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Laerbrockkreuz

Ziemlich versteckt am Saum eines kleinen Waldstücks im Grenzbereich von Bösensell, Schapdetten und Havixbeck steht das Laerbrockkreuz. Geschützt durch ein modernes Wetterdach, zeigt es die Kopie einer barocken Christusfigur, deren Original sich heute in der Pfarrkirche St. Johannes Baptist in Bösensell befindet. Das Kreuz kennzeichnet die Stelle, an der vom 13. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts unter freiem Himmel die Landtage im Hochstift Münster abgehalten wurden.

Der Landtag war die zentrale Zusammenkunft der sogenannten Landstände und entwickelte sich aus deren Anspruch, an kollektiven politischen Entscheidungen beteiligt zu werden. Schon seit dem 13. Jahrhundert wurden die Landstände des Hochstifts Münster, wie in vielen geistlichen Territorien, in drei Kurien eingeteilt: das Domkapitel, die Ritterschaft und die 13 Städte des Oberstifts, die zumeist durch die Bürgermeister von Münster und Coesfeld vertreten wurden. Da sich das Domkapitel aus dem Stiftsadel des Landes rekrutierte, waren die ersten beiden Kurien verwandtschaftlich aufs Engste miteinander verbunden. Als sogenannte adlige Vorderstände konnten sie die Städte theoretisch leicht überstimmen. Diese – allen voran Münster – besaßen aber angesichts ihrer finanziellen Stärke dennoch ein mitunter erhebliches Gewicht in den Verhandlungen. Formal versuchte man im Übrigen, sich trotz aller Differenzen im Detail möglichst auf einstimmige Voten zu einigen.

Die wichtigste Funktion des Landtags bestand in der Bewilligung neuer Steuern, für die der Landesherr, also der Fürstbischof von Münster, traditionell auf die Zustimmung der Landstände angewiesen war. Im Gegenzug konnten diese ihre „Gravamina“, also Anliegen oder Beschwerden, zur Sprache bringen und dadurch Einfluss auf die landesherrliche Politik nehmen. Neben finanziellen Angelegenheiten ging es bei den Landtagen auch um die Verabschiedung neuer Gesetze und um Fragen von Krieg und Frieden. Durch Verlesung einer Vorlage des Landesherrn, der Proposition, wurde die Versammlung eröffnet. Am Ende der Beratschlagungen einigte man sich auf einen gemeinsamen Landtagsabschied.

Im 16. Jahrhundert berief der Bischof durchschnittlich zwei- bis dreimal pro Jahr einen Landtag ein, wenn er es für notwendig hielt. Diese Zusammenkünfte dauerten üblicherweise von morgens bis abends, daher die Bezeichnung Landtag. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden die Landtage zwar etwas seltener, währten aber deutlich länger.

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Erstmals ist 1267 ein Landtag auf dem Laerbrock in den Quellen nachweisbar, aber es hat wahrscheinlich schon früher Versammlungen hier gegeben. Für die kommenden 300 Jahre war das freie Feld im Schnittpunkt mehrerer Gogerichtsbezirke der bevorzugte Ort für die münsterischen Landtage. Warum gerade hier? Zum einen sprachen für das Laerbrock seine zentrale geographische Lage im Oberstift, die für alle Teilnehmer gut zu erreichen war. Zum anderen zeichnete es sich, anders als Burgen oder Städte, durch seine Neutralität aus. In der Wahl dieses Ortes zeigt sich also auch das Selbstverständnis der Stände, eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber ihrem Landesherrn zu wahren. Im Laufe des 16. Jahrhunderts gab man diese Haltung allerdings auf und tagte zunehmend im Fürstenhof in Münster in unmittelbarer Nähe zum Sitz des Bischofs und der entstehenden Verwaltungsbehörden. Der letzte Landtag auf dem Laerbrock fand – sieht man von einer Ausnahme im Jahr 1668 ab – 1602 statt. In Krisenzeiten, etwa während der Täuferherrschaft, war man allerdings schon zuvor nach Münster ausgewichen. Im Gegensatz zum offenen Laerbrock bot die von Mauern umgebene Stadt wesentlich höhere Sicherheit und nicht zuletzt Schutz vor Unwetter. In seiner Beschreibung des Stifts Münster von 1655 bringt Johann Hobbeling die Vorzüge des neuen Ortes auf den Punkt:

Die Landttage seyn in Vorjahren nach Anzeig der alten Nachrichtungen, auffm Laerbrock sub dio und unter dem blauen Himmel gehalten und gemeinlich in einem Tage geendiget worden, dafern sie sich aber länger verzogen oder sonsten einig Ungewitter oder andere Ungelegenheiten eingefallen, alsdan nach der Stadt Münster, – als ad locum commodum, tutum & vicinum [= an einen bequemen, sicheren und nahegelegenen Ort] transferirt“ (zitiert nach Kirchhoff).

Lennart Pieper

 

Zum Weiterlesen

Karl-Heinz Kirchhoff: Ständeversammlungen und erste Landtage im Stift Münster 1212-1278 und der Landtagsplatz auf dem Laerbrock, in: Westfälische Forschungen 30 (1980), S. 60-77.

Marcus Weidner: Landadel in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürstenhof, Münster 2000.