Institut für Rechtsmedizin
Der Ruf als bekanntester Professor der Tatort-Republik ist dem Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne sicher: Millionen Zuschauer sind dabei, wenn er zur Leichenschau in seinem Sektionssaal schreitet. Gedreht wird allerdings nicht in der Münsteraner Entsprechung, dem Institut für Rechtsmedizin in der Röntgenstraße. Im Münster-Tatort sieht man stattdessen die Keller- und Kühlräume des Gerhard-Domagk-Instituts für Pathologie.
Die Geschichte der ärztlichen Leichenschau reicht bis ins Mittelalter zurück und wurde schon früh gesetzlich verankert: Die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. schrieb vor, dass Richter bei zweifelhaften Todesfällen mit Wundärzten, Schöffen und dem Gerichtsschreiber die menschliche Leiche besichtigen sollen. Damit war der Weg zum späteren akademischen Fach gebahnt.
Als nach Gründung der Münsteraner Universität 1774 die Juristische und die Medizinische Fakultät errichtet wurden, hielt der Kreis-Physikus Anton Sentrup im Wintersemester 1806/07 die erste Vorlesung über „Medizinische Polizei“. Er war als Dozent für Gerichtliche Arzneikunde und Augenkrankheiten an der Medizinischen Fakultät angestellt und wurde später Professor für Anatomie.
Die Fakultät wurde 1818 aufgehoben und durch eine Chirurgenschule ersetzt, wo von 1831 bis 1841 auch gerichtliche Arzneikunde auf dem Lehrplan stand: eine dreistündige Veranstaltung namens „Medicina forensis et castrensis“ für Studierende im dritten Semester. Nach Schließung der Schule pausierte der rechtsmedizinische Unterricht in Münster, bis die Universität neu auflebte und zwei Lehrer für das Fach gewann: 1908 wurde der Kreisarzt Alwin Besserer zum Dozenten für gerichtliche Medizin berufen und Heinrich Többen, Anstaltsarzt im Zuchthaus Münster, von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zum Lehrbeauftragten für gerichtliche Medizin ernannt. Beide Ärzte hielten ihre Vorlesungen zunächst im Zuchthaus.
In den 1930er Jahren stellte Többen, nun Universitätsprofessor und Gründungsdirektor des Instituts für Gerichtliche und Soziale Medizin, seine Tätigkeit in den Dienst der Nationalsozialisten. Er vertrat erb- und rassenbiologische Konzepte und Theorien, wonach Kriminalität angeboren sei. Vor diesem Hintergrund stellte er in ärztlichen Gutachten soziale Prognosen für die Gefangenen aus. In der Folge wurden die als asozial deklarierten Menschen sterilisiert und in Sicherheitsverwahrung überführt. Es ist davon auszugehen, dass zeitweilig 40% der Münsteraner Strafgefangenen davon betroffen waren. Sie wurden in den 1940er Jahren auch in Konzentrationslager verbracht.
Das Institut für Gerichtliche und Soziale Medizin (später nur noch Institut für Gerichtliche Medizin) war bei seiner Gründung 1925 zunächst im Gebäude am Westring 17, dem damaligen Standort des Pathologischen Instituts, untergebracht. Im Erdgeschoss residierte die Rechtsmedizin, im Obergeschoss die Pathologie. 1944 musste die Universität nach Bombenangriffen den Betrieb einstellen.
Bis zum heutigen Standort der Rechtsmedizin in der Röntgenstraße war es noch ein langer Weg. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Institut kurzzeitig – zusammen mit vielen Einrichtungen der Medizinischen Fakultät – nach Bad Salzuflen ausgelagert. 1945 bezog es wieder das Gebäude am Westring, bis 1949 ein Umzug in die Von-Esmarch-Straße folgte. 1978 wurde das Institut in „Institut für Rechtsmedizin“ umbenannt. Nach der Jahrtausendwende zog das Institut schließlich in die Röntgenstraße ein.
Claudia Lieb