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Pflanzen in Science-Fiction

Ausstellungsprojekt von Promovierenden / Projektbegleitung auf Twitter und Instagram
Projektplakat
Projektplakat
© Projekt Eden?

Promovierende der Graduate School "Practices of Literature" (GSPoL) und Studierende des Fachbereichs Philologie der WWU Münster planen derzeit eine Ausstellung mit dem Titel "Eden? Plants between Science and Fiction", die vom 15. bis 29. Mai 2022 in der Orangerie des Botanischen Gartens in Münster gezeigt wird. Schon jetzt informiert das Projektteam über verschiedene Social Media-Kanäle über ihre Vorarbeiten und Aktivitäten.

Thema ist die Handlungsmacht von Pflanzen in Science-Fiction-Literatur und -Film und der Bezug der künstlerischen Darstellungen zu aktuellen Erkenntnissen aus der Botanik sowie zu gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel. Meist werden Pflanzen als passiv und immobil wahrgenommen. Von gegenteiligen Prämissen geht jedoch sowohl gegenwärtig die Pflanzenneurobiologie aus, wenn sie Formen von pflanzlicher Intelligenz und Kommunikation untersucht, als auch seit jeher Literatur und Film. Bereits Märchen und Sagen erzählen von anthropomorphisierten Pflanzen. Heute imaginiert vor allem das Science-Fiction-Genre pflanzliche Figuren.

Die Ausstellung richtet sich, im Sinne der Transferstrategie der WWU, an ein breites Publikum. Ein zehnköpfiges Team arbeitet an dem Projekt, derzeit unterstützt durch die Zentrale Kustodie (Kulturbüro) sowie das International Office der WWU.

Wir haben mit Katharina Scheerer, Doktorandin an der GSPoL und Leiterin des Projekts, gesprochen.

Team
Team des Ausstellungsprojekts (vorne: Katharina Scheerer)
© Aline Klieber

FB 09: Wie kam die Idee zu dem Projekt auf?

Scheerer: Bei uns an der Graduate School promovieren mehrere Doktorandinnen und Doktoranden zu Science-Fiction im weiteren Sinne. Eine Doktorandin beschäftigt sich mit Gender und Gewaltstrukturen in postapokalyptischen Gesellschaften. Ein anderer Doktorand schreibt über Utopie und Anarchie sowohl in Science-Fiction als auch in theoretischen Texten. Ich gucke mir frühe deutschsprachige Science-Fiction an, um 1900. Wir sind immer wieder bei ähnlichen Themen angekommen und haben gemerkt, dass wir gut zusammenarbeiten können.

FB 09: Warum haben Sie sich für den Fokus auf Pflanzen entschieden?

Scheerer: Science-Fiction ist ein riesiges Feld, wir hätten uns womöglich genauso gut den Mars anschauen können, um zu überlegen, wie der Mars in Science-Fiction-Literatur und -Film verhandelt wird. Wir haben aber gesehen, dass gerade in der Climate Fiction, also der Science-Fiction, die sich mit klimatischen Veränderungen beschäftigt, Pflanzen eine zentrale Rolle spielen und dass sich diese Pflanzenthematik gut an zeitgenössische Diskurse anknüpfen lässt. Diskurse wie Nachhaltigkeit und Posthumanismus. Dabei wird gefragt, wie wir eigentlich mit der Erde umgehen und ob man nicht neu kommunizieren lernen muss, um auch mit nicht-menschlichen Entitäten 'ins Gespräch zu kommen'.

FB 09: Welche Untersuchungsgegenstände nehmen Sie dabei in den Blick?

Scheerer: Wir gucken uns deutsch- und englischsprachige Literatur und Filme an. Gerade in den USA boomt Climate Fiction. Oft ist fraglich, was noch zu dem Genre zu zählen ist, was man also dazurechnen kann. Das ist nicht immer ganz leicht. Was ich aber enorm spannend finde: ich beschäftige mich in meiner Dissertation mit "Berge Meere und Giganten" von Alfred Döblin aus dem Jahr 1924 und da geht es schon um Terraforming und Climate Fiction. Die Menschen innerhalb dieses Textes wohnen zum Teil unterirdisch in Höhlen, sie schmelzen am Ende Grönland ab, um sich einen neuen Lebensbereich zu schaffen und dabei setzen sie die titelgebenden Giganten frei. 'Katastrophenroman' hieß so etwas früher. Manchmal sind es Großprojekte wie ein Tunnelbau, die katastrophal schieflaufen, manchmal sind es aber auch Terraforming-Projekte, bei denen dadurch, dass der Mensch die Erde zu sehr ausgebeutet hat, apokalyptische Szenarien hervorgerufen werden.

FB 09: Aus welchem Zeitraum stammen die untersuchten Gegenstände?

Scheerer: Unser frühester Text ist von Kurd Laßwitz und um 1900 veröffentlicht worden. Wir nehmen unterschiedliche Texte in den Blick: um 1900, aus den 1960er-Jahren und Zeitgenössisches. Die Ausstellung haben wir thematisch in drei Bereiche unterteilt.

Im ersten Bereich sind die Pflanzen den Menschen untergeordnet. Schöne Gärten, kleine Waldgebiete als Rückzugsorte der Protagonistinnen und Protagonisten und Gewächshäuser auf Raumschiffen spielen da zum Beispiel eine Rolle. Es wird dann oft eine vermeintliche Natürlichkeit suggeriert, die sich aber so nicht auflösen lässt. Man denke an den Tree of Souls in "Avatar" oder an die Filme "Metropolis" und "Silent Running".

Im zweiten Bereich geht es um den Übertritt: die Pflanzen sind also den Menschen gleichgestellt. Was bedeutet das? Die Pflanzen treten mit Handlungsmacht in die Geschichte ein. Wir nutzen da Begriffe wie 'Agency', die aber auch problematisch sind, weil man auf menschliche Begriffe zurückgeworfen wird. Das ist der Moment, in dem wir überlegen, welche Art von Kommunikation mit Pflanzen überhaupt stattfindet. Können wir mit ihnen überhaupt kommunizieren, weil wir doch eine ganz andere Sensorik haben als Pflanzen? Sie reagieren anders auf Licht oder Schallwellen oder Druck. In diesem Themenbereich spielen Comics eine große Rolle, zum Beispiel "Grün" von Frauke Berger. Darin werden die Protagonistinnen und Protagonisten von einer vermeintlichen Seuche befallen und hybridisiert zu Mensch-Pflanzen-Wesen. Wir schauen uns auch Pflanzenfiguren an, die doch wieder humanoid sind. Dabei die Überlegung: Warum imaginieren wir das Andere eigentlich direkt wieder mit menschlichen Zügen? Ergänzt wird dieser Teil um die Frage, welchen Beitrag Science-Fiction leisten kann, um sich diese anderen Formen der Kommunikation vorzustellen.

Katharina Scheerer nimmt Bezug auf Dietmar Dath, der Science-Fiction schreibt und theoretisch sehr versiert sei. Sie verweist auf dessen Großessay über Science-Fiction, "Niegeschichte: Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine" von 2019. Science-Fiction sei nicht nur inhaltlich interessant, sondern biete als Genre die Möglichkeit, anders über Zukunft nachzudenken. Die geplante Ausstellung wolle das Potenzial von Science-Fiction ausloten und untersuchen.

Und im dritten Teil geht es um Horrorpflanzen. Dort sind die Pflanzen den Menschen also überlegen. Bei Döblin zum Beispiel gibt es Schlingpflanzen, Algen, die sich die Menschen einverleiben. In einer Szene sind Menschen in einem Park eingeschlossen und werden von wuchernden Pflanzen zerquetscht. Interessant ist, wie Pflanzen minimal verändert werden, sodass sie etwas können, was ihnen in der Realität nicht in der Art und Weise möglich ist. Sie sind zum Beispiel mobiler und übernehmen in fiktionalen Texten die Welt. Was evoziert dann eigentlich den Horror?

FB 09: Sie sprechen von der Kommunikation zwischen Pflanze und Mensch. Was bedeutet das?

Scheerer: Es geht um Möglichkeiten und Grenzen dieser Kommunikation. Es stellt sich ja die Frage, wie man beschreiben kann, was für einen selbst gar nicht erfahrbar ist. In einer Kurzgeschichte, die ich jüngst gelesen habe ["Peace, Pipe" von Aliya Whiteley in "The Beauty"], geht es um eine Protagonistin, die für einen terrestrischen Verbund arbeitet, der Handlungsbeziehungen zu Lebewesen auf anderen Planeten aufnimmt. Um diese Beziehungen einzugehen, soll die Protagonistin den Erstkontakt zu diesen Lebewesen aufbauen. Gerade solche Erstkontakt-Szenen sind unglaublich spannend, weil es dabei darum geht, wie man kommuniziert. Marsmenschen zum Beispiel sprechen in den Texten häufig Deutsch oder eine Abwandlung davon, man versteht sie, man kann mit ihnen kommunizieren, weiß, wo der Mund ist, weiß, dass man über verbale Sprache kommunizieren kann. Aber in der gerade erwähnten Kurzgeschichte ist das eben alles nicht klar. Die Geschichte zeigt, wie Kommunikation scheitert. Der Text spielt die Grenzen der Kommunikation durch.

FB 09: Warum eine Ausstellung und zum Beispiel keine Tagung?

Scheerer: Ich finde das Thema Wissenschaftskommunikation sehr wichtig. Wir wollen der Öffentlichkeit, dem interessierten Publikum in Münster, fachfremden Leuten, zeigen, was man mit Literatur- und Kulturwissenschaft machen kann. Gerade die Geisteswissenschaften produzieren häufig Ergebnisse, die anderen nur schwer verständlich sind. Über eine Ausstellung, die auch noch ein populäres Genre wie Science-Fiction aufgreift, kann man das vielleicht ändern. Wir betrachten ja nicht unbedingt die Hochkultur, was aber auch zeigt: Universität sitzt nicht im Elfenbeinturm und guckt sich nicht nur Goethe und Schiller an, sondern hat auch einen Bezug zur Gegenwart, setzt sich auch mit ganz aktuellen Themen auseinander.

FB 09: Und was werden Sie in der Ausstellung zeigen?

Scheerer: Wir gehen vom Werk aus. Haben wir einen Comic, einen Film oder ein Buch? Und wie funktioniert zum Beispiel das Buch? Bei Döblin sind viele Textstellen, die wir thematisieren wollen, extrem lyrisch. Das heißt: wir können sie gut einsprechen und über Kopfhörer von den Besucherinnen und Besuchern hören lassen. So kann man dann den Text zugänglich machen. Man kann mit Film Stills arbeiten, mit kleinen Sequenzen. Für die Horrorpflanzen arbeiten wir derzeit an einer Videoinstallation mit einem Mediendesigner. Da soll das Wuchern, das unkontrollierte Wachstum, im Fokus stehen. Natürlich gibt es aber auch die klassische Vitrine mit schönen Erstausgaben. Wir können schlecht eine Literaturausstellung machen, ohne ein Buch zu zeigen. Wir arbeiten außerdem an einem Begleitheft zur Ausstellung, in dem einzelne Themen, Motive, vertieft und Gedankenanstöße gegeben werden.

FB 09: Das Ganze ist ja ein recht interdisziplinäres Thema: Arbeiten Sie daher zum Beispiel mit Biologinnen und Biologen zusammen?

Scheerer: Wir sind in Kontakt mit dem Kustos des Botanischen Gartens, Dr. Dennise Stefan Bauer. Die Ausstellung findet ja in der Orangerie statt, über den Ausstellungsort besteht also schon der Bezug. Herr Bauer wird aber auch für die Szenographie der Ausstellung entsprechende Pflanzen zur Verfügung stellen, fleischfressende Pflanzen, etwas Rankendes; und wird eine Führung anbieten, in der er auf genau die Pflanzen eingeht, die sich in der Literatur wiederfinden. Er fügt also sein botanisches Wissen hinzu und gleicht das ab mit dem literarischen Wissen oder mit der literarischen Darstellung dieser Pflanzen. Viele Texte unserer Sekundärliteratur sind natürlich auch aus dem botanischen Bereich. In Florenz gibt es zum Beispiel Forschende, die sich mit pflanzlicher Intelligenz beschäftigen. Das sind Nischen, in die wir blicken.

FB 09: Gibt es neben dem Botanischen Garten derzeit schon weitere Kooperationspartner?

Scheerer: Die Ausstellung steht ja nur zwei Wochen, aber wir hoffen, dass wir sie 360 Grad digitalisiert bekommen. Dann könnte man die Ausstellung auch virtuell besuchen. Außerdem soll sie noch wandern an die University of Arizona, wo sie dann voraussichtlich 2023 zu sehen sein wird. Und wir haben eine Kooperation mit dem Kulturbüro über Dr. Eckhard Kluth. Der diesjährige Kurzgeschichtenwettbewerb, der vom Kulturbüro ausgeschrieben wird, läuft unter dem Titel "Green Tales" [https://www.uni-muenster.de/Kustodie/projekte/greentales.html] und sucht explizit Science-Fiction-Pflanzengeschichten. Wir bilden den Großteil der Jury und die Lesung der Gewinnertexte wird während der Ausstellung in der Orangerie stattfinden.

FB 09: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Ausstellung!

Das Gespräch führte Laura M. Reiling.

Website des Ausstellungsprojekt

Twitter- und Instagram-Kanal des Projekts

Graduiertenschule "Practices of Literature"