Stadt ist sehr beruhigend. Nach den Erlebnissen in der Ukraine brauche ich innere und äußere Ruhe. Für mich war es anfangs sehr wichtig, Kontakte zu anderen Professorinnen und Professoren zu knüpfen, um das Gefühl zu bekommen, dass ich nicht allein bin. Das International Office als erste Anlaufstelle hat mir sehr geholfen und wichtige Kontakte hergestellt. Anfangs dachte ich noch, dass ich nur einen Sommer in Münster verbringe und dann zurück in die Ukraine gehe. Daraus wurde nichts.

Gehen wir gedanklich noch einmal zurück in die Ukraine. Wie war die Situation an Ihrer Universität in Cherson nach dem Kriegsbeginn im Februar 2022?

Kovbasyuk: Cherson wurde wenige Tage nach Kriegsbeginn belagert. Es gab zunächst keinen Ausweg aus der Stadt, keine Korridore des Roten Kreuzes. Die Universität Cherson hat noch einige Wochen online weitergemacht. Mitte April besetzten die Russen die Gebäude der Uni, auch Studierendenwohnheime. Wir kamen nicht mehr an persönliche Gegenstände und Laptops. Vieles wurde entwendet und auf die Krim gebracht. Mittlerweile sind durch ständigen Beschuss etwa drei Viertel der Universität zerstört. Für viele Akademikerinnen und Akademiker war es damals zu gefährlich, in Cherson zu bleiben. Die Russen hatten Namenslisten, auf denen engagierte Bewohner Chersons und einige Mitglieder der Uni standen. Mitte April haben sich dann auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen entschieden, aus Cherson zu flüchten. Auf eigene Faust, so wie ich.

Frau Dammel, wie konnten Sie Frau Kovbasyuk nach der Ankunft in Münster unterstützen?

Antje Dammel: Wir haben uns schnell mit Albina Haas vom Erasmus-Büro des Instituts zusammengesetzt und uns über das International Office für eine Förderung der Philipp Schwartz-Initiative für geflüchtete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beworben. Wir haben eine Förderung bis März 2025 bekommen und arbeiten schon an einem Förderantrag bei einem anderen Programm, damit Larysa Kovbasyuk länger in Münster bleiben kann. Meine Rolle besteht außerdem darin, zu vermitteln, wie unser Wissenschaftssystem funktioniert, denn es ist in einigen Punkten anders als in der Ukraine. Was geholfen hat: Wir forschen zu ähnlichen Themen, etwa zur Onomastik, also der Namenforschung. Heute bin ich oft Sparringspartner bei der wissenschaftlichen Arbeit, etwa bei neuen Veröffentlichungen.

Frau Kovbasyuk, Ihr aktuelles Forschungsprojekt steht unter dem Titel „Kontrastive Studie des Konzeptes KRIEG“. Um was geht es genau?

Kovbasyuk: In der Linguistik befasst man sich sehr oft mit aktuellen sprachlichen Entwicklungen. Krieg ist in meinem Thema großgeschrieben, da er als sprachliches Konzept behandelt wird. Ich untersuche, welche sprachlichen Mittel von einem Wort bis zu einem Idiom oder einer Redewendung das Konzept KRIEG repräsentieren. Ich vergleiche dabei mediale Diskussionen in Deutschland und der Ukraine. Sprache ist im Falle der Ukraine auch ein Mittel des Kampfes und des Widerstandes. Es ist aus meiner Sicht zum Beispiel sehr wichtig, nicht vom ,Ukraine-Krieg‘ zu sprechen, denn diese Bezeichnung verschleiert, wer der Aggressor ist. Es ist ein russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Frau Dammel, was nehmen Sie aus der Zusammenarbeit mit Frau Kovbasyuk mit?

Dammel: Sie ermöglicht mir einen Perspektivwechsel. Ich bewundere, dass sie ein Thema behandelt, das so nah an sie herangeht, wie sie damit umgeht. Und trotzdem bleibt sie wissenschaftlich und analytisch. Ich war noch nie in solch einer Lage und sehe, wie sie damit umgeht, als eine gestandene Wissenschaftlerin von einer Uni, die es nicht mehr gibt.

Kovbasyuk: Ich habe das alles miterlebt, jetzt arbeite ich daran. Es gibt keine Trennung zwischen dem Privaten und der Wissenschaft. Erste Ergebnisse fließen mittlerweile in Seminare am Germanistischen Institut ein.

Glauben Sie, dass Sie in absehbarer Zeit wieder in der Ukraine leben und arbeiten werden?

Kovbasyuk: Das würde ich sehr gerne tun. Derzeit ist aber kein Ende des Krieges in Sicht.

Welche Perspektive sehen Sie für Ihre Universität in Cherson?

Kovbasyuk: Der Unterricht findet derzeit online statt. Alle hoffen darauf, dass die Universität nach Kriegsende wieder zu einer vollwertigen Hochschule wird. Es gibt internationale Partner, die sich bereit erklärt haben, beim Wiederaufbau zu helfen. Daran ist aber derzeit noch nicht zu denken. Die Stadt wird weiterhin jeden Tag beschossen.

Was empfehlen Sie anderen geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern?

Kovbasyuk (lacht): Meine Großmutter hat immer gesagt: Klopfe, und jemand öffnet die Tür.

Dammel: Momentan werden flankierende Infrastrukturen aufgebaut. Es gibt jetzt einen NRW-weiten Infotag für Mentorinnen, Mentoren und geflüchtete Forschende, auf dem Perspektiven und Bedürfnisse besprochen werden, wie es weitergehen könnte. Für meine Rolle als Mentorin bekomme ich keine Forschungsmeriten. Aber man lernt viel auf anderen Ebenen dazu, und ich würde es auch jederzeit wieder machen. Die Strukturen wachsen mit den Herausforderungen.

Frau Kovbasyuk, fühlen Sie sich mittlerweile zuhause in Münster?

Kovbasyuk: Ja. Ich kann hier fortsetzen, was ich mein ganzes Leben lang gemacht habe. Und ich bin sehr froh, dass ich damals das International Office angeschrieben habe. Ich habe geklopft, und sie haben die Tür geöffnet.

Das Welcome Centre des International Office

Das Welcome Centre der Abteilung Forschende und Mitarbeitende ist eine Beratungsstelle des International Office für internationale Forschende und gastgebende Fachbereiche. Es ist zudem die erste Anlaufstelle, wenn es um die Unterstützung gefährdeter und geflüchteter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht. Vom Bewerbungsprozess für Stipendien über den Aufenthaltstitel und die Erweiterung internationaler Netzwerke bis hin zur Bewältigung von Fluchterlebnissen: Sowohl vor als auch während des Aufenthalts unterstützt das Welcome Centre Forschende und Mentorinnen und Mentoren aus gastgebenden Einrichtungen mit einem großen Informations- und Beratungsangebot auf allen Ebenen. Ziel ist es, dass beide Seiten bestmöglich vom Aufenthalt der Professorinnen und Professoren sowie Postdocs in Münster profitieren.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 6. November 2024.

Links zu dieser Meldung

Gefährdete und geflüchtete Forschende – Informationen des International Office

Die November-Ausgabe der Unizeitung als PDF

Projektwebsite "Kontrastive Studie des Konzeptes KRIEG"