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Tod an der Überwasserkirche

Die Überwasserkirche wurde mit einem adeligen Damenkonvent als Stiftung Bischof Hermanns I. gegründet und am 29.12.1014 geweiht. Ihr Name geht auf den Standort auf der linken Seite der Aa unter dem Domhügel - also jenseits der Wasser „Überwasser“ - zurück. Das mit der Kirche verbundene Kanonissenstift diente als Versorgungs- und Bildungsstätte aristokratischer Damen. Die Äbtissin musste bis 1460 hochadeliger Herkunft sein.

Münster war ein Brennpunkt der Reformation. Während andernorts die Reformation lutherisch verlief, radikalisierte sich die Bewegung hier. Die Lehre Luthers wurde durch das sozial-revolutionäre Ideengut der aus dem Niederländischen herübergekommenen „Wiedertäufer“ verdrängt. Im Jahr 1532 wurde die Äbtissin Ida von Merveldt durch das Stadtregiment gezwungen, Prädikanten der Lehre Luthers auch in Überwasser zuzulassen. Am Tag vor Palmsonntag 1534 stürmten aufgebrachte Bürger die Kirche und zerstörten Altäre und Bildwerke. Die Äbtissin und zwei Schwestern flohen und retteten wichtige Dokumente und Schätze aus dem Stift.

Bis zur Eroberung der Stadt durch den Fürstbischof Franz von Waldeck am 25.6.1535 steigerte sich das Schreckensregiment der „Wiedertäufer“. Sie ließen die Turmspitze von Überwasser herabstürzen und stellten auf der so entstandenen Plattform Geschütze auf. Nach der Niederschlagung der Täuferherrschaft wurde die Überwasserkirche wieder Ihrer ursprünglichen Bestimmung als katholische Kirche zugeführt.

In den folgenden Jahren war die Plattform auf dem Kirchturm wohl zugänglich, so dass sich am 7. September 1610 folgendes Unglück ereignete: Der 25-jährige Schreiber Friedrich Mönnich bestieg den Turm der Überwasserkirche und warf von dort einen Ast auf den Kirchplatz hinunter, auf dem sich seinen Angaben nach niemand befand. Offensichtlich hatte er aber Simon von Hattingen übersehen. Gerade zum Zeitpunkt des Abwurfs befand sich dieser auf dem Überwasserkirchhof und der Ast traf ihn so unglücklich am Kopf, dass er an der Verletzung starb.

Friedrich Mönnich wurde der Tat vor dem Stadtgericht angeklagt. Die Dokumentation des Prozesses finden wir in den Ratsakten. Friedrich Mönnich wurde von Wennemar Dienden verteidigt, der zusammen mit seiner Vollmacht zugleich ein Dokument einreichte, in dem Friedrich Mönnich seine Unschuld beeidete. In einem später bei Gericht eingereichten Schriftsatz versuchte der Anwalt das Geschehene wie folgt zu erklären: „es müsse ein windt oder bewegung in der Luft einstanden sein in deme sich dieser stock gleich im werbel gedrehet, aufgehalten und nit recht hinausgangen sondern etwas Langsamer hinabkommen sei.

Am 20. Mai 1611 wurde das Urteil gegen Friedrich Mönnich gesprochen. Dem Urteil war eine Relation vorangestellt, die auf der Grundlage des römischen Rechts feststellte, dass sowohl Friedrich Mönnich als auch die Zeugen „keinen menschen gesehen haben, dass auch Mönich noch die Zeugen den saligen Mhan so von Ungefher umbkommen, zuvorn nicht gekent, also nicht in dolo gewesen unnd darumb ab poena ordinaria poena L.Corneliae quae est poena mortis cum in corporalibus lata culpa dolo non aequiparetur.

Daran schlossen sich weitere Ausführungen zu der rechtlichen Bewertung der Tat des Beschuldigten an. Der Rat fällte schließlich folgendes Urteil:

In der Purgation sachen Fridrichen Mönichs betreffend wird uff einbrachten Rotul“ und „der in namen Mönichs ubergebene Purgatorial articul abgehorter gezeugen außagen und Zeugnußen von unß Burgermeisteren unnd Rhat dieser Statt Münster mit Rhat unpartheischer Rechtsgelerten zu rechte erkent, daß er Mönich wegen des Ueberkommenen abwurffs des Mey Zwogs oder Asts, dadurch henrich von Hattingen saliger umbkommen, von ordentlicher poena einer fursetzlichen thodschlags zu entschuldigen.“ Da er aber mit dem Abwurf des Astes den Tod des Simon von Hattingen verschuldet habe, sei er dieser „Statt zur straff sibenzig Reichsthaler zu geben schuldig“.

Das Gericht verurteilte Friedrich Mönnich also zu einer Geldstrafe von 70 Talern. Außerdem hatte er die Gerichtskosten zu zahlen. Gegen diese hohe Geldstrafe wandten sich die Angehörigen mit der Bitte um Erlass. Dieser Bitte wurde schließlich stattgegeben und die Strafe wurde auf 25 Taler reduziert.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Überwasserkirche wie die gesamte Stadt aufs Schwerste getroffen. Sie blieb in der Substanz aber so weit erhalten, dass der Wiederaufbau in der alten Gestalt möglich war.

Karoline Kahl

 

Zum Weiterlesen

Schnell, Kunstführer Nr. 1692, Verlag Schnell & Steiner GmbH Regensburg, 7. Auflage 2012.

Quellen

StdAMs, Ratsarchiv, Ratsprotokolle, AII Nr. 20, Bd. 42 (1610), Bl. 187r-207v.

StdAMs, Gerichtsarchiv, Acta criminalia Nr. 260, Bl.15r-16v.