Barrierefreie Online-Befragungen

Abstract

Die UN-Konvention von 2006 verpflichtet alle öffentlichen Institutionen, die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen anzustreben und die EU-Richtlinie zur Web-Accessibility von 2016 schreibt barrierefreie Internetangebote öffentlicher Institutionen vor. Vor allem bei wissenschaftlichen Onlinebefragungen werden oft Item-Batterien und Skalen verwendet, die schon für Personen mit Leseschwierigkeiten nur schwer zu verstehen sind. Menschen mit körperlichen Behinderungen können diese Befragungen hingegen oft gar nicht bearbeiten. Dadurch werden oft die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen, wenn diese auf Umfrageergebnissen basieren. Auf der anderen Seite stehen mittlerweile gerade für Onlineangebote Tools zur Erreichung von Barrierefreiheit zur Verfügung: Vorlesefunktion und Spracherkennung, einfache Sprache, Größeneinstellung und Lupe, Visualisierungen etc. Ziel des beantragten Projektes ist es daher zu untersuchen, ob der Einsatz entsprechender Mittel geeignet ist, Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen die Teilnahme an Befragungen zu ermöglichen und Personen ohne Einschränkungen und Behinderungen die Teilnahme zu erleichtern und darüber deren Teilnahmebereitschaft und Motivation zu steigern.
 
Dabei werden sowohl absolute als auch relative Barrieren in den Blick genommen. Absolute Barrieren entstehen durch körperliche Einschränkungen wie Bewegungs-, Seh- oder Hörbeeinträchtigungen etc. oder kognitive Einschränkungen wie Analphabetismus, Lernbehinderungen etc. Absolute Barrieren müssen gesenkt werden, um den Betroffenen die Teilnahme an standardisierten Onlinebefragungen zu ermöglichen. Hinzu kommen relative Barrieren, die emotional oder motivational entstehen. Dann resultiert die Nichtteilnahme an Befragungen aus der erwarteten großen Anstrengung bei der Teilnahme, dem fehlenden Vertrauen, den Anforderungen gerecht zu werden, oder fehlender Motivation aufgrund schlechter Erfahrungen mit Befragungen. Auch diesen Problemen soll mit kommunikativen Mitteln zu Barrierereduzierung begegnet werden. Damit dient das Projekt aber nicht nur der Barrierereduzierung im Sinne der UN-Konvention. Es verbessert auch die Qualität repräsentativer Onlinebefragungen, da es eine bessere Abdeckung aller Bevölkerungsschichten ermöglicht und eine höhere Datenqualität durch weniger Verständnisschwierigkeiten sichert.

Vorgehen

Die Grundidee der Studie lautet: Barrierefreiheit bei Onlinebefragungen kommt allen zugute und steigert die Ausschöpfungsquoten repräsentativer Befragungen. Diese wird mit mehreren Teilstudien untersucht. Eine systematische Literaturanalyse soll zunächst Anforderungen an Barrierefreiheit im Kontext von Befragungen klären und dafür vorhandene Hilfsmittel identifizieren. Die Erkenntnisse werden in einem Workshop mit Experten*innen und Betroffenen diskutiert und systematisiert. Dann wird eine Onlinebefragung zur Berufsorientierung Jugendlicher und junger Erwachsener mit verschiedenen Varianten von Tools zur Barrierefreiheit konzipiert. Die Umfragevarianten werden in Klassen an Berufskollegs mit Personen unterschiedlicher Bildungsniveaus durchgeführt und im experimentellen Vergleich zwischen den Fragebogenvarianten ausgewertet. Parallel dazu werden lernschwache Jugendliche und junge Erwachsene in einem Lehr-/Lernlabor beim Umgang mit den Befragungsvarianten beobachtet. Ferner werden in einer inklusiven Forschungswerkstatt unterschiedliche barrierefreie Varianten einer Befragung von Menschen mit Behinderungen bearbeitet um herauszufinden, wo diese optimiert werden können. Die Ergebnisse werden in einem zweiten Workshop mit Experten*innen und Betroffenen diskutiert und online, barrierefrei allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

In einem weiteren Teilprojekt soll mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) eine Onlinebefragung als Vollerhebung der kommunikationswissenschaftlichen deutschsprachigen scientific community zur Umfragepraxis durchgeführt werden. Die Befragung dient einerseits dazu, den Wissensstand der Lehrenden, der Forschenden und Studierenden über Barrierefreiheit und über ihre Umsetzung zu erfassen. Andererseits wird hiermit die in der Forschungspraxis eingesetzte Befragungs-Software identifiziert.

Kooperationspartner des Forschungsprojekts sind das PIKSL Labor Düsseldorf der In der Gemeinde leben gGmbH (IGL), die Arbeitsgruppe Berufspädagogik der WWU Münster sowie die WWU IT, das IT-Center der Universität Münster.