Rhetorik-Analyse von Markus Söders Sommerinterview: Selbstdarstellung im Stadion
In zwei Monaten entscheiden die deutschen Wählerinnen und Wähler über den 20. Deutschen Bundestag und damit auch über die Frage, wer Nachfolger von Kanzlerin Angela Merkel wird. Das "Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis" (CfR) am Germanistischen Institut der Universität Münster nimmt die heiße Phase des Wahlkampfs zum Anlass, die Interviews und Reden der Spitzenkandidaten wissenschaftlich zu untersuchen. Wer gibt die qualitativ besten Antworten? Wer strahlt Souveränität, Nervosität, Selbstsicherheit oder Überheblichkeit aus? Xenia Multmeier vom CfR hat das ZDF-Sommerinterview (1. August) von Markus Söder, Parteivorsitzender der CSU, analysiert:
Die Rhetorikexpertin findet bereits den Ort des Interviews, den Markus Söder selbst bestimmt hat, vielsagend: Das Stadion des 1. FC Nürnberg. Dieses hat er wohl als perfekte Kulisse für den Ton empfunden, den er im Interview anschlagen wollte. Die Selbstinszenierung um Motive wie Stärke und Schnelligkeit gelang ihm jedoch nicht durchgängig. Die Gesprächsstrategie von ZDF-Journalist Theo Koll störte Markus Söders gewohnte Selbstdarstellung – er gab dem CSU-Vorsitzenden dazu nämlich kaum Raum.
Qualität der Antworten
In den Interviewfragen ging es um zahlreiche Themen wie den Wahlkampf, das Absinken der CDU in Wählerumfragen, Corona oder die Klimakatastrophe. Auffällig war laut Xenia Multmeier, wie Markus Söder direkt die erste Frage anders beantwortete, als Theo Koll sie eingefädelt hatte. Markus Söder hätte auf die Frage nach sinkenden Umfragewerten Armin Laschet als Schuldigen benennen können. Aber Markus Söder wich aus, sagte nur: "An mir liegt es nicht" und verwies auf seine Umfragewerte. Theo Kolls Frage, wieso er Armin Laschet ständig "reingrätsche", habe er ein anderes Bild entgegengesetzt. Das "Reingrätschen" sei keine Selbstdarstellung, um sich selbst als kompetenter darzustellen. Markus Söder hat hier der Expertin zufolge das Thema umgelenkt: Ihn beunruhige die Sorge um den Wahlkampf, der deutlich an Tempo und Offensivität zunehmen müsse.
In Markus Söders Antworten zur Corona-Politik sieht Xenia Multmeier eine Veränderung zu früheren Interviews: Zuvor habe der CSU-Politiker größtenteils überzeugend gewirkt, da seine Antworten wissenschaftlich gut gestützt waren. Doch im Sommerinterview habe Markus Söder schnell geantwortet, weniger anschaulich als sonst und vor allem ohne seine üblich starke Ansprache an Gefühle und Grundeinstellungen des Publikums. Er sei durch Theo Kolls Gesprächsführung ungewollt unter Druck geraten, wodurch er es nicht immer geschafft habe, seine Inhalte zu entfalten.
Als es um das Verhalten des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers (Bayern) Hubert Aiwangers ging, empfand Xenia Multmeier Markus Söder einerseits als authentisch: Er begründete nachvollziehbar seine Sorge, welchen Schaden Hubert Aiwangers "Sound" und Sprechstil anrichten könne und wertete dieses Verhalten eindeutig. Andererseits mischte sich hier wieder die routinierte Selbstdarstellung hinein, indem er sich selbst als Beispiel für Lernfähigkeit darstellte.
Selbstdarstellung und Ansprache an das Publikum
Bei Aristoteles, der vom glaubwürdigen Redner forderte, die Eigenschaften "wohlwollend", "integer" und "kompetent" zu zeigen, hätte Markus Söder, so die Rhetorik-Expertin, sicherlich punkten können – wenn auch eingeschränkt. Hier falle eine der vorbereiteten Fußballmetaphern ins Auge: In Bezug auf den Wahlkampf sagte er: "Oder wir machen es wie die Italiener und haken uns alle unter und spielen und jeder nimmt in seiner Verantwortung das Herz in die Hand und ist erfolgreich." Markus Söder, der schon länger auf ein Image von Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz setze, versuchte im Sommerinterview verstärkt, in der Rolle des Aktiven, der schnell reagiert, aufzutreten. Auch hier nutze er Fußballmetaphern: Man müsse "einfach selbst stürmen… offensiv werden", "…ich habe da auch noch einmal Druck gemacht."
Xenia Multmeier betont die Bedeutung dessen, was Markus Söder in dem Interview nicht sagte. Er habe kaum Raum gefunden für seine übliche Ansprache an die Voreinstellungen des Publikums. In anderen Interviews habe Markus Söder durchgängig Gefühle und allgemeine Überzeugungen angesprochen, um sich als volksnah, emotional greifbar und mit gesundem Menschenverstand ausgestattet zu präsentieren.
Insgesamt habe Markus Söder im Vergleich zu anderen Interviews gestresster gewirkt. Er sprach schneller und hatte eine angespannte Mimik. Die Routine, durchstrukturiert zu sprechen, unbequeme Fragen mit Umkehrung oder Andersdeutung umzuleiten und dann detailreich ein anderes Bild zu zeichnen, habe ihm trotz des Drucks geholfen, "im Spiel" zu bleiben. Vieles wirkte Xenia Multmeier zufolge dabei einstudiert – wie auch der letzte Satz: "Das nächste Spiel ist immer das entscheidende."
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Weitere Informationen zum "Centrum für Rhetorik"
Dr. Annette Lepschy analysiert das ZDF-Sommerinterview von Armin Laschet